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Vidy-Lausanne
Thomas Ostermeier inszeniert Tschechows Möwe

Thomas Ostermeier gilt als der französischste unter den deutschen Regisseuren. Zwar kann er im frankophonen Raum mit einem Fanpublikum rechnen, aber seine Aufführung von Ibsens "Gespenster" vor drei Jahren in Vidy-Lausanne war kein überragender Erfolg. Jetzt versucht sich Ostermeier noch einmal am selben Ort mit Tschechows "Die Möwe".

Von Eberhard Spreng | 27.02.2016
    Der Regisseur Thomas Ostermeier.
    Der Regisseur Thomas Ostermeier inszeniert "Die Möwe" von Tschechow in Vidy-Lausanne. (picture-alliance / dpa / Florian Kleinschmidt)
    Eine depressive, ja morbide Atmosphäre liegt über der Bühne: David Bowies "Rock’n Roll Suicide" wird gesäuselt, ein Song über das Scheitern eines alterndes Künstlers. Dann stellt sich Matthieu Sampeur als der von seiner Mutter verachtete junge Dichter Treplev an ein Mikrofon auf der Vorderbühne und fragt in den Theatersaal, wer denn daran glaube, dass das Theater noch eine Zukunft habe. Nur sieben Finger zählt das junge Talent. Thomas Ostermeier öffnet die Aufführung also zu Beginn kurz zum Publikum.
    Man langweile sich im Theater, sagt dieser Treplev und will mit dem Bruch der Konventionen etwas daran ändern. Zusammen mit seiner Freundin Nina wird er eine kleine Theateraufführung zeigen, ausgerechnet der gelangweilten, blasierten Gesellschaft um seine Mutter, der erfolgreichen Schauspielerin Arkadina. Ein Beamer wird aufgebaut und projiziert auf das weiße Kleid der jungen Nina ihr eigenes kopfstehendes Porträt.
    Tier und Menschenopfer in einem Bild
    Zu ohrenbetäubendem Grollen wird hinter ihr ein toter Bock an den Beinen hochgezogen, sein Blut tropft auf den darunter stehenden jungen Dichter, der kurz die Pose des Gekreuzigten einnimmt. Tier und Menschenopfer in einem Bild: Ostermeiers Treplev sucht sein künstlerisches Heil nicht in Experiment und Avantgarde, sondern im Rückgriff auf archaische Rituale, auf vortheatralische Kulthandlungen. Der Künstler als Blutopfer: Ein mächtiges Bild, das eine gedankliche Fundierung in der Folge der Aufführung allerdings nicht findet. Der etablierten Schauspielerin Arkadina ist solches Bühnengeschehen suspekt.
    Die französische Erfolgsschauspielerin Valerie Dreville spielt diese Arkadina, die hier inmitten eines vorwiegend jungen Ensembles um die Diskurshoheit in Fragen der Kunst und die erotische Vorherrschaft im Ringen um die Gunst ihres Freundes Trigorin kämpft. François Loriquet spielt ihn als jovialen, gemütlichen Kerl, der sich gern auch von der jungen Nina verführen ließe. Ihr schmeichelt er mit dem geheuchelten Hinweis auf ihr Theatertalent und prophezeit ihr eine große Zukunft auf der Bühne. In der Folge der Aufführung machen die Fragen der Kunst dem Bangen der Herzen Platz.
    Immer wieder unterbricht Ostermeier dabei das Spiel auf einem kleinen Holzpodest, das auf der Vorderbühne installiert ist. Dann setzen sich die Akteure wieder zurück auf eine der Bänke, die die Seiten eines trist grauen Guckkastens säumen. Musik wird eingespielt, viel von den Doors, ein bisschen Jimi Hendrix und Velvet Underground. Derweil fährt Marine Dillard mit Quastpinsel an einem langen Stab mit schwarzer Farbe über die graue Rückwand und fertigt, sehr kunstvoll, Strich für Strich eine große Berglandschaft an.
    Eine transformierte Landschaft für Tschechows Möwe
    Man ahnt einen See im Vordergrund. Das könnte, räumte man die Theatermauern ab, der Ausblick hinter dem Theater von Vidy-Lausanne sein, das am Nordufer des Genfer Sees liegt. Eine transformierte Landschaft für Tschechows Möwe, ein Bühnenbild, das genauso vor den Augen der Zuschauer angefertigt wird wie jedes andere Detail dieser ansonsten bilderkargen Inszenierung. Alles ist Skizze, kein Spiel ist umstrahlt von Tschechow-Atmosphäre; nichts ist eingebettet in Gruppenbilder voller subtiler, gestischer Nuancen.
    Diese Tschechow-Inszenierung ist mutwillig ruppig und auf Kernhaltungen reduziert. Mal schwankt die von Mélodie Richard mit wechselndem Talent gespielte Nina liebestrunken auf einen Trigorin zu, der sich zwischenzeitlich wieder von ihr getrennt hat, mal erstarrt der Arm von Erfolgsschauspielerin Arkadina in einer herablassenden herrischen Geste. Die so mühsam angefertigte Landschaft ist nun wieder flächig, schwarz übermalt: Die Kunst ist vergangen und mit ihr die Hoffnung auf eine Perspektive und den Zugang zur Natur.
    Ostermeiers No-Future-Möwe
    Der junge, nun erfolgreiche Dichter wird von Nina ein weiteres Mal verstoßen und nimmt sich das Leben. Das Licht erlöscht, nur Lichtreflexe wie in einer Disko huschen über die erstarrte Gesellschaft. Ostermeier hat eine No-Future-Möwe vorgelegt, in der man an der Liebe scheitert aber eher nicht an der Kunst. Die Gefühle dieser Tschechowmenschen kommen dabei nicht aus ihren Herzen, sondern eher aus den Theaterlautsprechern und sind von Pop-Ikonen vorgefertigt. Das ist im Theater nun schon seit Langem ein häufig angewandtes Verfahren und nunmehr selbst schon zur ästhetischen Routine geworden. Ostermeier wählt den Weg der Arkadina und das ist der Weg der Konvention.