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"Verzichtbar sind sie alle"

Die ARD-Talkshowplaner richten sich zu sehr nach dem aktuellen Tagesgeschehen, kritisiert Friedrich Nowottny. Gebe es ein herausragendes Tagesthema, stürzten sich Jauch, Will, Plasberg und Co. darauf. "More of the same", also mehr von immer demselben, sei jedoch kein interessantes Angebot.

!Tobias Armbrüster sprach mit Friedrich Nowottny | 18.04.2012
    Tobias Armbrüster: Seit dem vergangenen Herbst herrscht im Abendprogramm der ARD die sogenannte Talkschiene. Das heißt, von Sonntag bis Donnerstag finden im Ersten Talkshows statt. Dass das ein bisschen eintönig werden könnte, darauf haben Kritiker dieses Konzepts schon vorher hingewiesen. In dieser Woche nun haben sich Vertreter des WDR-Rundfunkrates dazu geäußert und erstaunlich offen gesagt, dass sich viele dieser Befürchtungen bewahrheitet hätten. Es werde zu oft zum gleichen Thema getalkt und die Gesprächsrunden blieben zu häufig an der Oberfläche. – Am Telefon ist jetzt Friedrich Nowottny, der ehemalige Intendant des Westdeutschen Rundfunks. Schönen guten Morgen.

    Friedrich Nowottny: Ich grüße Sie! Guten Morgen.

    Armbrüster: Herr Nowottny, sendet die ARD tatsächlich zu viele Talkshows?

    Nowottny: Es gibt reichlich ja. Eine inflationäre Talkshow-Entwicklung, meine ich. Aber es gibt ja den Ein- und Abstellknopf, da kann man ja draufdrücken. Man muss ja nicht alle gucken. Es ist in der Tat so, wie es der Rundfunkrat durchgezählt hat. Es kommen ja noch einige hinzu: Es gibt ja noch bei Phönix zwei Talkshows, zum Teil sehr sehenswerte, es gibt ja in den Regionalprogrammen Talkshows. Ich habe sie nicht durchgezählt, aber es ist reichlich, was da geboten wird. Warum das so ist, das wissen nur die mit den Geheimnissen des Programmerfolges vertrauten Programmplaner.

    Armbrüster: Aber ein richtiger Erfolg ist es ja nicht. Die meisten dieser Shows bleiben seit Einführung dieser Schiene quotenmäßig ja auf Sinkflug.

    Nowottny: Ich habe jetzt gehört, dass sie sich stabilisiert haben – bis auf eine. Ich glaube, Beckmann ist der Hauptgeschädigte. Alle anderen befriedigen die ARD-Planer in erstaunlichem Maße. Ich jedenfalls schaue weniger Talkshows als früher, weil "more of the same", also mehr von immer demselben, ist für mich kein Angebot.

    Armbrüster: Das ist ja tatsächlich die große Frage: Ist das tatsächlich eine sinnvolle Programmplanung, jeden Tag sozusagen das gleiche Konzept abends durchzuziehen?

    Nowottny: Na ja, also wissen Sie, die Talkshowplaner hängen meines Erachtens zu sehr am aktuellen Tagesgeschehen. Gibt es ein herausragendes Thema, stürzen sich alle darauf. Ist das nicht der Fall, wird es schon weniger. Dabei zeigt sich, dass Themen, die etwas abseits angesiedelt sind, durchaus ihr Publikum haben. Das wird ja versucht, am Sonntag wird das schon mal von Jauch versucht, bei Frau Maischberger ist das eigentlich ständig so, dass etwas abseitige Themen aus dem einfachen und aus dem gesellschaftlichen Leben herausgewachsen aufgegriffen und diskutiert werden. Es muss nicht immer Herr Wulff sein, um an die letzte inflationäre Entwicklung eines Themas zu denken.

    Armbrüster: Wenn wir uns jetzt mal die äußeren Rahmenbedingungen ansehen, das Format. Ist das nicht völlig veraltet, dass man einfach sagt, wir setzen vier, fünf Personen zusammen und reden eineinhalb Stunden über ein Thema?

    Nowottny: Also wissen Sie, ich habe gerade versucht herauszufinden, wann die erste Talkshow im deutschen Fernsehen stattgefunden hat. Ich kam auf zwei. Erstens Werner Höfer. Ich glaube, der ist 60 Jahre alt geworden. Die heißt heute Presseclub. Zweitens gab es eine richtige Talkshow im Hauptabendprogramm der ARD, da gab es noch nicht so viele Fernsehzuschauer wie heute, die hieß die Wessel-Runde. Die Wessel-Runde war eine Veranstaltung, die das Schema von heute schon hatte, und das war Ende der 50er-, Anfang der 60er-Jahre. Es gab auch dann beim ZDF die große Bürgersendung mit Reinhard Appel, großartige Sachen hat der Mann gemacht, mit Politikern, die sich noch in solchen Sendungen gestellt haben. Das findet ja heute schon gar nicht mehr statt, der Bundestagspräsident geht gar nicht mehr hin oder ist nie in diese Talkshows gegangen und hat auch geschworen, nie daran teilzunehmen. Also die Entwicklung des Schemas findet im Augenblick nur dadurch statt, dass man Sachverständige an den Rand der Diskutantengruppe setzt und die dann eventuell hineinbittet, oder sie als Sachverständige etwas am Rande verwelken lässt. Gut, das sind so Spielarten, mit denen kann ich eigentlich nichts anfangen, da hat man vielleicht nicht sorgfältig genug darüber nachgedacht, wie man mit jemandem, der von der Sache mehr versteht als der durchschnittlich kommentierende Diskutant, wie man mit dem umgeht.

    Armbrüster: Herr Nowottny, Herr Nowottny, ich höre da jetzt doch deutliche Kritik aus Ihren Worten. Welche der aktuellen Talkshows in der ARD könnte denn Ihrer Meinung nach aufhören?

    Nowottny: Also wissen Sie, das ist ja wie beim Knobeln. Da nehmen Sie einen Würfelbecher, basteln Würfel und schreiben den Namen der Talkshow darauf, würfeln und wer nicht genug glänzt und wessen Gesicht nicht oben ist, der kann ausscheiden. Es kann eigentlich jeder ausscheiden. Verzichtbar sind sie alle. Wir sind ja auch ohne sie ausgekommen und wir haben jetzt eben, wie Sie sagten, vier, ich behaupte, wir haben sicherlich 14, wenn ich alle zusammenrechne. Also es muss auch ein Interesse des Publikums dafür bestehen merkwürdigerweise, denn die Einschaltquoten sind jetzt wieder besser, als sie es bei der Umstellung waren. Die Menschen scheinen, sich daran zu gewöhnen.

    Armbrüster: Aber sollte denn die Aufgabe der ARD nicht eigentlich etwas mehr sein, als nur Interesse zu befriedigen, sondern dem Publikum auch etwas Neues zu bieten, etwas, was es vielleicht bei den Privaten nicht bekommt?

    Nowottny: Sie wollen doch hier nicht eine Grundsatzdebatte anschieben?

    Armbrüster: Oh, sehr gerne um 8:28 Uhr!

    Nowottny: Da kann ich Ihnen nur sagen, ARD und ZDF und die öffentlich-rechtlichen müssen ihre Programmquote nicht auch nur durch Fußball erhöhen, aber schön, dass sie Fußball haben.

    Armbrüster: Das heißt? Das habe ich nicht ganz verstanden.

    Nowottny: Es geht doch um die Quote. Man will Quote haben und preiswert Programm machen, so sehe ich das, und das wird nicht immer den Ansprüchen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gerecht.

    Armbrüster: Friedrich Nowottny war das, der ehemalige Intendant des Westdeutschen Rundfunks, zur Talk-Schiene in der ARD und zur Kritik des WDR-Rundfunkrates, in dieser Woche geäußert. Besten Dank, Herr Nowottny, für das Gespräch.

    Nowottny: Danke Ihnen, Herr Armbrüster.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.