Dienstag, 19. März 2024

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Videobeweis in der Bundesliga
Entscheidung am Monitor

Die Bundesliga soll mit dem Videobeweis gerechter werden und grobe Fehler der Schiedsrichter sollen ausgeschlossen werden. Aber auch mit dem Videoassistenten bleiben Grenzfälle, die für Diskussionen sorgen werden.

Klaas Reese im Gespräch mit Marina Schweizer | 23.07.2017
    Der Schiedsrichter Sascha Stegemann (l.) und ein Operator sitzen am 20.07.2017 in Köln (Nordrhein-Westfalen) im DFL-Video-Assist-Center vor Monitoren, die Spielszenen zeigen. Die Videoassistenten sollen mit Beginn der neuen Bundesligasaison das Schiedsrichter-Gespann auf dem Feld bei strittigen Entscheidungen unterstützen.
    Schiedsrichter Sascha Stegemann (l.) mit einem "Operator" im Video-Assist-Center der DFL in Köln. (Rolf Vennenbernd/dpa)
    Marina Schweizer: Deutschlandfunk-Redakteur Klaas Reese ist ein Experte für Schiedsrichterthemen. Frage an ihn - was wird sich ändern?
    Klaas Reese: Die größte Änderung wird in der kommenden Saison sein, dass bei jedem der 306 Bundesligaspiele, beim Supercup und bei den Relegationsspielen ein Videoschiedsrichter den Schiedsrichter unterstützen wird. Dieser Videoassistent greift allerdings nicht ständig, sondern nur bei vier Spielsituationen ein: bei einer Torerzielung, bei einem Strafstoß, bei einer Roten Karte sowie bei Spielerverwechslung. Also falls ein falscher Spieler vom Schiedsrichter eine Karte gezeigt bekommt.
    Schweizer: Klingt ja sehr eindeutig. Ist es das auch? Oder gibt es auch Grenzfälle?
    Reese: In der letzten Saison gab es gut hundert falsch getroffene spielrelevante Entscheidungen der Bundesligaschiedsrichter von denen 77 laut DFL "reparabel" gewesen wären. Die "irreparablen" Entscheidungen waren dann zum Beispiel Abseitsentscheidungen. Der Bundesligaschiedsrichter Sascha Stegemann, der wie die anderen Bundesligaschiedsrichter in der letzten Saison zum Video Assistenten ausgebildet wurde, ist sich aber sicher, dass es Grenzfälle weiterhin geben wird.
    O-Ton Sascha Stegemann: "Es gibt immer Situationen, wo wenn man zehn Leute fragen würde, fünf sagen so und fünf sagen so. Situationen, die weder schwarz noch weiß sind, die sich im Graubereich befinden. Das ist nicht die Aufgabe des Videoschiedsrichters, diese Situationen rauszufiltern, sondern es geht um die Fälle in denen maßgeblich und nachweislich falsch auf den Spielausgang Einfluss genommen wird. Diese Situationen werden herausgefiltert werden, um den Fußball ein Stück weit gerechter zu machen."
    Reese: So kann es sein, dass der Schiedsrichter und seine Assistenten am Feld und am Bildschirm während des Spiels keinen Fehler erkennen, die Fernsehbilder dann aber doch einen groben Fehler verdeutlichen. Es wird also weiterhin Diskussionen um Schiedsrichterentscheidungen geben.
    Schweizer: Das hat man ja schon beim Confederations Cup gesehen. Da gab es den Videobeweis und dennoch waren Entscheidungen umstritten. Warum glauben DFL und DFB, dass sie es besser machen können als die FIFA in Russland?
    Reese: Ein großer Vorteil für die deutschen Schiedsrichter ist, dass sie jetzt schon seit mehreren Monaten zusammen testen. Dadurch haben sich jetzt schon bestimmte Routinen eingespielt und die Schiedsrichter haben durch viele Diskussionen viel Vertrauen in die Entscheidungen der Videoschiedsrichter. Einen weiteren Vorteil sieht der DFL-Direktor für Fußball-Angelegenheiten und Fans, Ansgar Schwenken, darin, dass die Kommunikation der deutschen Schiedsrichter einfacher ist als bei einem internationalen Turnier:
    O-Ton Ansgar Schwenken: "In erster Linie habe ich gesehen, dass die Abstimmung zwischen dem Schiedsrichter und dem Assistenten noch nicht richtig funktioniert hat. Das konnte auch nicht funktionieren, wenn da Männer zusammenkamen aus unterschiedlichsten Teilen der Welt, die ansonsten genau an diesem Projekt noch nie zusammen gearbeitet haben."
    Reese: Darüber hinaus sieht Schwenken einen Vorteil in der technischen Umsetzung in Deutschland. Hier wird es für den TV-Zuschauer und für den Zuschauer im Stadion klarer werden, wenn der Schiedsrichter sich mit seinem Assistenten austauscht und auf welcher Grundlage die Entscheidung getroffen wurde. Bilder von den entscheidenden Szenen wird es im Stadion allerdings erstmal nicht geben, wird aber von der DFL durchaus in Zukunft gewünscht.
    Schweizer: Die große Angst, die die Einführung des Videoschiedsrichters begleitet, ist die Angst vor der Veränderung des Spiels. Ist diese Angst begründet?
    Reese: Für den Bundesligaschiedsrichter Stegemann nicht und er begründet das auch:
    O-Ton Sascha Stegemann: "Weil diese einjährige Testphase gezeigt hat, dass wir in der Lage sind in den aller-, aller-, allermeisten Fällen binnen weniger Sekunden die Entscheidung zu überprüfen und zum richtigen Ergebnis zu kommen."
    Reese: Hier darf man dann aber dennoch gespannt sein. Die Meinung der Videoschiedsrichter soll zwar möglichst maßgeblich sein. Es wird sich aber erst zeigen müssen, wie oft sich der Schiedsrichter selbst ein Bild von der Situation am Spielfeldrand macht und wenn er das tut, wie lange das dann dauert. Laut DFL soll das auf jeden Fall nicht länger als 120 Sekunden dauern. Es bleibt abzuwarten, ob das klappt.
    Schweizer: Die Videoassistenten sitzen in Köln im sogenannten Video-Assist-Center und unterstützen den Schiedsrichter bei seiner Arbeit aus der Ferne. Wozu braucht es dieses Zentrum? Warum wird nicht direkt vor Ort ein Videoschiedsrichter eingesetzt?
    Reese: In Köln laufen die Bilder für die internationalen Übertragungen zusammen, so dass die Bilder aus den Stadien dort eh schon vorliegen. Dazu hat man die Hoffnung, dass durch die Zentralisierung der Aufgabe Synergieeffekte entstehen – also das ein Austausch zwischen den Schiedsrichtern stattfinden kann. Dazu gibt es in Köln einen Supervisor, also eine Person, die den Videoschiedsrichtern bei ihrer Arbeit, vor allem bei strittigen Entscheidungen helfen kann. Das wäre ja bei dieser dezentralen Lösung nicht der Fall.
    Schweizer: Der Videobeweis wird ja nicht nur in Deutschland getestet, sondern auch in anderen Ländern wie in Spanien oder Frankreich. Die Kosten werden von der DFL auf 1,8 Millionen Euro nur für das erste Jahr beziffert, was nicht wenig Geld ist, und es ist auch noch nicht klar, ob der Videobeweis überhaupt über die nächste Saison hinaus zum Einsatz kommt. Warum war es für den DFB und die DFL, so wichtig in der ersten Phase dabei zu sein?
    Reese: Das Vorpreschen kam schon etwas überraschend. Gerade der DFB war ja in den letzten Jahren eher ein entschiedener Gegner des Videobeweises, aber nach einer Kehrtwende war man dann schnell dabei, auch weil man unbedingt bei der Entwicklung dabei sein wollte, damit der Videoassistent auch nach den Vorstellungen des DFB zum Einsatz kommt. Dr. Holger Blask von der DFL sieht dann auch die Bundesliga im Vergleich zu anderen Ligen klar im Vorteil:
    O-Ton Dr. Holger Blask: "Die DFL hat da natürlich mit dem DFB kurz darüber beraten, aber nicht lange darüber nachdenken müssen, diesen Innovationsschritt als Erster mitgehen zu wollen. Um tatsächlich da als eine der vorweggehenden Ligen weltweit gelten zu können. Und wir halten es da in dem Fall für sehr gut investiertes Geld."
    Reese: Die Einführung des Videobeweises ist also an sich ein Innovationsschritt der FIFA, der natürlich einerseits den Fußball gerechter machen soll, andererseits aber auch das Medienprodukt Fußball verändert. Und die Bundesliga sieht sich hier in der Rolle des Innovationstreibers.
    Hinweis: In einer früheren Version wurde der letzte O-Ton versehentlich Ansgar Schwenken zugeordnet.