Dienstag, 16. April 2024

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Verwaiste Flüchtlingslager
Zehntausende Syrer fliehen vor Terrormiliz IS

Schwere Kämpfe im Norden Syriens haben nach Angaben von Menschenrechtsaktivisten zehntausende Menschen zur Flucht gezwungen. Alleine an einem Frontabschnitt nahe der türkischen Grenze seien 30.000 Zivilisten geflohen. Inzwischen steht die seit Februar geltende Waffenruhe in Syrien auf der Kippe.

15.04.2016
    Ein Kind mit einer Karre in einem Flüchtlingslager in Kilis, an der Grenze zwischen Syrien und der Türkei.
    Die Lage in den Lagern im türkisch-syrischen Grenzgebiet, hier bei Kilis, spitzt sich für Tausende Flüchtlinge zu. (picture alliance / dpa / Uygar Onder Simsek/MOKU)
    In Genf wird unter Vermittlung der Vereinten Nationen über Frieden in Syrien verhandelt, im Land selbst wird die Lage immer prekärer. Besonders unübersichtlich ist die Lage in der nordsyrischen Provinz Aleppo. Dort sind trotz der Waffenruhe erneut Kämpfe aufgeflammt. Alleine an einem Frontabschnitt nahe der türkischen Grenze seien 30.000 Zivilisten auf der Flucht, berichtete Human Rights Watch (HRW). Aktivisten zufolge wurden in den Kämpfen um Aleppo seit Sonntag mehr als 200 Kämpfer aller Konfliktparteien getötet.
    Die Organisation forderte die Türkei auf, die Grenze für die Flüchtlinge zu öffnen. Sie warf türkischen Grenzschützern vor, auf Zivilisten zu schießen, die im Nachbarland Zuflucht vor dem Vormarsch der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) nördlich der syrischen Stadt Aleppo suchen wollten, berichtet DLF-Korrespondent Reinhard Baumgarten. HRW-Mitarbeiter Gerry Simpson sagte: "Während Zivilisten vor IS-Kämpfern flüchten, antwortet die Türkei mit scharfer Munition anstatt mit Mitgefühl." Die Regierung in Ankara wolle damit ihre Forderung nach der Schaffung von "Schutzzonen" für Flüchtlinge auf der syrischen Seite der Grenze durchsetzen.
    Verwaiste Flüchtlingslager
    HRW berichtete unter Berufung auf internationale Helfer und auf Vorsteher von Flüchtlingslagern bei Asas nahe der türkischen Grenze, aus zehn Camps seien mindestens die Hälfte der Bewohner vor dem IS-Vormarsch geflogen. Sie hätten in anderen Lagern an der Grenze und in der nahegelegenen Stadt Asas Zuflucht gesucht. Drei Lager mit einst 24.000 Schutzsuchenden seien inzwischen verwaist.
    HRW warf der Türkei auch vor, Flüchtlinge an der Grenze gewaltsam nach Syrien zurück gezwungen zu haben. Auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat der Türkei in der Vergangenheit vorgeworfen, Flüchtlinge zurück nach Syrien zu schicken.
    Mahnung an die Türkei
    Auch die Bundesregierung zeigte sich alarmiert. Es sei wohl auch in der Nähe von Flüchtlingsunterkünften auf syrischem Boden zu Gefechten gekommen, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes. "Das alles ist schlimm." Er mahnte die Türkei, das Flüchtlingsabkommen mit der EU umzusetzen, demgemäß sich Ankara verpflichtet hat, seine Grenze für syrische Bürgerkriegsflüchtlinge nicht zu schließen.
    Bereits am Donnerstag hatte es in der Provinz Aleppo heftige Kämpfe gegeben. Regierungstruppen, Rebellen und IS-Kämpfer lieferten sich Gefechte um die Kontrolle einzelner Gebiete. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte hatte mitgeteilt, die Streitkräfte von Staatschef Baschar al-Assad hätten mit Unterstützung russischer Kampfflugzeuge eine Offensive nördlich der Provinzhauptstadt Aleppo gestartet. Laut der Beobachtungsstelle, deren Angaben von einem Netz aus Informanten stammen und nicht von unabhängiger Seite überprüft werden können, versuchten die Regierungstruppen den von Rebellen kontrollierten Osten von Aleppo zu belagern.
    Die Kämpfe stellten eine vor fast sieben Wochen begonnene Feuerpause in Syrien in Frage, die von Rebellen und Regierungstruppen weitgehend eingehalten worden war. Der Kampf gegen Dschihadisten ist von der Waffenruhe ausgenommen. In Genf traf am Freitag eine Delegation Assads zur geplanten zweiten Runde der Friedensgespräche ein. Vertreter der Opposition waren schon zuvor in die Schweizer Stadt geflogen. Der UNO-Sondergesandte Staffan de Mistura hatte zwar seine Hoffnung kundgetan, es könne zu "entscheidenden Gesprächen" kommen - doch sind beide Seiten noch völlig zerstritten über die künftige Rolle Assads.
    (pg/tzi)