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Verzweifeltes Bild der ägyptischen Gesellschaft

2005 wurde der Roman "Der Jakubijân-Bau" des ägyptischen Autors Alaa al-Aswani verfilmt. Der Streifen war die bisher teuerste ägyptische Filmproduktion und wurde zum Kassenschlager, das Buch im Anschluss zum Bestseller. Al-Aswani rührt an viele Tabus der ägyptischen Gesellschaft wie korrupte Politik, geheuchelte Sexualmoral, alltägliche Gewalt und Klassenschranken. Nun liegt das Buch auf Deutsch vor.

Von Christoph Burgmer | 15.03.2007

    "Gerade hundert Meter trennen die Behlerpassage, an der Saki Bey al-Dassûki wohnt, vom Jakubijân-Bau, in dem sein Büro liegt. Dennoch braucht er für diese Strecke allmorgendlich mindestens eine Stunde, muss er unterwegs doch seinen Freunden an der Straße einen guten Morgen wünschen, den Inhabern der Kleider- und Schuhläden ebenso wie den Angestellten beiderlei Geschlechts, die darin arbeiten, den Kellnern und Kinobetreibern und den Kunden im Brasilianischen Café. Sogar die Torhüter, die Schuhputzer, die Bettler und die Verkehrspolizisten werden mit einem Gruß bedacht. Saki Bey kennt sie alle beim Namen und tauscht mit ihnen ein paar freundliche Worte und ein paar Neuigkeiten aus. Saki Bey ist einer der ältesten Bewohner der Sulaimân-Pascha-Straße."

    Saki Bey wohnt seit seiner Geburt im Jakubijân-Bau im wust al-balad, dem Zentrum Kairos. Aber der ältere Herr hat schon bessere Zeiten erlebt, wie damals, in den 40er Jahren, als er nach seinem Studium in Frankreich hierher zog, in das weithin strahlende, gerade neu nach westlichem Vorbild errichtete Zentrum der Nilmetropole. Als die gesellschaftliche Elite Ägyptens, zu der der Sohn eines Ministers gehörte, gebannt war von den Ideen der Moderne und das öffentliche Leben Kairos mit seinen zahlreichen Straßencafés, Nachbars und Clubs dem in Paris in nichts nachstand und jeder Gebildete selbstverständlich Französisch und nicht Arabisch sprach. Saki Bey ist die Hauptfigur in Alaa al-Aswanis Roman "Der Jakubijân-Bau". Bis in die triste Gegenwart lässt der Autor den elegant gekleideten, liberal denkende Bohemiens in diesem Viertel leben. Er hat den Jakubijân-Bau nicht verlassen.

    "Das Jakubijân-Gebäude ist ein Fantasiegebäude. Es hat nichts mit dem realen Gebäude zu tun. Es ist eine Kategorie. Ich hatte eine eigene Idee der Innenstadt Kairos. Für mich ist es nicht nur ein Viertel, ein Stadtteil. Es ist mehr. Die Innenstadt steht für eine Epoche. Sie ist das Symbol für die Seele Ägyptens, Symbol für die traditionelle ägyptische Toleranz. Die Religion wurde hier immer tolerant und offen interpretiert. Jahrhunderte lang galten Alexandria und Kairo als kosmopolitische und offene Städte. Hier lebten Juden, Griechen, Armenier, Italiener, Ägypter. Erst Ende der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts hat sich dieses weltoffene Klima verändert."

    Saki Bey ist in Alaa al-Aswanis Roman "Der Jakubijân-Bau" jene Figur, die den Faden aus der Vergangenheit bis heute spinnt, eine Art Alter Ego des Autors, gleich al-Aswani selbst Zeuge der rasanten Veränderungsdynamik, die die ägyptische Gesellschaft bis heute in Atem hält, angefangen mit der Revolution der freien Offiziere 1956, dem arabischen Sozialismus des Gamal Abdel Nasser mit seinem panarabischen Patriotismus, prägend für die Generation des Autors. Dann die Wende unter Sadat: Plötzlich kamen die Freunde aus den USA, und die neue Elite, die so genannten fetten Katze", plünderten mit Schlagworten wie Privatisierung und Marktöffnung das Land aus, schafften Milliarden von Dollars in nur einer Generation auf Auslandskonten. Saki Bey passte sich den Verhältnissen an, versuchte unauffällig seinen Weg zu gehen. Widerstand existierte nicht, auch nicht, als die Islamisten seit den 80er Jahren zunehmend die öffentliche Sphäre mit ihren Moral- und Wertvorstellungen zu beherrschen begannen und die Straßencafés, Alkohol ausschenkenden Bars und vor allem die Nachtclubs nach und nach schließen mussten und die Reichen und Mächtigen das Stadtzentrum verließen, nach Nasr City oder in ein anderes, modernes und geschützteres Stadtviertel zogen.

    Migranten vom Land und aus dem Süden des Landes eroberten die Hauptstadt Ägyptens und besetzten jeden freien Winkel der Innenstadt. Saki Bey aber blieb. Genauso wie die von italienischen und anderen europäischen Architekten errichteten imperialen Prachtbauten in wust al balad. Auf ihren Dächern nisteten sich die neuen Bewohner samt ihren Ziegen und Hühner ein, nicht mehr gewillt, sie zu verlassen. Saki Bey überlebte auch dies und mit ihm die Vision des Autors von einer weltoffenen, toleranten und multikulturellen ägyptischen Gesellschaft.

    "Das Politik in der Geschichte spielt eine zentrale Rolle und ist meine Vision von Literatur. Ich schreibe Romane nicht für einen besonderen Zweck. Aber ich bin fest davon überzeugt, das man mit Romanen leben erschafft. Ich liebe die Definition, die besagt, das Literatur das Erschaffen von Leben auf Papier bedeutet. Es ist so ähnlich wie das wirkliche Leben, aber präziser, lebhafter und schöner. Entscheidend ist, wirkliches Leben in die Literatur einzubringen und durch die Charaktere und die Dramaturgie die Literatur so zu gestalten das man jedes nur erdenkliche Thema bearbeiten und miteinander verknüpfen kann. So entsteht die Verbindung von sozialen, politischen Themen durch die Kunst, ausschließlich durch die Kunst."

    Vielleicht ist es die Erinnerung Alaa al-Aswanis an seine Kindheit, die ihn zum Roman "Der Jakubijân-Bau" inspiriert hat. Damals war der 1957 geborene Schriftsteller Schüler des französischen Lycée im Zentrum Kairos und damit Zeuge des Niedergangs jenes alten, weltoffenen Ägypten. Vielleicht ist es aber auch seine Erfahrung, als er im Jakubijân-Bau nach dem Studium der Zahnmedizin in den USA seine erste Praxis eröffnete. Das zehn Stockwerke hohe Gebäude, im Auftrag von Hagop Jakubijân, einem Millionär und Oberhaupt der armenischen Gemeinde Ägyptens, 1936 nach über zweijähriger Bauzeit fertiggestellt, hat Al-Aswani magisch angezogen. Doch wie schon Nagib Machfus in seinem berühmten Roman "Die Midaq-Gasse" nutzt auch er den realen Ort nur, um den unterschiedlichen Charakteren größtmögliche Authentizität zu verleihen. Und so gelingt Al-Aswani, eine Art Sittengemälde der heutigen ägyptischen Gesellschaft zu zeichnen. Da gibt es kleine, rücksichtlose Händler und einen großen Geschäftsmann, ein reich gewordener Drogendealer und Parlamentsabgeordneter, der seine junge Mätresse rücksichtslos ausbeutet. Da wohnt der junge Mann, der wegen seiner Herkunft nicht zum Polizeidienst zugelassen wird, und zum militanten Islamisten wird. In einer anderen Etage lebt der homosexuelle Chefredakteur, der in den Spelunken des Stadtzentrum ständig nach Befriedung sucht und von staatlicher Verfolgung bedroht ist. Auf dem Dach schließlich leben Arbeiter und kleine Angestellte, die, erst vor einer Generation nach Kairo gekommen, einen unerbittlichen Existenzkampf mit- und gegeneinander führen. Sie alle sind Teil einer Haus- und Schicksalsgemeinschaft, die unablässig darum ringt, in einer politisch und wirtschaftlich völlig korrupten ägyptischen Gesellschaft zu überleben.

    "In meinem Roman spielt die Homosexualität eine entscheidende Rolle und ich musste nicht nur viel lesen über die Homosexualität in Ägypten. Ich besuchte auch viele dieser abgewrackten Bars und Treffpunkte im Zentrum. Als ich zum ersten Mal in eine dieser einfachen Kneipen ging, kam ich in eine Polizeirazzia. Der Offizier fragte nach meinem Ausweis und warum ich hier sei. Ich überlegte, ob ich ihm sagen sollte, dass ich hier sei, um die Atmosphäre kennen zu lernen und um mit den Leuten zu sprechen. Aber ich wusste, wenn ich das täte, würde es nur Ärger geben. Ich sagte ihm also, dass ich gerade aus den USA gekommen sei und einfach nur ein Bier trinken wolle. Darauf sagte er, das es doch nicht anginge, das ein Doktor sein Bier trinken wolle. Er forderte mich auf, doch bitte schön in ein Fünf-Sterne-Hotel zu gehen. Ich aber bestand darauf, auch in diesen Bars mein Bier trinken zu dürfen. Irgendwann akzeptierte er, und so lernte ich nach und nach bei Razzien alle Polizisten kennen. Nach einer Weile grüßten Sie mich und riefen nur noch, Hi Doktor, wie geht’s, und ließen mich in Ruhe. Ich beschreibe also nur solche Orte, die ich wirklich kenne."

    Dass Al-Aswani dies in seinem Roman meisterhaft gelungen ist, steht außer Frage. Der "Jakubijân-Bau" ist sicherlich der eindrucksvollste ägyptische Roman der vergangenen Jahre. Anders als die symbolgeladenen Romane eines Sonallah Ibrahim oder die als Parabel angelegten Romane Gamal al-Ghitanis zeichnet Al-Aswani mit sprachliche Leichtigkeit ein so eindrücklich verzweifeltes Bild der städtischen ägyptischen Gesellschaft, das es zuweilen so scheint, als schreibe er die in Kairo überall erfahrbare korrupte Wirklichkeit einfach ab. Dabei fehlt es dem weder an Tiefenschärfe, noch ist es notwendig, wie in der deutschen Ausgabe geschehen, gleich einem Theaterstück, die wichtigsten Personen des Romans vorab zu beschreiben. Al-Aswanis Roman, hervorragend übersetzt von Hartmut Fähndrich, ist ein fesselndes Stück arabischer Gegenwartsliteratur.

    Alaa al-Aswani: Der Jakubijân-Bau. Roman aus Ägypten. Übersetzt aus dem Arabischen und mit einem Nachwort versehen von Hartmut Fähndrich
    Lenos Verlag Basel
    384 Seiten, 19,90 Euro