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Verwaiste Riesenbauten in Valencia

62 Milliarden Euro Schulden drücken die Region Valencia und die Stadt Valencia selbst gilt mit ihren exorbitanten Kulturbauten als Musterbeispiel für Verschwendung. Zwei Lokaljournalisten entdecken in der Krise ihre Chance und veranstalten alternative Stadtführungen auf der "Route der Verschwendung".

Von Julia Macher | 30.08.2012
    Wie weiß gepanzerte Raumschiffe liegen die geschwungenen Bauten der "Stadt der Künste und Wissenschaften" an den Ufern des Flusses Turia. Für architektonische Betrachtungen bleibt allerdings keine Zeit. Tourleiterin Teresa Galindo zückt den Zettel mit den Zahlen. 1,3 Milliarden Euro hat die Anlage gekostet, fünf Mal so viel wie geplant. Allein Stararchitekt Santiago Calatrava soll ein Honorar von 94 Millionen Euro erhalten haben.

    "Solche Riesenbauten hat man als Inbegriff der modernen Stadt verkauft. Dabei ist diese Politik letztlich reine Angeberei: Die Politik wollte eine Stadt mit Riesenevents, Rieseninvestitionen und, so sage ich: Riesenschulden, für die das Budget anderswo gekürzt wurde."

    Nächstes Beispiel: Der für zwei America Cups angelegte neue Hafen. Kosten: 300 Millionen Euro.

    Die Liegeplätze sind verwaist, das Verwaltungsgebäude dient höchstens noch als Kulisse für die ein oder andere Hochzeit.

    Und so geht es munter weiter: Fünfzehn solcher "Orte der Verschwendung" zeigen Teresa Galindo und ihr Partner Miguel Ángel Ferrís ihren Gästen bei diesem eigenartigen Stadtrundgang. Dabei geht es den beiden nicht nur um Kritik an der gigantomanischen Planung der konservativen Bürgermeisterin Rita Barberà. Sie regiert hier seit über 20 Jahren.

    "Valencia biete eine Gesamtschau aller Krankheitssymptome der Krise in Spanien,"

    sagt der Journalist und Pädagoge.

    "Zum Beispiel Korruption: 20 Prozent der konservativen Parlamentarier sind in Gerichtsverfahren verstrickt. Zum Beispiel die Vergabe von Krediten ohne ausreichende Sicherheiten. Mit großzügigen und undurchsichtigen Darlehen finanzierten die einheimischen Sparkassen Caja del Mediterraneo und Bancaja den Bauboom und Immobilienspekulationen. Bancaja ist inzwischen Teil der Pleitebank Bankia."

    Der Minibus fährt durch das Viertel Nou Nazaret. Auf einer Brache stehen drei halb fertige Wohntürme. Ein paar Kilometer weiter, in Ros Casares, warten Hunderte Luxuslofts auf Käufer.

    Neulich habe ihn eine Teilnehmerin gefragt, ob in Valencia überhaupt eine Wohnanlage fertig gebaut und ganz verkauft worden sei, erzählt Miguel Angel. Seine Antwort: Ja, eine einzige, das war 2003, bevor die Preise ins Astronomische stiegen. Das Geld, das damals für den Wohnungsbau ausgegeben wurde, fehle jetzt für die Instandhaltung bestehender Gebäude.

    Von Neubauten ganz zu schweigen, selbst wenn es um öffentliche Gebäude geht, die dringend benötigt werden. Ulisses Calabuig und Chus Martínez stehen in pinkfarbenen Protest-T-Shirts vor einem provisorischen Containerbau. Seit vier Jahren gehen ihre Kinder hier zur Schule.

    Die Türen und Boxen seien verrostet, die Container stünden auf verschimmelten Holzpfählen, doch alle Beschwerden der Eltern werden von der Stadtverwaltung systematisch ignoriert, schimpft Chus Martínez, Ulisses Calabuig fügt hinzu:

    "Dieses Viertel wurde neu gebaut, ein Einkaufszentrum hingepflanzt aber an grundlegende Bedürfnisse wie Krankenstation oder Schule hat niemand gedacht. Dabei hätte man mit jeder der Provisionen, die für die Stadt der Künste und Wissenschaften bezahlt wurden, drei Schulen bauen können!"

    Gegenüber des Colegio 103 blinken die weißen Kacheln der Stadt der Künste und Wissenschaften in der Sonne. 200 Meter Luftlinie trennen die beiden Stationen der "Route der Verschwendung". Doch die ausländischen Touristen, die sich vor Calatravas spektakulärer Kulisse fotografieren lassen, finden kaum den Weg hierher. Umso mehr freut sich Ulisses Calabuig über die Besucher der alternativen Stadtführung. Vielleicht, hofft er, lenkt die Verwaltung ja ein, wenn der öffentliche Druck groß genug wird. Die Stadt hat bereits reagiert – sie lässt die ungewöhnlichen Stadtführungen zuweilen von zwei Polizeiautos eskortieren.