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Viele portugiesische Kinder müssen arbeiten

Wenn in Portugal das Schuljahr zu Ende geht, bedeutet das für einige Schüler nicht unbedingt, dass nun die arbeitsfreie Zeit beginnt. Lehrer und Sozialarbeiter berichten, dass wieder vermehrt Kinder zur Arbeit gezwungen werden. Gleichzeitig läuft das portugiesische Programm zum Schutz vor Kinderarbeit aus.

Von Jochen Faget | 06.07.2012
    Ein Bauer gräbt zwischen Weinreben seinen Kartoffelacker um – von Hand, mit der Harke. Im Norden Portugals ist das nichts Ungewöhnliches. Die Felder sind häufig zu klein, um Maschinen einzusetzen. Schon immer mussten auch die Kinder ran, erklärt die Lehrerin und Gewerkschafterin Julia Vale:

    "Ich hatte schon Grundschüler, die morgens um sieben mit dem Bus zur Schule kamen und erst gegen sieben Uhr abends wieder zuhause waren. Dann mussten sie noch die Kühe melken und das Vieh versorgen."

    Es war nur noch ein kleiner Schritt hin zur industriellen Kinderarbeit. Vor 20 Jahren machten hier viele Fabriken auf, der EU-Beitritt bescherte der Region einen Bauboom. Manuel Sarmento, der Leiter der Abteilung für Kinder- und Jugendstudien an der Universität Braga sagt, dass 200.000 Kinder damals illegal gearbeitet hätten. Auch die Lehrerin Julia Vale erinnert sich an diese Zeit:

    "Die meisten Kinder mussten zuhause arbeiten. Sie saßen abends mit der Familie um den Kamin und nähten Schuhe bis tief in die Nacht. Am nächsten Tag holte dann ein Firmen-LKW die fertigen Schuhe ab."

    Paradoxerweise habe die Lage sich vor allem wegen Portugals großer Krise zumindest vorübergehend gebessert, erklärt Kinderforschungs-Institutsleiter Manuel Sarmento:

    "Die Klein- und Kleinstunternehmen, die Kinder beschäftigt haben, sind ganz einfach wegen der weltweiten Konkurrenz eingegangen. Es gibt keine Kinderarbeit mehr, weil diese Betriebe Pleite gemacht haben. Doch aufgrund der Armut und der sozialen Unsicherheit, die die Krise verursacht hatten, könnte die Kinderarbeit schnell wieder zunehmen."

    Das bestätigt auch die Lehrerin Julia Vale:

    "Da es hier noch immer viele landwirtschaftliche Kleinstbetriebe gibt, werden die Familien ohne anderes Einkommen wieder verstärkt auf die Arbeit ihrer Kinder zurückgreifen. Anders schaffen sie es einfach nicht."

    Ihre Kollegen berichteten bereits von Kindern, die übermüdet und hungrig in die Schule kommen, erzählt die Lehrerin. Und auf den kleinen Feldern der Region sehe man immer öfter Kinder arbeiten. Doch der portugiesische Staat wolle um jeden Preis sparen. Am falschen Ende, kritisiert Manuel Sarmento:

    "Ausgerechnet jetzt, da die sozialen Netze dichter geknüpft werden müssen, um eine Katastrophe zu verhindern, werden sie vernichtet. Das erhöht natürlich die Verletzlichkeit der Kinder."

    Die hier zuständigen portugiesischen Ministerien schweigen beharrlich. Das bestätigt die Erfahrungen des Wissenschaftlers:

    "Dies ist ein Staat, für den Kinder nichts gelten, er hat völlig andere Prioritäten. Es gibt keine einzige Maßnahme im Erziehungs- oder Gesundheitsbereich, von der Kultur bis zur Wirtschaft, die im Interesse der Kinder getroffen würde."

    Der Stopp des staatlichen Programms gegen die Kinderarbeit sei erst der Anfang vom Ende, sagt Sarmento Der portugiesische Staat ziehe sich mit seiner neoliberalen Politik aus dem Sozialbereich völlig zurück.