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Viel leichter als gedacht

Woher wissen Paläontologen eigentlich, wie schwer ein Dinosaurier war? Oft wurde schlicht geschätzt, denn über die richtige Methode zur Gewichtsberechnung aus den Fossilien herrschte bei Fachleuten keine Einigkeit. Forscher aus Großbritannien stellen nun einen neuen Ansatz vor. Danach sind die Saurier leichter als bislang angenommen.

Von Michael Stang | 06.06.2012
    Vielen Besuchern des Berliner Naturkundemuseums stockt beim Betreten des Dinosauriersaals der Atem. Denn das dort montierte Skelett eines Brachiosauriers ist mit einer Höhe von mehr als 13 Metern das größte der Welt. Zwar wird im Museum das Gewicht dieses langhalsigen Kolosses, der vor 150 Millionen Jahren im heutigen Tansania lebte, mit rund 50 Tonnen angegeben, jedoch beruht diese Angabe nur auf einer groben Schätzung. Schaut man in die Fachliteratur der 1960er-Jahre, ist sogar von 80 Tonnen die Rede. Diese Ungenauigkeit beschäftigte William Sellers von der Universität Manchester seit einiger Zeit.

    "Wir haben in der Vergangenheit mithilfe verschiedener Methoden versucht, die Körpermasse von Dinosauriern zu rekonstruieren. Diese Daten brauchen wir, weil nur so Aussagen möglich sind, wie schnell ein Tier rennen konnte, wie viel es gefressen hat und so weiter. Von daher müssen wir die Körpermasse der Tiere kennen."

    Um die Genauigkeit der alten Techniken zu testen, wendete der britische Biologe sie bei Skeletten heute lebender Tiere an und kam zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen, die meist weit von der Realität entfernt waren. Das Problem war, dass diese Methoden die Körpermasse stets als Ganzes abschätzen. William Sellers und seine nordenglischen Kollegen überlegten, ob sie ein Skelett nicht besser einzeln vermessen sollten, um so realistischere Daten zu erhalten.

    "Wir haben uns für eine Lasertechnik entschieden, mit der wir das ganze Skelett scannen und später daraus ein 3D-Modell erstellen konnten. Danach haben wir mithilfe eines komplizierten mathematischen Modells am Computer die einzelnen Körperteile analysiert und das Gewicht errechnet, also die Beine einzeln, den Kopf, den Hals, den Rumpf und den Schwanz, um für jedes dieser Einzelteile ein eigenes Volumen zu ermitteln."

    Bei diesem Modell wird das minimale Volumen eines Tieres errechnet, das notwendig ist, um das Skelett zu umhüllen. Um anschließend das Gewicht abzuschätzen, legten die Forscher die Dichte von Pferden zugrunde.

    "Wir haben diese Technik dann bei vielen großen heute lebenden Säugetieren angewendet, unter anderem bei Elefant, Giraffe, Nashorn und Eisbär. Dabei sahen wir, dass das tatsächlich Volumen immer gut 20 Prozent größer war als bei der Annahme des Minimalwertes unseres Modells."

    Bei allen untersuchten Tieren erwies sich die Schätzung als robust, stets wurde das Körpergewicht konstant um 21 Prozent unterschätzt. Den Grund sieht William Sellers darin, dass im Vergleich zum errechneten Minimum vor allem Muskelgewebe das zusätzliche Volumen ausmacht. Und da das Gesamtmuskelgewicht in der Regel proportional zum Gesamtgewicht ist, lässt sich mit dieser Methode das Körpergewicht eines Tieres bestimmen, auch wenn dieses schon lange ausgestorben ist.

    "Danach haben wir diese Methode beim Berliner Brachiosaurier angewendet, also das Skelett im Museum gescannt, die Daten im Computer als 3D-Modell errechnet, die Körperteile wieder einzeln analysiert. Dann haben wir zu jeden dieser Werte 20 Prozent addiert und heraus kam ein Gesamtgewicht von 23 Tonnen."

    Statt der bislang im Museum angegebenen 50 Tonnen brachte nach Angaben der neuen Methode der Brachiosaurier einst noch nicht einmal die Hälfte des Gewichts auf die Waage. William Sellers zufolge waren vermutlich auch viele andere Urzeitriesen wesentlich leichter als bislang angenommen. Allerdings lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, ob diese Gleichung, die sich bei Säugetieren als stabil erweist, auch eins zu eins auf Dinosaurier übertragen lässt, schließlich handelt es sich hier um eine ganz andere Tiergruppe. Ein Vergleich mit den mit Dinosauriern nahe verwandten Vögeln und Reptilien sei auch schwierig, da diese Tiere meist an das Leben im Wasser oder der Luft angepasst sind, so der britische Forscher. Von daher besteht weiter eine Rest-Unsicherheit, die sich nie wird lösen lassen.