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Verweigerter Truppenbesuch in Konya
Ex-NATO General: Abzug würde Verlässlichkeit der Deutschen infrage stellen

Ex-NATO-General Egon Ramms zeigt sich erstaunt darüber, dass die Türkei und Deutschland im Streit um verweigerte Truppenbesuche in Konya gleichermaßen von NATO-Generalsekretär Stoltenberg zur Ordnung aufgerufen wurden. Im Dlf empfahl er Deutschland Härte in den Verhandlungen. Von einem Abzug aus Konya riet er aber dringend ab.

Egon Ramms im Gespräch mit Mario Dobovisek | 18.07.2017
    Egon Ramms in einer Aufnahme von 2011.
    Wen Deutschland jetzt aus Konya abzieht, stellt es seine Verlässlichkeit als Bündnispartner in Frage, sagt der Ex-NATO-General Egon Ramms. (imago/Rainer Unkel)
    Mario Dobovisek: Aus Incirlik in der Türkei zieht die Bundeswehr gerade ab – im Streit mit der türkischen Regierung, die wiederholt deutschen Abgeordneten den Besuch der Soldaten verwehrt hat. Eine rote Linie ist das für den Bundestag, der die Bundeswehr zurecht als Parlamentsarmee betrachtet. Es geht um Kontrolle und auch um Fürsorgepflicht. An all dem fühlen sich die Abgeordneten gehindert. Auch in Konya, ebenfalls in der Türkei, sind Bundeswehrsoldaten stationiert für den NATO-Einsatz der AWACS-Luftüberwachungsflugzeuge im Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat, und auch hier hat die Türkei jüngst einen Abgeordnetenbesuch verweigert. Die Bundesregierung reagiert zurückhaltender als bei Incirlik, will derzeit keine Frist setzen, hofft auf einen neuen Reisetermin. Darüber möchte ich sprechen mit Egon Ramms, Bundeswehrgeneral außer Diensten. Einst war er der ranghöchste deutsche Offizier bei der NATO. Guten Morgen, Herr Ramms.
    Egon Ramms: Guten Morgen, Herr Dobovisek.
    Dobovisek: NATO-Generalsekretär Stoltenberg ruft Deutschland und die Türkei zur Räson, ermahnt die Außenminister beider Länder, den Konflikt beizulegen. Ist das die richtige Antwort der NATO auf den Streit um die Abgeordnetenreisen?
    Ramms: Ich bin etwas erstaunt darüber. Die NATO hat ja auf der anderen Seite auch zugestanden, dass es das Recht der Parlamentarier beteiligter Nationen ist, ihre Soldaten bei solchen Einsätzen zu besuchen. Von daher, weil es ein NATO-Einsatz ist – das hat die NATO ja erst vor wenigen Tagen erklärt, dass sie sich selbst als Organisation an dem Kampf gegen den Islamischen Staat beteiligt – bin ich etwas überrascht, dass die Türkei und Deutschland gleichermaßen vom Generalsekretär zur Ordnung gerufen werden.
    Wehrbeauftragter habe recht, mehr NATO-Rückhalt zu fordern
    Dobovisek: Hans-Peter Bartels, der Wehrbeauftragte des Bundestages fordert mehr Unterstützung und Rückhalt der NATO für Deutschland. Sehen Sie das auch so?
    Ramms: Der Wehrbeauftragte hat Recht. Für mich ist das eine eindeutige Situation, auch wenn man zurückschaut auf die Entwicklung mit Incirlik. Damals hat sich unser Außenminister unter anderem mit dem Präsidenten Erdogan und mit dem Außenminister der Türken unterhalten, und sie haben damals zugesagt, die Türkei, dass davon Konya, von einem Besuchsverbot Konya nicht betroffen sein würde. Nun haben wir letzten Montag das andere Ergebnis erlebt, dass praktisch das gleiche Verfahren praktiziert wird, wie es vorher in Incirlik praktiziert wurde. Das kann einfach nicht richtig sein.
    Dobovisek: Wie sollte die Unterstützung und der Rückhalt der NATO aussehen?
    Ramms: Die NATO muss der Türkei in aller Deutlichkeit sagen, dass das AWACS-Geschwader, welches ja in Geilenkirchen stationiert ist, ein NATO-Verband ist und dass dieser Verband Aufträge durchführt, die die NATO ihm gibt, und dass diese von den NATO-Partnern gemeinsam durchgeführt werden und dass aus dem Grunde, wenn ich schon sage, dass eine Besuchsmöglichkeit für die Abgeordneten der jeweiligen Länder besteht, dass die Türkei in diesem Falle dann Konya auch offen machen muss. Und zweitens: Konya ist eine NATO-Airbase, die als Operational Base beziehungsweise als Ausweichflughafen für Geilenkirchen mit NATO-Infrastrukturmitteln in großen Teilen gebaut worden ist. Da muss man der Türkei schon klar machen, dass man da gewisse Ansprüche hat.
    "Ich bin mit Druckmitteln immer sehr vorsichtig"
    Dobovisek: Das klingt eher nach einer Nachhilfevorlesung für die Türkei, die Sie da fordern. Welche Druckmittel hätte denn die NATO und wie weit sollte die NATO gehen?
    Ramms: Ich bin mit Druckmitteln immer sehr vorsichtig, weil solche Druckmittel dann möglicherweise auch, wenn die Gegenseite sich auf eine harte Position stellt, dazu führen können, …
    Dobovisek: Das tut sie ja bereits.
    Ramms: Jawohl. ... dass ich meine Mittel und Möglichkeiten nicht mehr einsetzen kann und dann möglicherweise meine eigene Position schwäche. Auf der anderen Seite bin ich dafür, dass die NATO sehr deutlich der Türkei klar macht, dass dieses Geschwader ein NATO-Geschwader ist und NATO-Aufträge durchführt, und wenn mein Kenntnisstand richtig ist, fliegen auf diesen Maschinen ja auch türkische Soldaten mit. Von daher sollte man an die Türkei appellieren, dass man hier ein gemeinsames Einsatzmittel hat, welches man auch gemeinsam weiter betreiben möchte.
    Besuchsrecht ohne Rechtsgrundlage?
    Dobovisek: Sie haben es schon erwähnt: Die NATO räumt das Recht der Abgeordneten ein, die Soldaten auf NATO-Basen zu besuchen. Wie üblich sind denn solche Besuche auf derartigen Stützpunkten?
    Ramms: Ich nehme mal Konya als Beispiel. Wenn mein Kenntnisstand richtig ist, aus deutscher Perspektive, hat es bisher einen Antrag gegeben. Der war für März gestellt von Seiten der Linken für Jan van Aken, wenn ich das richtig im Kopf habe. Das ist der einzige Antrag gewesen. Der ist damals durch die Bundesregierung nicht befürwortet worden und die Türkei hat dem nicht stattgegeben. Dieses ist jetzt der zweite Besuch in Konya. Das heißt, wenn ich das mal so sagen darf, im Drei-Monats-Rhythmus, nicht allzu häufig.
    Dobovisek: Machen das nur die Deutschen so, oder gibt es auch andere Besucher, auch aus Ihrer NATO-Erfahrung heraus?
    Ramms: Es gibt auch andere Besuche, wobei die Deutschen, Stichwort Parlamentsarmee, offensichtlich da ein besonderes Interesse daran haben. Man müsste vielleicht auch das mal von der juristischen Seite her untersuchen. Wir müssen ja unterscheiden zwischen Legislative auf der einen Seite, also Parlament und Deutscher Bundestag, und Exekutive auf der anderen Seite. Nachdem eine Entscheidung für einen solchen Einsatz gefallen ist, ist normalerweise die Exekutive in der Ausführung dafür verantwortlich. Trotzdem sollte man den Parlamentariern solche Möglichkeiten nicht verwehren. Ich bin immer etwas vorsichtig, wenn von dem sogenannten Besuchsrecht gesprochen wird, weil ich nicht weiß, wo dieses Recht seine Grundlage hat.
    Die Türkei ist "bisher nicht bündnisuntreu geworden"
    Dobovisek: Müsste in letzter Konsequenz ein Bundestagsabgeordneter, der ja auch Mandate erteilt für Auslandseinsätze der Bundeswehr im Generellen, dann auch das Mandat entziehen, zum Beispiel jetzt in Konya für den NATO-Einsatz, und die Bundeswehr abziehen?
    Ramms: Ich stecke in den Köpfen unserer Abgeordneten nicht drin. Von einer solchen Maßnahme kann ich nur sehr dringend abraten, weil wir damit ja auch unsere Verlässlichkeit im Bündnis in Frage stellen, und da haben wir eine …
    Dobovisek: Aber ist nicht vielmehr die Verlässlichkeit der Türkei längst in Frage gestellt als Bündnispartner der NATO?
    Ramms: Die Türkei macht, was die Bündnistätigkeiten angeht, alles das, was von ihr erwartet wird. Das mag nicht immer mit unseren Auffassungen übereinstimmen, oder ihr Verhalten mag nicht mit unserer Auffassung übereinstimmen, aber sie ist bisher nicht bündnisuntreu geworden.
    Dobovisek: Wie sehr belastet dennoch dieser Streit mit der Türkei den Zusammenhalt in der NATO?
    Ramms: In erheblichem Umfange. Ich bin davon überzeugt, dass dieses hinter den Kulissen in Brüssel eine maßgebliche Rolle spielt und dass dort erhebliche harte Diskussionen stattfinden, die aber offensichtlich aus unserer Perspektive noch nicht zum Erfolg geführt haben. Vielleicht muss Deutschland auch mal irgendwann ein hartes Gesicht zeigen und eine harte Rolle ausüben, einfach um mal der Türkei klar zu machen, es gibt eine bestimmte Grenze und die wollen wir nicht mehr überschreiten.
    Diplomatie, Wirtschaft und "andere Sachen" als Hebel
    Dobovisek: Hart dann doch im Sinne eines Abzugs?
    Ramms: Nein, nicht hart im Sinne eines Abzugs. Aber ich bin davon überzeugt, dass mit Blick auf die Diplomatie, mit Blick auf Wirtschaft und andere Dinge es auch andere Sachen gibt, wo man auf die Türkei möglicherweise Einfluss ausüben kann. Es geht nicht immer, wir dürfen uns nicht immer nur auf den kleinen militärischen Teil beschränken, sondern wir müssen die Gesamtbeziehung sehen, die wir mit der Türkei haben.
    Dobovisek: Dennoch wird das ja diskutiert, Abzug oder nicht Abzug. Was würde denn ein solcher Abzug der Bundeswehrsoldaten für den AWACS-Einsatz dieser Luftaufklärer – wir kennen diese Flugzeuge mit diesem großen Radardom auf dem Dach für diejenigen, die jetzt nicht gleich ein Bild im Kopf haben -, was würde das für den Einsatz bedeuten?
    Ramms: Wir stellen für dieses Geschwader – und die NATO hat nur das eine – ein Drittel, etwas mehr als ein Drittel des Personals. Das heißt, ein solcher Einsatz ist ohne die deutschen Soldaten langfristig nicht mehr durchhaltbar.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.