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Viele an einen

Die Bundeskanzlerin höchstselbst war 2006 erste Kundin einer Firma, die sich neuen Formen des Dialogs im Netz verschrieben hat. "Many-to-one"-Kommunikation nennt das Berliner Start-up-Unternehmen seine Technik.

Von Daniela Siebert | 06.11.2009
    "Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
    ich würde Ihnen gerne eine Frage stellen. Sind Sie in der Lage, Deutschland wieder zu dem Sozialstaat zu machen, der er vor der Übernahme der DDR war?"

    Diesen - im Original etwas längeren - Text adressierte Klaus Neufeld im August an die Kanzlerin und bekam vom Bundespresseamt in ihrem Namen auch eine Antwort darauf. Er hatte ihn über die Internetseite "www.direktzurkanzlerin.de" eingereicht. 2034 weitere Nutzer unterstützten das Anliegen und sorgten so dafür, dass die Frage dem Pressestab des Kanzleramtes zur Beantwortung vorgelegt wurde. Das beschreibt im Wesentlichen auch schon die Geschäftsidee der "direktzu" GmbH in Berlin. Sie entstand, als sich Caveh Zonooz als frischgebackener Betriebswirt per E-Mail bei der Kanzlerin über die schlechte Innovationsförderung in Deutschland beschweren wollte, als Einzelstimme damit aber nicht bis zu ihr durchdrang.

    "Wir waren in einem Gründungsvorhaben und am Ende dieser Gründungsvorhaben, weil wir einfach so viele Probleme hatten, sind wir auf diese Idee gekommen, wir hatten Kommunikationsprobleme."

    Das war 2006. Zonooz - gebürtiger Berliner mit iranischen und griechischen Wurzeln - überlegte daraufhin zusammen mit zwei Kommilitonen, wie man die Kommunikation zwischen Bürgern und der Kanzlerin verbessern könnte. Es sollte so eine Art Rückkanal zu den wöchentlichen Internetansprachen der Kanzlerin entstehen. Innerhalb kürzester Zeit bastelten sie eine Webseite, die dem oben beschriebenen Muster folgte. Und sie zeigten Chuzpe. Denn als die Seite www.direktzurkanzlerin.de online ging, war das Kanzleramt völlig ahnungslos:

    "Wir haben das überhaupt nicht mit denen abgesprochen. Wir sind einfach online gegangen. Wir haben eine Pressemitteilung rausgeschickt und die ganzen Medien haben beim Bundeskanzleramt nachgefragt, gesagt hey, da gibt es jetzt einen Rückkanal auf 'Die Kanzlerin direkt', der heißt direktzurkanzlerin - was sagen Sie dazu?"

    Nach drei Wochen und Tausenden von Bürgeranfragen über diese Plattform blieb dem Kanzleramt nichts anderes mehr übrig als Antworten zu liefern, erinnert sich der 36jährige Firmengründer schmunzelnd. Damals lasen und filterten/bearbeiteten bei direktzu noch 25 Studenten ehrenamtlich die Bürgeranfragen. Heute ist die Methode längst professionalisiert. Maßgeschneiderte Programme managen den Datenfluss. Direktzu wurde zur GmbH und hat jetzt 20 Mitarbeiter. Darunter Informatiker, Marketingfachleute, Content Manager, Designer und Germanisten. Und auch die Kundschaft ist gewachsen:

    "Direkt nach Kanzlerin kam der Bundestagspräsident, wir hatten sogar in den USA fast alle Bewerber während der Primaries, mehrere Ministerpräsidenten, als Oberbürgermeister... Wir haben mehrere DAX-30-Vorstände als Kunden, u. a. der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Telekom Herr Obermann kommuniziert über unsere Produkte mit seinen Mitarbeitern, Metro-Group, der Vorstandsvorsitzende Herr Dr. Cordes, Siemens Herr Löscher."

    Direktzu bietet einen Kommunikationsweg, den es so bislang nicht gab. "Many to one" nennt sich die Methode, grob übersetzt also "viele an einen". Zonooz hat sich das Verfahren, die Namen "many to one" und "direktzu" rechtlich schützen lassen. Denn die Methode soll weltweit zum Einsatz kommen. Zum Beispiel wenn Verbände oder Gewerkschaften für ihre Mitglieder oder Sportvereine oder Showstars für ihre Fans erreichbar sein wollen.

    "Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, in Cottbus konnte ein Fall massiven Bankkartenbetrugs frühzeitig aufgeklärt werden. Oft werden die Fälle erst bekannt, wenn es schon zu spät ist. Was gedenken Sie zu tun, um der organisierten Bandenkriminalität einen Riegel vorzuschieben?"

    Eine Anfrage von Ferdinand Lasker an den brandenburgischen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck. Platzeck ist seit zweieinhalb Jahren Kunde von direktzu und hat seitdem rund 100 Anfragen auf diesem Wege beantwortet. Genauer gesagt: er als Schlussredakteur einer Antwort, die je nach Frage unterschiedlichste Personen im Haus erarbeitet haben. Immer mit dabei: Hans Völkel vom Presseamt.

    "Für uns war das eine Möglichkeit, neue Formen des Dialogs mit dem Bürger auszuprobieren. Vor allen Dingen ist das ein neues Klientel, was da erschlossen wird. Also Leute, die im Internet mehr unterwegs sind und wir hoffen natürlich, dass wir uns damit vor allem jungen Leuten mehr nähern."

    Auch für direktzu sieht die Bilanz inzwischen gut aus. Nachdem es anfangs nur Starthilfe vom Gründerprogramm der Freien Universität Berlin gab, stiegen bald zwei große Privatinvestoren ein. Wer das ist und wie viel Geld die beiden als Gesellschafter einbrachten will Zonooz nicht sagen. Auch nicht, welche Preise er den Nutzern der direktzu-Services in Rechnung stellt.

    "Wir haben einen ganz normalen Lizenzvertrag, das heißt, wenn Sie so eine Plattform haben wollen und sagen: Meine Stakeholdergruppe sind 200.000 oder 20 Millionen, was auch immer, da zahlen sie dann entsprechende Lizenzgebühren."

    Die Umsatzmillion hat direktzu schon geschafft, ab nächstem Jahr rechnet Zonooz mit Gewinn, den er wieder ins Unternehmen investieren wird, denn die Firma will hoch hinaus:

    "Ich sage immer: Jeder, der was suchen will, geht zu Google. Und ich denke in Zukunft: Jeder der Meinungen einholen will oder loswerden will, kommt zu direktzu."