Donnerstag, 18. April 2024

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"Verweigerung vor der Realität"

Der Politikberater Christoph Hörstel wirft der Bundesregierung eine "hanebüchene Propagandaanstrengung" zur Rechtfertigung der Einsatzstrategie in Afghanistan vor. "Da stimmt praktisch kein Faktum", wie es von Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) geäußert werde, sagte Hörstel. Er plädierte dafür, die Taliban an einer Friedenslösung für das Land zu beteiligen.

Moderation: Klaus Remme | 21.05.2007
    Klaus Remme: Wir haben mehrfach in dieser Sendung heute Morgen über Reaktionen auf das Selbstmordattentat in Kundus berichtet. Drei Bundeswehrsoldaten sind tot, fünf weitere verletzt. Ein Anschlag, der deutlich macht, erstens, das Einsatzgebiet der Bundeswehr im Norden des Landes ist alles andere als ungefährlich, zweitens, hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht, und drittens, auch eine auf Wiederaufbau ausgerichtete Mission sieht sich im Fadenkreuz der Taliban. Von Seiten der Bundesregierung wird bei aller Bestürzung versichert: Der Einsatz geht weiter. Zu den unterschiedlichen Ansätzen der ISAF-Schutztruppe einerseits und dem Anti-Terror-Kampf der Operation Enduring Freedom mit vielen zivilen Opfern andererseits sagte der Verteidigungsminister heute Morgen hier in dieser Sendung:

    "Tatsache ist, dass beide Einsätze, das heißt ISAF zur Stabilisierung und zum Schutz und zum Wiederaufbau und Operation Enduring Freedom zur Terrorismusbekämpfung. Man muss hier eins deutlich sehen: Natürlich sind Gebiete, wo es bisher noch nicht so war, dass ISAF tätig war, doch erheblich sicherheitsgefährdet und die Taliban, die beispielsweise im Süden vorhatten, den Staudamm zu zerstören. Damit wird deutlich, wie Sicherheit und Wiederaufbau auch zusammenhängen. Hier muss es noch weiterhin Aktivitäten geben, diese terroristischen Aktionen zu bekämpfen. Diese Maßnahmen müssen sich gezielt gegen diese Terroristen richten und wir müssen alles vermeiden, um hier die Zivilbevölkerung mit einzubeziehen, denn das löst dann gegenteilige Reaktionen aus."

    Der Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung vor einer Stunde hier im Deutschlandfunk.

    Am Telefon in München ist jetzt Christoph Hörstel. Er hat lange als Journalist gearbeitet, sammelt seit 20 Jahren Erfahrungen in der Region und arbeitet nun als Politikberater auch für offizielle Stellen vor Ort. Er hat das vermutlich letzte Interview mit Mullah Dadullah geführt, dem Militärchef der Taliban, der in der vergangenen Woche von Truppen getötet wurde. Guten Morgen, Herr Hörstel!

    Christoph Hörstel: Guten Morgen, Herr Remme!

    Remme: Herr Hörstel, wir haben den Bundesverteidigungsminister gehört. Können wir uns ein Weiter-so in Afghanistan leisten?

    Hörstel: Auf gar keinen Fall. Ich muss sagen. ich bin erschüttert gewesen gestern und heute noch über den Tod der Bundeswehrsoldaten in Kundus, aber ich bin genauso erschüttert über das, was der Minister heute gesagt hat. Ich habe mir lange überlegt, was soll ich Ihnen jetzt dazu am Mikrofon sagen. Ich kann nur sagen: Dieses grenzt an Desinformation der Bevölkerung in Deutschland. So kann nicht regiert werden. So kann in Afghanistan nicht gearbeitet werden. Da stimmt praktisch kein Faktum, wie vom Minister geäußert. Und die Verweigerung vor der Realität, Entschuldigung, die wird uns überhaupt nicht weiterführen.

    Remme: Was meinen Sie konkret?

    Hörstel: Ganz konkret, sage ich zum Beispiel, dass Herr Minister Jung gesagt hat, Ausbildungslager für Terroristen, die gebe es ja jetzt nicht mehr und die hätte man bekämpfen müssen. Die gibt es heute immer noch. Sie sind nur viel kleiner geworden, viel spezieller und viel mehr frische Kämpfer laufen einfach mit kämpfenden Gruppen mit und "learning by doing" ist das Thema jetzt. Wir haben Waffen aus China, Russland und eventuell aus dem Iran. Wir haben die pakistanisch-afghanische Grenze mit Zustimmung der USA geöffnet im vergangenen Jahr, am 6. September ganz genau, durch ein Abkommen von Nord- Waziristan. Die NATO selbst hat dann nachgezählt, dass 350 Prozent mehr Taliban-Anschläge, nämlich ganz genau von 40 auf 140 Anschläge, innerhalb von zwei Monaten zu verzeichnen waren. Wir haben Tausende neuer Selbstmordattentäter auf freiwilligen Listen, und die sind begierig, zuerst zu sterben, 50 Prozent davon Frauen, und das alles findet statt im Überwachungsbereich der CIA und kaum mit messbaren Gegenmaßnahmen in Pakistan, wo man das tun könnte, hoch interessant.

    Remme: Herr Hörstel, spielen die deutschen Soldaten mit ihrer Betonung auf Wiederaufbau, auf Vertrauensbildung eine Sonderrolle?

    Hörstel: Das tun sie mit Sicherheit. Der Norden eignet sich dafür. Er ist ruhiger. Aber es ist ganz klar, dass die Deutschen eine Insel der Glückseligkeit, bei allerbestem Willen, den sie haben, und bei allergrößter Leistung, die sie bringen, und bei bester Vorbereitung, die sie auch annähernd haben, dass sie da eben eine solche Insel nicht schaffen können. Denn die politischen Vorgaben, ganz offen gestanden, muss man einfach auch den Deutschen sagen, die hier sich jetzt fragen, wie geht' e denn weiter, sind so grandios schlecht. Hier bewundere ich auch den Minister, der klaglos jetzt seinen Kopf hinhält und nicht sagt, dass auch Außenminister Steinmeier und die Bundeskanzlerin höchstselbst diese ekelhaften Vorgaben, unter denen er selbst auch arbeiten muss, mit geschaffen haben, ein höchst mangelhafter Demokratieprozess zum Beispiel, anders als hier gemeldet in den Medien mit unter 50 Prozent Wahlbeteiligung, weil wir immer ausgehen von denen, die sich zur Wahl gemeldet haben, aber das sind ja bei weitem nicht alle gewesen. Da haben wir uns wieder selbst belogen. Karsai ist der Besitzer seines Stuhls. So lautet sein Beiname in Afghanistan. Der hat nicht mal mehr in Kabul etwas zu sagen und muss sich von einer amerikanischen Söldnertruppe schützen lassen.

    Remme: Herr Hörstel, ich habe das Interview mit Mullah Dadullah erwähnt. Wenn Sie das Gespräch mit der Kenntnis des Anschlags von Samstag in Verbindung bringen, welche Bezugspunkte gibt es?

    Hörstel: Im Prinzip gibt es drei, vier Bezugspunkte. Ich nenne mal eigentlich einen hoch wichtigen, den auch der Minister angeführt hat, und da geht es um Drogen. Da sagt Mullah Dadullah, damit wird viel Geld verdient. Der größte Drogenhändler ist der Bruder von Karsai, und das stimmt leider Gottes. Das ist unsere Erkenntnislage. Der zweitgrößte, sagt er, heißt Sher Mahmad, und die Nummer drei ist Jan Mahmad. Und alle drei sagen, sagt er, haben hohe Positionen in der Regierung. Der Bruder von Karsai vielleicht nicht, aber die beiden anderen ganz genau. Wer das ist, konnte ich in der Kürze der Zeit nicht mehr in Erfahrung bringen, aber eins ist klar: Das sagt die von der Friedrich-Ebert-Stiftung unterstützte Organisation Tribal Liaison Office (TLO) in einem Geheimpapier für die niederländische Botschaft in Kabul: Man kann in Afghanistan heute nicht Polizeioffizier werden ohne ein Kopfnicken des örtlichen Drogen-Warlords. Und das, Herr Remme, ist das Ende unserer Polizeipolitik in Afghanistan.

    Remme: Das heißt, die Mission, so wie sie angelegt ist, ist zum Scheitern verurteilt?

    Hörstel: Absolut! Die ist nicht nur zum Scheitern verurteilt; die ist ganz kontraproduktiv. Die NATO steht vor ihrem ersten Kriegsverlust in der Geschichte und das gleich bei Ausrufung des ersten Bündnisfalls, und ich kann mir eigentlich überhaupt nichts Schlimmeres vorstellen, und wie unsere Politik damit umgeht, das ist einfach nur noch zum Weglaufen.

    Remme: Ich habe es den Verteidigungsminister auch schon gefragt. An Kurt Beck habe ich erinnert mit seinem Vorschlag, anlässlich einer möglichen Afghanistan-Konferenz auch Taliban-Vertreter einzuladen. Er hat viel Kritik bekommen für diesen Vorschlag. Ist es oder wäre es nicht wirklich das falsche Signal, sich mit Kräften an einen Tisch zu setzen, die hinter diesen Anschlägen stecken?

    Hörstel: Ja. Das könnte man natürlich zunächst einmal vermuten, dass das so wäre. Nur, was haben wir denn bisher geleistet? Als wir anfingen mit unseren Einsätzen in Afghanistan Ende 2001 und mit Hilfe der Nordallianz, die auch hoch korrupt und mörderisch ist und deren Drogen-Warlords wir in Symbiose pflegen mit unseren Soldaten in Kundus und Faisabad, um das auch zu sagen, da waren die Taliban praktisch kaputt und auf dem Hund. Niemand wollte sie mehr haben. Sie hatten ein furchtbares Schikane-Regime errichtet und waren auch mörderisch vorgegangen. Aber sie hatten für Ruhe und Ordnung gesorgt, das habe ich damals auch geschrieben, und das hat viele auch erleichtert. Immerhin: man war froh, sie los zu sein. Das war eine sehr scharfe Kontrolle.

    Aber jetzt kommen die wieder. Warum denn? Nicht weil die so toll sind, sondern weil wir so schlecht sind. Das ist die Situation. Aber sie sind mächtig geworden, und deswegen hat Herr Beck vollkommen Recht. Ohne Taliban ist ein effizienter und vor allen Dingen sicherheitsmäßig nachhaltiger Frieden gar nicht mehr zu erreichen. Das Problem ist: Da ist eine Zeitschiene darin. Wenn wir tatsächlich nachhaltige Sicherheit noch heraushandeln wollen bei den Taliban, dass eben von Afghanistan aus keine Terroranschläge mehr ausgehen und dass es keine Terrorausbildungslager für Anschläge im Ausland gibt, wie es das in der Vergangenheit gab zusammen mit Brüderchen Osama, dann müssten wir uns jetzt allerdings einer radikalen Wende unserer Politik gegenüber Afghanistan befleißigen. Dazu, ehrlich gesagt, sehe ich auch deshalb null Ansatz, weil ich mit Unterstützung des Widerstandes in Afghanistan oder mit Teilen davon zum Beispiel einen Friedensplan, der nachhaltige Sicherheit garantiert, der Bundesregierung und allen Ministerien vorgelegt habe und wurde von einigen dafür zur persona non grata erklärt. Also kann man nur sagen: Augen zu, Kopf in den Sand.

    Remme: Herr Hörstel, wie sieht denn dieser Friedensplan aus?

    Hörstel: Ganz kurz geht es darum, dass man probeweise in einer Provinz einmal einen bestimmten "stand of" schafft. Das heißt, keiner nimmt mehr eine Waffe in die Hand, die Taliban nicht und die andere Seite auch nicht, und keiner darf foltern, entführen oder so etwas und die Taliban dürfen keine Waffenlager anlegen oder wieder schaffen.

    Remme: Was macht Sie sicher, dass dieses Konzept aufgeht?

    Hörstel: Ich glaube, es lohnt den Versuch. Unsere amerikanischen und britischen Freunde haben ja geradezu hanebüchen stümperhafte Versuche in Süd-Afghanistan durchgeführt. Von dem einen habe ich eben erzählt: Öffnung der Grenze mit was für wahnsinnigen Folgen. Also denke ich, wir Deutschen hätten vielleicht in unserem Gebiet auch mal einen Versuch frei.

    Remme: Sie plädieren für diese Kursänderung. Haben Sie da schon offizielle Reaktionen aus Kabul?

    Hörstel: Ja, habe ich eingesammelt im letzten Jahr. Die waren fast durchweg positiv. Nur der stellvertretende Finanzminister erklärte, als allererstes wollte er meinen Freund Hekmatjar töten, den ich aus dem Schützengraben beim Krieg gegen die Sowjetunion kenne und mit ihm seitdem befreundet bin, unabhängig von den Meinungsänderungen der CIA. Das hat er natürlich gesagt, um mich ein bisschen zu schocken. Aber im Prinzip waren die allgemeinen Ansätze sehr positiv. Karsai ist Realitätspolitiker. Das ist ganz, ganz klar. Deswegen redet er mit den Taliban und nicht nur, wie Herr Minister Jung heute Morgen erklärt hat im Deutschlandradio, es ginge darum, die sozusagen zur Vernunft zu bringen oder in den Demokratieprozess hineinzuziehen. Nein, der redet mit denen, weil er mit denen reden muss. Sonst fegen sie ihn weg.

    Remme: Abschließend, Herr Hörstel. Wie sehen Sie die nächsten Wochen und Monate?

    Hörstel: Die nächsten Wochen kann ich Ihnen nicht sagen, aber in den nächsten Monaten sehe ich weitere Bundeswehrtote leider Gottes voraus. Das ist klar, und ich sehe auch im Moment noch überhaupt keinen Ansatz der Bundesregierung, in irgendeiner Form effizient gegenzusteuern. Ich sehe nur eine hanebüchene Propagandaanstrengung.

    Remme: Der Politikberater und Afghanistan-Experte Christoph Hörstel. Herr Hörstel, vielen Dank.

    Hörstel: Gerne.