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Verwesungsgeruch und Totentanz

1930 erschien William Faulkners "Als ich im Sterben lag" - für diese Zeit ein Roman allergrößter Modernität. Faulkner dekonstruiert die scheinbar geordnete Welt der amerikanischen Südstaaten sowohl inhaltlich als auch formell. Als einer der ersten Autoren etabliert er den inneren Monolog seiner Figuren als Stilmittel.

Von Eberhard Falcke | 01.07.2012
    Es war, nach ersten Ausflügen in die Welt, eine Heimkehr in jedem Sinn. Als William Faulkner sich 1928 wieder dauerhaft in der Kleinstadt Oxford im Bundesstaat Mississippi niederließ, kehrte er an den Ort seiner Kindheit und Jugend zurück. Zugleich aber kam er damit einen großen, entscheidenden Schritt voran. Denn er eroberte sich nichts Geringeres als das Herzland seiner Literatur. Er war Kadett der kanadischen Royal Airforce gewesen, hatte ein wenig studiert, in New York als Angestellter einer Buchhandlung gearbeitet, in New Orleans sein Leben als Schriftsteller begonnen, auf einer Grand Tour durch Europa die Alte Welt kennengelernt. Er hatte Gedichte, Erzählungen und Romane geschrieben und sich mit den ätherischen Problemen von Kunst und Künstlern auseinandergesetzt. Doch dann hatte ihm der ältere Schriftstellerkollege Sherwood Anderson eines Tages ins Gewissen geredet:

    "Du bist ein Junge vom Land, alles, was Du kennst, ist der kleine Fleck da oben in Mississippi, wo Du herkommst."

    Dorthin ging er also, die Dreißig hatte er gerade überschritten, er setzte sich an die Romane, mit denen er in die Weltliteratur eingehen sollte, er heiratete und kaufte in Oxford ein heruntergekommenes Herrenhaus, das er eigenhändig renovierte. Die Verkäuflichkeit seiner Bücher war ihm zu diesem Zeitpunkt weniger wichtig als die ganz eigenen Ideen, die ihm vorschwebten. Aus einer Kurzgeschichte über einige Kinder und die Art, wie sie ihre Welt erlebten, entstand sein Meisterwerk "Schall und Wahn", von dem er zunächst nicht glaubte, dass sich dafür jemand interessieren würde. "Schall und Wahn" war ein kompliziertes Romanprojekt, das sich nur zäh und auf Umwegen entwickelte. Die Arbeit an seinem nächsten Roman dagegen ging Faulkner an wie einen Handstreich.

    "Ich hatte von vornherein die Absicht, eine Tour de Force zu schreiben. Bevor ich überhaupt die Feder ansetzte und das erste Wort schrieb, wusste ich, wo ich den letzten Punkt setzen würde. Bevor ich anfing, sagte ich mir, ich will ein Buch machen, mit dem ich stehe oder falle, und wenn ich nie wieder Tinte anrühren soll."

    Heraus kam "Als ich im Sterben lag". Der Roman erschien 1930, und er trug ebenfalls entscheidend dazu bei, dass Faulkners Weg zu Weltruhm und Nobelpreis gebahnt wurde. Tatsächlich war es eine Tour de Force im doppelten Sinn, auf die sich Faulkner hier eingelassen hatte. Er schrieb das Buch, wie er behauptete, in nur sechs Wochen, des Nachts, während er das Heizwerk der Universität beaufsichtigte. Zugleich aber handelt der Roman buchstäblich von einer verrückten Gewalttour, von einem schicksalsprallen Abenteuer, von einer Odyssee, deren Personal allerdings nicht aus griechischen Helden, sondern aus ärmlichen amerikanischen Südstaatenfarmern besteht.

    Genaugenommen sind das der klapperdürre, etwas krumme Anse Bundren, seine Tochter und die vier Söhne sowie einige ihrer Nachbarn; außerdem treten noch ein Geistlicher und ein Arzt auf. Und, nicht zu vergessen, natürlich die heimliche - oder vielmehr: ein wenig unheimliche Hauptfigur Addie Bundren, die Ehefrau von Anse und Mutter seiner Kinder. Um sie herum und um ihretwillen findet der ganze Wirbel statt, obwohl sie während des längsten Teils der Romanhandlung schon nicht mehr unter den Lebenden weilt. Denn sie ist es, auf die sich die aus der homerischen "Odyssee" entlehnte Titelzeile bezieht: "Als ich im Sterben lag". Vor dem Fenster ihres Zimmers nagelt der älteste Sohn Cash, seines Zeichens Zimmermann, bereits den Sarg zusammen. Der Krach des Sägens und Hämmerns durchdringt das ganze Haus.

    "He, Cash!", ruft sie, ihre Stimme schroff, fest, ungebrochen. "Hörst du, Cash!"
    Er sieht zu dem hageren, im Dämmerlicht vom Fenster gerahmten Gesicht hinüber. Es ist ein Bild, das zusammengesetzt ist aus aller Zeit, seit er ein Kind war. Er lässt die Säge fallen und hebt das Brett hoch, damit sie es sehen kann. Mit der freien Hand zeichnet er die Umrisse des fertigen Sargs in die Luft.
    Sie legt sich zurück und wendet den Kopf, ohne auch nur einen flüchtigen Blick für Pa zu haben. Sie schaut zu Vardaman. Ihre Augen: jäh kehrt Leben in sie zurück; die beiden Flammen leuchten einige Sekunden ruhig und hell auf, dann gehen sie aus, als hätte jemand sich niedergebeugt und sie ausgeblasen.


    Das ist der letzte Moment in Addie Bundrens Leben. Und damit beginnt ein großes Hindernisrennen, das sich ohne Weiteres als Gleichnis für das Dasein dieser Menschen überhaupt begreifen lässt. Denn so schwer sie es auch haben, sie kämpfen sich durch, mit Überlebenswillen, Gottvertrauen, Tricks, Hoffnung und Sturheit. Auch die Familie Bundren gehört zu den Bewohnern von Yoknapatawpha County, jenem provinziellen Winkel, den Faulkner nach dem Vorbild seiner Heimat erfunden hat, um ihn mit seinen Romanen zu einem der berühmtesten Landstriche der Weltliteratur zu machen.

    "Angefangen mit "Sartoris" entdeckte ich, dass es sich lohnte, über die kleine Briefmarke meiner heimatlichen Erde zu schreiben und dass ich keinesfalls lange genug leben würde, um sie auszuschöpfen. Es öffnete sich mir der Zugang zu einer Goldmine von Menschen, und so erschuf ich mir einen eigenen Kosmos."

    Zu den besonders hochkarätigen Goldstücken aus dieser Mine zählen zweifellos die Mitglieder der Familie Bundren. Durch den Tod von Addie, der Ehefrau von Anse und der Mutter der Söhne Cash, Darl, Jewel, Vardaman und der Tochter Dewey Dell werden alle mit dem Tod konfrontiert, was nichts anderes heißt, als dass sie sich mit ihrem Leben, ihrem Tun und Lassen, auf die Probe gestellt sehen.

    Zumal Addie ihnen, namentlich ihrem Mann Anse, eine Aufgabe gestellt hat. Ihr letzter Wunsch ist es, in Jefferson, in der Provinzhauptstadt begraben zu werden, dort wo sie herkam, wo sie sich standesgemäß heimisch fühlt, und von wo sie nur weggegangen ist, weil sie keinen besseren Mann als den mickrigen Anse finden konnte. Doch Addies letzter Wunsch hat es in sich. Denn der Weg nach Jefferson ist für Maultierfuhrwerke, wie sie zu Beginn des Automobilzeitalters in den Kreisen kleiner Farmer noch üblich waren, eine beachtliche Reise. Um so mehr als just in dem Moment, als Addie sich anschickt, den letzten Atemzug zu tun, die Schwierigkeiten wie Pilze aus dem Boden schießen: Die Söhne Darl und Jewel müssen unbedingt schnell noch eine andere Fuhre erledigen, um drei wertvolle Dollar zu verdienen. Der schwere Regen hat die Wege aufgeweicht, die Flüsse sind angeschwollen und die Brücken wurden hinweggeschwemmt. Und dann will sich der störrische Sohn Jewel zum Verdruss des Vaters partout nicht ordentlich auf den Wagen zu den anderen hocken, sondern auf seinem in heimlicher Nachtarbeit verdienten Mustang eitel einher reiten.

    "Ich hab ihm gesagt, er soll nicht mit dem Pferd kommen, aus Achtung vor seiner toten Ma, denn wie würde das aussehn, er auf einem verdammten Zirkusgaul, der neben uns her tänzelt, wo sie doch gewollt hat, dass wir alle im Wagen mit ihr fahren, alle, die von ihrem Fleisch und Blut sind."

    Yoknapatawpha County und seine Menschen lassen nicht gerade den Eindruck entstehen, dass sie sich auf der Höhe der Zeit befinden. Als der Roman 1930 erschien, hatten der Fortschritt und die Katastrophen des Zwanzigsten Jahrhunderts längst volle Fahrt aufgenommen. Dagegen setzte Faulkner ganz entschieden die unendlich viel zähflüssigeren, stark zum Stillstand tendierenden Zustände seiner kleinen Weltprovinz. Dadurch erhalten seine Figuren und die Verhältnisse, in denen sie sich bewegen, einen starken Zug ins Archaische, Archetypische, Immergültige.

    Formal jedoch war der Roman von allergrößter Modernität und zählte bald zu den wichtigsten Marksteinen des literarischen Fortschritts. Die ganz große Raffinesse besteht dabei darin, wie Faulkner diese scheinbar so festgefügte, in Glaubenswahrheiten ruhende und von sozialen Regeln geordnete Welt durchrüttelt, aufbricht und mit geradezu diabolischer Kunstfertigkeit in alle Einzelteile zerschlägt. Und zwar sowohl mit den Mitteln der Form als auch auf der Ebene der Handlung.

    Faulkner gehörte zu jenen Schriftstellern wie James Joyce, Virginia Woolf und vorher schon Éduard Dujardin und Arthur Schnitzler, die das Innere ihrer Figuren zum Sprechen gebracht haben, ganz unmittelbar und direkt. Innerer Monolog und Stream of Consciousness, Bewusstseinsstrom sind die einschlägigen Stichworte. In "Als ich im Sterben lag" trieb er den erzählerischen Perspektivwechsel von Figur zu Figur, mit dem er schon in "Schall und Wahn" gearbeitet hatte, noch um einige Grade weiter. Das machte die Komposition jedoch keineswegs komplizierter, sondern vereinigte, im Gegenteil, auf bündige Weise Transparenz und Übersichtlichkeit. Abwechselnd kommen über ein Dutzend Figuren zu Wort. Aus der Sicht des Farmers Samson gibt der merkwürdige Leichentransport der Bundrens folgendes Bild ab:

    /"/Es war kurz vor Sonnenuntergang, als der Wagen die Straße raufkam. Fünf waren sie, und der sechste zu Pferd hinterher. Einer hob die Hand, aber sie fuhren am Laden vorbei, ohne anzuhalten. "Wer ist das?", fragt MacCallum.
    "Das ist Bundren, aus der Gegend hinter New Hope", sagt Quick. "Die haben anscheinend noch nicht gehört, was mit der Brücke ist", sagt er.
    "Was tun die überhaupt hier oben?", fragt MacCallum.
    "Machen sich einen freien Tag, weil er seine Frau beerdigen muss", sagt Quick. "Wollen wohl in die Stadt und müssen hier lang, weil Tulls Brücke doch auch weg ist. Ich wundere mich, dass sie keine Ahnung haben, was mit dieser Brücke ist."
    "Sie werden fliegen müssen", sag ich. "Ich glaube nicht, dass zwischen hier und der Ishatawa-Mündung noch eine einzige Brücke steht."

    Durch die Aufsplitterung der Erzählperspektiven in diese vielen Figuren entsteht ein facettenreiches Bild des Geschehens aber auch des handelnden Personals. Jede Person betrachtet die Vorgänge und ihre Rolle dabei anders, jede kommt mit ihren eigenen Gedanken, Gefühlen oder Geheimnissen zu Wort. Der zweitälteste Bruder Darl etwa ist ein scharfer Beobachter, dem sich alle Bewegungen und Regungen in der Familie plastisch einprägen. Die Tochter Dewey Dell hat vom Tod der Mutter abgesehen ganz eigene Sorgen, weil sie schwanger ist und sie nun sehen muss, wie sie mit den zehn Dollar von ihrem Freund Lafe zu einer Abtreibung kommt. Vardaman, der kleinste unter den Brüdern, ist noch im kindlich-magischen Denken befangen und bohrt Löcher in den Sarg, weil er panische Angst hat, seine Mutter könne darin ersticken. Whitfield, der Pfarrer, hatte sich schon entschlossen, einzugestehen, dass er mit Addie ein ehebrecherisches Verhältnis hatte, doch dann deutet er ihren Tod als ein Zeichen Gottes, durch das er sich von dieser Demütigung befreit glaubt.

    Heute sind solche multiperspektivischen Erzähltechniken vertraut, doch 1930 war das eine aufsehenerregende literarische Errungenschaft, so bedeutend wie, sagen wir, das Grammophon für die Tonaufzeichnung. Sogar der toten Addie gibt Faulkner noch die Gelegenheit, zu erklären, dass in ihren Augen die Worte und das wirkliche Leben überhaupt nichts miteinander zu tun haben. Womit sie zweifellos auch das Wort Gottes meint.

    "Damals lernte ich, dass Wörter keinen Sinn haben, dass Wörter nie passen, einerlei, was sie auszudrücken versuchen. Ich wusste, dass "Furcht" von jemandem erfunden war, der nie Furcht gekannt hatte; "Stolz" von jemandem, der nie stolz gewesen war. Ich wusste, dass wir durch Wörter miteinander hatten umgehen müssen, Wörter, die vor ihren Mündern wie Spinnen von einem Balken hingen, sich hin und her bewegten, sich drehten und nie die richtigen waren."

    Tatsächlich - um im Bild zu bleiben - spottet das Handlungsgeschehen des Romans jeder Beschreibung, aus der sich eine Sinnstiftung für die menschliche Existenz gewinnen ließe. Die Fahrt nach Jefferson, die eigentlich als die schlichte Erfüllung von Addies Wunsch gedacht war, wächst sich aus zu einem Aufruhr des rohen Lebens gegen alle edlen und höheren Absichten. Es beginnt schon damit, dass Addie, als ihre letzte Reise endlich losgehen kann, bereits einige Tage tot ist. Die Verstorbene hat sich in einen verwesenden Leichnam und damit in einen zunehmend übler riechenden Skandal verwandelt, über den die Leute empört den Kopf schütteln. Immer mehr Bussarde kreisen über dem durchs Land ziehenden Fuhrwerk der Bundrens und es gehört zu den bösen Pointen des Romans, dass diese Steigerung des Verwesungsgeruchs in der nichtlinear kreisenden Erzählstruktur den verlässlichsten Maßstab für das Vergehen der Zeit abgibt. Den turbulenten Höhepunkt von Addies rumpliger Fahrt zur ewigen Ruhe stellt die Überquerung des Flusses dar, an dem kein Fährmann wartet und dessen jenseitiges Ufer auch nicht ins Totenreich führt, sondern weiterhin ganz von dieser Welt ist. Der Fluss führt Hochwasser, die Brücken sind weggeschwemmt und als einziger Ausweg bleibt die Durchquerung einer Furt. Vernon Tull, der getreue Freund der Familie, beobachtet vom Ufer aus den Fortgang des Schlamassels.

    Dann schlug der Wagen um, und er und Jewel und das Pferd waren ein einziges wildes Durcheinander. Cash hielt immer noch den Sarg umklammert, aber ich konnte ihn nicht sehen, und dann sah ich gar nichts mehr, weil das Pferd einen Satz vorwärts machte und das Wasser hochspritzte. Ich dachte, Cash hat den Sarg losgelassen und schwimmt jetzt hinterher, und ich schrie Jewel zu, er soll zurückkommen, und dann, ganz plötzlich, gingen er und das Pferd auch unter, und ich dachte, jetzt ist es mit allen aus. Es sah schon entsetzlich aus, und da stand ich, bis zu den Knien im Wasser, und schrie Anse hinter mir an: "Siehst du jetzt, was du angerichtet hast? Siehst du, was du angerichtet hast?"

    Damit aber ist die Reise, ebenso wenig wie die Pechsträhne, noch lange nicht zu Ende. Trotz aller Verschiedenheit von Zeit und Schauplatz weist die Katastrophendynamik, die Faulkner hier entfesselt, voraus auf Louis-Ferdinand Célines im Zweiten Weltkrieg entstandenen Roman "Guignol’s Band".

    Das treuherzige Unternehmen von Addies Heimführung jedenfalls gebiert weiterhin monströse Verwicklungen und allerhand Unheil. Und das, obwohl alle Beteiligten, sogar der aufmüpfige Jewel, guten Willens und ohne Arg sind. Sie alle verfolgen lediglich den Pfad ihres kleinen, nicht sonderlich bösartigen Eigennutzes. Im Wesentlichen sind sie allesamt einigermaßen unschuldige Landeier. Dennoch ist die Spur von Not, Torheit und Zerstörung, die sie hinterlassen, atemberaubend. Das ist eine weitere Pointe des Romans. Mit anderen Worten: Faulkner zeigt uns, dass zur Produktion von Unglück, Unheil und Chaos keine besonderen Qualifikationen nötig sind. Ganz normale, durchschnittliche Menschen sind dafür bestens geeignet.

    Aber das ist natürlich keine Lehre, sondern nur eine Lesart. Denn die faszinierende Vielstimmigkeit, aus der "Als ich im Sterben lag" zusammengesetzt ist, lässt den Roman als ein lebenspralles Vexierbild erscheinen, das mehr als eine einzige Deutung zulässt.
    Kaum zu glauben, dass bei alledem auch noch ein Happy End möglich ist. Oder genauer gesagt - und das ist noch eine von Faulkners sehr en passant präsentierten Pointen -: die haarsträubend mickrige Parodie eines Happy Ends. Kaum hat nämlich Anse, der Witwer, die Mutter seiner Kinder unter die Erde gebracht, kommt ans Licht, dass er mit der Reise nach Jefferson noch ganz eigene Absichten verbunden hat: Endlich konnte er seinen zahnlosen Mund wieder mit Kauwerkzeugen ausstatten. Und damit nicht genug: Renoviert und mit frischem Biss hat er auch gleich noch eine neue Frau gefreit. Der älteste Sohn Cash beschreibt das Erstaunen, das darob den Familienkreis erschauern lässt:

    "Dann sahen wir, dass es nicht die Reisetasche war, die ihn anders aussehen ließ: es war sein Gesicht, und Jewel sagt: "Er hat Zähne!"
    Er hatte tatsächlich ein Gebiss und sah einen Fuß größer aus als sonst, er hielt den Kopf höher, sah stolz aus und zugleich kleinlaut, und dann sehn wir sie hinter ihm, auch mit einer Reisetasche – eine entenförmige, feingemachte Frau mit einschüchternden Glubschaugen, die einem Mann klarmachen, dass er gut dran tut, wenn er den Mund hält. Und dann sehe ich, dass die Tasche, die sie trägt, keine Tasche ist, sondern eins dieser kleinen Grammophone."

    Das Leben in Yoknapatawpha County geht also weiter und sogar mit Schallplattenmusik. Ein Totentanz steckt in diesem Roman eben neben allem anderen auch noch. Falukners "Als ich im Sterben lag" gehört zu den ewiggültigen Büchern, die nie veralten und in denen jede Zeit Spiegelungen ihrer eigenen menschlichen, erschütternden oder lachhaften Verhältnisse wiederentdecken kann.

    Bisher gab es die deutsche Übersetzung von Albert Hess und Peter Schünemann aus dem Jahr 1961. Nun hat der Rowohlt Verlag den Roman zum fünfzigsten Todestag des Autors von Maria Carlsson neu übersetzen lassen. Es ist Mode geworden, Neuübersetzungen reflexhaft als besser, triftiger oder zeitgemäßer zu feiern. In manchen Fällen geschieht das zu Recht, aber das ist nicht die Regel. Die Regel ist eher, dass es sowohl in den alten wie in den neuen Versionen glänzende und blassere Stellen gibt. Der Gewinn der meisten Neuübersetzungen liegt vor allem darin, dass sie ein Werk erneut in Erinnerung bringen. Darin besteht auch der entscheidende Vorzug der Übersetzung von Maria Carlsson.

    William Faulkner starb am 6. Juli 1962 in Oxford/Mississippi mit nur fünfundsechzig Jahren an einem Herzanfall. Kurz zuvor war er beim Morgenritt von seinem Pferd abgeworfen worden. Seit Langem schon, eigentlich sein Leben lang hatte er viel getrunken. Es kam also einiges zusammen. Längst hat Faulkners Geschichte von der abenteuerlich-verrückten Reise, die Lebende in Gesellschaft ihrer Toten unternehmen, Schule gemacht. Der Brite Graham Swift verarbeitete diesen Stoff in seinem mit dem Booker Prize prämierten Roman "Letzte Runde" von 1996. Und davon handelt auch der Film "Getting Home" des Chinesen Zhang Yang von 2007. Doch die modernste, wildeste und bedeutungsreichste Fassung dieses Stoffes, das Original, bleibt William Faulkners "Als ich im Sterben lag".


    Literaturhinweis:
    William Faulkner: Als ich im Sterben lag. Roman. Aus dem Englischen von Maria Carlsson. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2012. 256 Seiten, 19,95 Euro.