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Verzicht auf Abtreibungsverbot
Polens Regierung beugt sich Protesten

Zunächst hatte die Regierung in Warschau den Gesetzentwurf einer Bürgerbewegung unterstützt. Dieser sah vor, das Abtreibungsrecht weiter zu verschärfen und rief landesweite Empörung hervor. Nun macht die Regierung einen Rückzieher - sagt aber eine Art Kompensation zu.

Von Florian Kellermann | 06.10.2016
    Das polnische Parlament.
    Das polnische Parlament stimmt gegen ein Verbot von Abtreibungen. (dpa/picture-alliance/Pawel Supernak)
    Die Entscheidung traf der Vorsitzende der Regierungspartei PiS, Jaroslaw Kaczynski, persönlich, berichten Medien. Er soll die Abgeordneten der rechtskonservativen Formation am Morgen zu einer eilig einberufenen Fraktionssitzung gebeten haben. Dort schwor er sie darauf ein, das Gesetzesprojekt zu verwerfen und das polnische Abtreibungsrecht nicht weiter zu verschärfen. Bei der Debatte heute sagte er: "Wir haben die größte Achtung vor den Bürgern, die für den Gesetzentwurf unterschrieben haben. Wir haben jedoch die Reaktion der Gesellschaft beobachtet und sind zu dem Schluss gekommen, dass dieses Gesetz genau das Gegenteil dessen bewirken wird, was es beabsichtigt. Die PiS bleibt weiter für den Schutz des Lebens und wird sich dafür einsetzen."
    Damit räumte Kaczynski ein, dass die Proteste von Frauen in den vergangenen Wochen den Ausschlag gaben. Am Montag hatten sich Zigtausende an einem sogenannten "Schwarzen Protest" beteiligt, in vielen kleineren Städten waren das die ersten Demonstrationen für Frauenrechte überhaupt. Umfragen zeigen außerdem, dass die große Mehrheit der Polen kein schärferes Abtreibungsrecht will.
    Für die PiS ist die Entscheidung die erste Niederlage nach ihrem Wahlsieg im vergangenen Herbst. Das Gesetzesprojekt war zwar nicht von der Regierung, sondern von einer Bürgerinitiative ins Parlament eingebracht worden. Führende PiS-Abgeordnete hatten jedoch ihre Sympathie für ein völliges Abtreibungsverbot erklärt, so auch Jaroslaw Kaczynski selbst. Schließlich sei er gläubiger Katholik, hatte der Parteivorsitzende gesagt.
    Enttäuschung und Erleichterung
    Dementsprechend enttäuscht war die Sprecherin der Bürgerinitiative für ein schärferes Abtreibungsrecht Joanna Banasiuk: "Vor zwei Wochen haben sie unser Projekt mit großer Mehrheit zur weiteren Bearbeitung in die Ausschüsse verwiesen. Da möchte ich fragen: Was ist in diesen 14 Tagen passiert, dass der Rechtsausschuss des Parlaments das Gesetz nun im Eilverfahren verworfen hat, ohne uns die Möglichkeit zu einer Stellungnahme zu geben? Ich kann ihnen versichern: Das Projekt selbst ist noch das gleiche, das sie vor zwei Wochen so enthusiastisch aufgenommen haben."
    Umgekehrt Erleichterung bei der polnischen Opposition. Die größeren Oppositionsparteien hatten die Proteste der Frauen unterstützt. Die rechtsliberale Bürgerplattform will das derzeit in Polen geltende Abtreibungsrecht beibehalten. Die liberale Partei "Die Moderne" dagegen tritt für eine Liberalisierung ein, eine sogenannte Fristenregelung wie in Deutschland. Deren Abgeordnete Joanna Scheuring-Wielgus erklärte: "Die polnischen Frauen haben dem PiS-Vorsitzenden Jaroslaw Kaczynski ein Bein gestellt und ihm Einhalt geboten. Kaczynski hat wohl nicht damit gerechnet, dass die Menschen aufbegehren können. Er hat die Wut der polnischen Frauen unterschätzt, wir haben sehr mutige, kämpferische und kluge Frauen."
    Die polnische Ministerpräsidentin Beata Szydlo versprach den Abtreibungsgegnern, als eine Art Kompensation, ein Maßnahmenpaket. Eltern, die behinderte Kinder aufziehen, sollen künftig stärker gefördert werden. Außerdem will die Regierung eine Informationskampagne starten, die sich gegen Abtreibung wendet. Kommentatoren schließen nicht aus, dass die PiS außerdem ein eigenes Gesetz erarbeiten wird, um das Abtreibungsrecht zu verschärfen. Vertreter der Partei deuteten an, ihr Gesetz könne dann zumindest die bisher erlaubte Abtreibung von Kindern verbieten, die schwere genetische Defekte aufweisen.