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Viele bunte Ideen

Nach dem Einzug in mehrere Landtage schmelzen die Umfragewerte der Piraten wie Butter in der Sonne. Dringend ist die Partei auf klare Positionen angewiesen. Also sucht man trotz vieler Berührungsängste nun auch eine Haltung zur Außen- und Sicherheitspolitik.

Von Hanno Grieß | 10.01.2013
    Piraten-Treffen in einem Dresdner Stadtteilhaus. Etwa 15 Teilnehmer sind gekommen, viele davon mit eigenem Laptop. Das Treffen zur Außen- und Sicherheitspolitik findet – wie üblich bei den Piraten – sowohl in der Realität als auch zeitgleich im Internet statt. Sebastian Harmel ist 30 Jahre alt, aktiver Bundeswehr-Hauptmann und war ein Jahr lang in Afghanistan. Mit seinen Erfahrungen will er die Diskussion um die Außen- und Sicherheitspolitik in der Partei vorantreiben:
    "In Afghanistan habe ich positive und negative Dinge erlebt, ich hab’ hoffentlich helfen können, bei den ganz normalen täglichen Dingen, wie beantrage ich Dinge bei der Verwaltung, mit wem muss ich reden beim Entschärfen von Konflikten. Ich habe aber auch Dinge erlebt, die einen wirklich erschüttern, zum Beispiel einen Anschlag, wo deutsche Soldaten verletzt wurden, wo Kinder verletzt wurden, und ich denke es ist wichtig, dass wir den Afghanen helfen, aber wie, mit welchen Mitteln, das ist der zentrale Punkt, der zu klären ist."

    Die Wirklichkeit des Auslandseinsatzes steht im Widerspruch zum Anspruch der Piratenpartei. Sie versteht sich als Friedenspartei, eine klare Haltung zur Bundeswehr gibt es noch nicht, von Entwaffnung ist die Rede, von Austritt aus der NATO, aber auch von größerer Unterstützung der Truppe. Viele bunte Ideen.
    "Jeder hat eigene Interessen, es gibt die Hausfrau, den Rentner, den Nerd, den Hacker, und so sind auch Soldaten Teil der Piratenpartei, wir haben in Bochum ja schon beschlossen, dass wir für Frieden stehen, für zivile Krisenprävention. Und mein Wunschergebnis ist, dass wir wirklich einen Weg aufzeigen, wie wir dahin kommen."
    Bislang hatten die Piraten Berührungsängste mit dem Thema Bundeswehr. Auch nach dem Bochumer Bundesparteitag im November blieb die Außen- und Sicherheitspolitik ein noch unbeackertes Feld. Doch nach dem Einzug in mehrere Landtage schmelzen die Umfragewerte wie Butter in der Sonne. Deshalb ist die Partei dringend auf der Suche nach Inhalten. Der Baden-Badener Pirat Henrik Eisele hat seinen Wehrdienst bei der Luftwaffe geleistet. Nun liegt ihm vor allem die Nachversorgung von Veteranen am Herzen. Er erklärt das bisherige Desinteresse der Piraten am Thema so:
    "Es ist einfach so, dass dadurch, dass wir so viele offene Punkte hatten, kam es bisher noch nicht dazu. Die Bundeswehr an sich wurde bisher noch gar nicht behandelt, einfach weil die Zeit fehlte. Aber von Parteitag zu Parteitag füllen wir eben die einzelnen Punkte auf. Es ist nur ein unbeliebtes Thema. Wenn es aber um den Krieg geht, und der ist geopolitisch einfach da, dann muss man sich mit der geopolitischen Lage beschäftigen, und nicht mit dem, was wir gerne hätten. Und deswegen müssen wir das, was wir haben, so gestalten, dass es gut abläuft. Dass unsere Truppe ausgerüstet wird und auch wieder heil nach Hause kommt. Wenn wir sie schon in den Einsatz schicken."
    Soviel Realitätssinn muss sein, meint Eisele. In der Partei hat sich eine Untergruppe Verteidigungspolitik gebildet, die daran arbeitet, in dem Spannungsfeld zwischen Wirklichkeit und Utopie eine Position zu finden. Leiter der Gruppe ist Hauptmann Sebastian Harmel:
    "Das ist das allererste Treffen der Piraten zum Thema Verteidigungspolitik, es ist bundesweit, es ist transparent, wir übertragen das live ins Internet, jeder Bürger kann sich engagieren, auch wenn er vielleicht sagt, ich habe mich noch nie für Bundeswehr interessiert, aber ich würde gerne mal informieren und einbringen, es kann also auch jeder mitreden."
    Der offene Diskussionsprozess macht es allerdings nicht gerade einfach, einen Konsens zu finden. Der Rechtsanwalt und Friedensaktivist Peter Becker engagiert sich seit Langem bei IALANA, einer Vereinigung gegen Atomwaffen. Seit Kurzem ist er auch bei den Piraten – und findet, dass die Partei sich mit der Positionierung doch ein wenig beeilen sollte:
    "Was wollen denn die Piraten eigentlich? Sie sind im Grunde in einer Bringschuld. Sie müssen sich jetzt aufstellen und zeigen, ja wir sind eine Partei. Und ich bin der Auffassung, dass der Partei damit die Chance gegeben ist, sich mit fundierten Positionen gut aufzustellen. Und deswegen bin ich der Auffassung, dass es mit einer Aufholjagd jetzt gelingen kann, doch noch die demografische Hürde von fünf Prozent zu nehmen."
    Denn darum geht es am Ende, um das Ergebnis bei der Bundestagswahl. Für Peter Becker ist das, was da gerade in der Piratenpartei passiert, ein in der Parteienlandschaft äußerst ungewöhnlicher Vorgang:

    "Das ist ein praktisch revolutionärer Prozess, und zwar deswegen, weil sich eine Partei neu gründet, eine klare linksliberale Basis hat, sich aufstellen für die Neuen Medien, aber als politische Partei natürlich die Aufgabe hat, über dieses One-Point-Movement hinaus eine politische Plattform sich zu erarbeiten"

    Der äußere Druck ist da, entsprechend groß ist auch die Bereitschaft der Piraten, zuzuhören. Zum Beispiel dem sächsischen Reservistenverband. Dessen Vorsitzender Christoph Lötsch meint nach dem Treffen:
    "Also, ein Diskurs ist immer eine richtige Richtung, ganz egal, wie er verläuft, auch wenn man gegensätzlicher Ansicht ist. Ich habe hier eine große Offenheit und Neugierde festgestellt, ich bin sehr froh darüber. Man konnte sich austauschen, man ist nicht in allem einer Meinung, das ist klar, aber ich freu’ mich, dass ich hier sein durfte, unsere Position darstellen durfte, und bin angenehm überrascht."
    Noch nie zuvor hatten Reservistenverband und Piratenpartei irgendwelche Berührungen. Jetzt, nach dem ersten Kontakt, geht die programmatische Diskussion vor allem im Internet weiter. Denn die Zeit läuft, der nächste Bundesparteitag findet im Mai in Neumarkt in der Oberpfalz statt.