Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


Viel falsch gemacht bei den Nationalsymbolen

Die Schwierigkeiten der Deutschen mit ihrer nationalen Identität zeigen sich auch im Umgang mit nationalen Symbolen. Nach einem Fußball-Länderspiel wird zum Beispiel gerne debattiert, welcher Spieler die Hymne mitgesungen hat. Was sich da in den vergangenen Jahren verändert hat, zeigt ein neues Buch des Politologen Peter Reichel.

Von Tillmann Bendikowski | 01.10.2012
    Eine neue Selbstverständlichkeit ist in diesem Lande eingezogen. Das jedenfalls meint der Politikwissenschaftler Peter Reichel gleich zu Beginn seiner neuen Studie:

    Deutschland und seine Nationalsymbole, das scheint nun kein Thema mehr zu sein, mit dem sich unweigerliche Peinlichkeit, Streit und Skandal verbinden. Eine neue, unbeschwerte Gelassenheit, farbenfröhliche und fremdenfreundliche Heiterkeit treten an ihre Stelle. Eine neue, ihrer multikulturellen Zusammensetzung nach tendenziell weltoffenere Gesellschaft wird ihre Basis. Die Deutschen scheinen also mit der Zerschlagung des Reiches durch die Siegermächte der Anti-Hitler-Koalition und der Zweistaatsneugründung unter ihrer Aufsicht nicht nur dauerhaft wieder in die zivilisierte Welt zurückgekehrt zu sein. Sie können sich darin auch wieder sehen und hören lassen, ohne dass Irritationen und Peinlichkeiten entstehen und die abstoßenden Bilder vom hässlichen Deutschen wachgerufen werden, die Angst und Schrecken gegen uns mobilisieren. Das ist kein geringer politischer Gewinn.

    Dieser Gewinn ist umso höher zu bewerten, als gerade der demokratische Rechtsstaat nach Reichels Auffassung ohne seine sinnbildliche Selbstdarstellung nicht existieren kann. Also macht es Sinn, sich die Geschichte der deutschen Staatssymbole einmal genauer anzuschauen. Peter Reichel tut dies mit seiner Studie "Glanz und Elend deutscher Selbstdarstellung", in der er sich auf den Kernbereich der Staatssymbolik konzentriert: auf die Farben, die Hymnen und die Feiertage. Reichel ist ein exzellenter Kenner der Materie. Souverän referiert er die historischen Auseinandersetzungen, etwa um das "Deutschlandlied". Er erinnert daran, dass die Haydn-Hoffmann-Hymne von ihrer Entstehung und ihrem Text her ein politisch-romantisches Sehnsuchtslied gewesen sei – mehr aber auch nicht. Gerade die später heftig diskutierte erste Strophe formuliere keinen aggressiven Machtanspruch. Das "Deutschland, Deutschland über alles" sei erst durch wilhelminische Großmachtpolitik und nationalsozialistischen Wahn untragbar geworden. Noch die Weimarer Republik hatte gehofft, mit diesem Lied die zerstrittenen Deutschen einen zu können. "Wie traurig, wenn wir auch noch gegeneinander sängen", seufzte einst Gustav Stresemann, aber genau das geschah, obwohl das Deutschlandlied 1922 zur Nationalhymne erklärt wurde.

    Gewiss, das Lied der Deutschen ist nun das nationale Lied der Deutschen. Aber nur, weil es mehrere Strophen hat. Es hebt die Spaltung der deutschen Gesellschaft nicht auf, es bildet sie nur ab. Die Feinde der Republik singen nur die erste Strophe und wissen nicht, was sie tun. Die Republikaner singen die Dritte, obwohl sie wissen, dass sie missbraucht werden, wenn sie mit der Rechten auch "Deutschland, Deutschland über alles" singen.

    Nach 1933 gesellte sich das schmuddelige Horst-Wessel-Lied zur Hymne, die sich von dieser unfreiwilligen Gesellschaft nur schwer erholen sollte. Nur gegen Widerstände konnte die Bonner Republik später die Tradition der Haydn-Hoffmann-Hymne aufnehmen und sie der DDR mit ihrem Brecht-Eisler'schen "Auferstanden aus Ruinen" entgegensetzen. Dass es dann nach 1989 nicht gelungen ist, eine neue – gesamtdeutsche – Hymne zu finden, ärgert Peter Reichel noch heute:

    Wir hätten ein wahrhaft gesamtdeutsches Nationallied bekommen und könnten es gemeinsam singen – ohne Hemmungen, ohne missverstanden zu werden.

    Es sind solche – aus Reichelts Sicht falschen – Weichenstellungen, die ihn in seiner Darstellung immer wieder umtreiben. Fast hat man den Eindruck, es gehe dem Autor um einen fortlaufenden Kommentar, was die Deutschen in beeindruckender Kontinuität mit ihren Staatssymbolen fasch gemacht haben. Und für eine solche Kritik ist der Tisch ja auch reich gedeckt. Beispiel Nationalfeiertag – auch hier habe der Bundestag nach der Vereinigung eine Chance vertan:

    Erkennen die Abgeordneten nicht, dass mit dem 3. Oktober ein ganz unangemessenes Datum zum Nationalfeiertag erkoren wird? Dass die Bürger der DDR am 9. November 1989 das Vermächtnis des 17. Juni selbst erfüllt haben, sich die Bundesrepublik ihnen gegenüber abermals respektlos verhält? Erst entwendet sie den Landsleuten im Osten mit dem 17. Juni ein Herzstück ihrer Identität, dann macht sie es zum Spielball konkurrierender deutschlandpolitischer Interessen, um es letztlich wie ein überflüssiges Spielzeug auf der deutschen Symbolmüllhalde zu entsorgen.

    Die "deutsche Symbolmüllhalde" wäre ein schönes Thema für sich, welches Peter Reichel auf den gut 380 Seiten seiner Studie nicht auch noch berücksichtigen konnte. Was also ist das Verdienst seiner Darstellung? "Glanz und Elend deutscher Selbstdarstellung" ist ein durchaus gelungenes Lesebuch; kenntnisreich und an einigen Stellen erfrischend meinungsfreudig. Allerdings bleibt der Einwand, dass diese Darstellung, die historisch kaum Neuigkeiten bieten kann, zu sehr eine gestrige Debatte spiegelt. Das Buch könnte dem Jahrzehnt nach der deutschen Vereinigung entstammen, in dem diese Staatssymbole ausgiebig diskutiert wurden. Wie sie heute funktionieren – und dies auch noch in einer europäischen Krise – das wäre die eigentlich spannende Frage gewesen.

    Buchinfos:
    Peter Reichel: "Glanz und Elend deutscher Selbstdarstellung: Nationalsymbole in Reich und Republik". Wallstein Verlag, 381 Seiten, 29,90 Euro, ISBN: 978-3-835-31163-3