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"Viele Probleme sind nicht gelöst"

Im Südsudan entsteht ein Staatsgebilde, das nur mit Hilfe von außen Strukturen entwickeln kann, die die Überlebensfähigkeit sichern, sagt FDP-Politiker Gerhart Baum. Sorge bereite ihm vor allem der Darfur-Konflikt, wirtschaftliche Instabilität und das große Unruhepotenzial im Nordsudan.

Gerhart-Rudolf Baum im Gespräch mit Friedbert Meurer | 10.01.2011
    Friedbert Meurer: Afrika wird bald um einen neuen Staat reicher sein. Seit gestern läuft die Volksabstimmung im Süden des Sudan und niemand zweifelt daran, wie es ausgehen wird, nämlich, dass es zu einer klaren Mehrheit kommt für eine Loslösung und Unabhängigkeit des Südsudan. Die Menschen tanzten gestern schon vor Freude auf den Straßen. Sie glauben an eine bessere Zukunft, denn die alte stand für einen furchtbaren Bürgerkrieg mit vielen, vielen Toten. Zwei Millionen Tote hat der Bürgerkrieg gefordert.
    Gerhart Baum, der FDP-Politiker, war bis etwa 2004 Sonderbeauftragter der Vereinten Nationen für den Sudan. Guten Morgen, Herr Baum.

    Gerhart-Rudolf Baum: Guten Morgen.

    Meurer: Die Menschen im Süd-Sudan, sie tanzen und jubeln. Haben sie allen Grund dazu?

    Baum: Ja, zunächst schon. Es ist ja Teil des Friedensabkommens, das dem Land eine Befriedung gebracht hat, und sie fühlten sich unterdrückt von den Nil-Arabern in Khartum viele Jahre lang. Der Norden hat wenig getan, um den Süden zu entwickeln. Also jetzt beginnt für sie eine neue Zukunft. Auch wenn die Euphorie zu hochschlägt meine ich, da entsteht ein Staatsgebilde, das allerdings nur mit Hilfe von außen Strukturen entwickeln kann, die dann die Überlebensfähigkeit sichern. Aber die Probleme im Sudan liegen nicht im Süden, die liegen im Verhältnis zwischen Nord und Süd und sie liegen im Norden selber. Dort gibt es ein großes Unruhepotenzial, das sich entwickeln kann in den nächsten Monaten, auch mit gewalttätigen Auseinandersetzungen.

    Meurer: Da dieser furchtbare Bürgerkrieg bis 2005 etwa zwei Millionen Tote gefordert hat, wie unwahrscheinlich ist da eine friedliche Zukunft und ein friedliches Miteinander von Norden und Süden?

    Baum: Das sieht so aus, als ob das gelingen könnte. Allerdings Sudan ist ein sehr kompliziertes Land mit vielen Völkerschaften, vielen Landschaften, und ihm muss geholfen werden. Das heißt, es braucht auch weiter den politischen Druck auf beide Akteure, auch auf den Norden. Was überhaupt noch nicht erwähnt worden ist in dieser Sendung ist die offene Wunde Darfur. Dort in dieser Provinz, die jetzt zum Norden gehört, eine große Provinz mit vielen Millionen Einwohnern, hat aus der Sicht des Internationalen Strafgerichtshofs ein Völkermord stattgefunden und mehr als zwei Millionen Menschen leben heute noch in Lagern, werden unterdrückt, werden ernährt durch internationale Hilfe. Es gibt eine Schutztruppe mit über 10.000 Mann. Das ist das eigentliche Problemfeld: Wie geht der Norden mit dieser Krise um und ist es wirklich so, dass der Präsident des Nordens, der ja mit einem internationalen Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs gesucht wird, die aufkündigen wird, diese Übereinkunft in seiner Verfassung, einen multiethnischen Staat zu führen. Im Norden gibt es nicht nur Araber, es gibt Problemprovinzen, es gibt die Grenzprovinzen. Also da ist ein Unruhepotenzial, das leicht unterschätzt wird jetzt in der Zukunft des Sudan.

    Meurer: Um bei Darfur zu bleiben. Kann das Referendum im Süden sozusagen sich nachteilig auswirken auf Darfur?

    Baum: Das kann sein, weil der Norden jetzt die Hände frei hat für den Darfur-Konflikt, der ja nicht politisch gelöst wird bisher, sondern alle politischen Versuche sind gescheitert, sondern militärisch gelöst wird, und es ist so, dass der Süden sehr starke Sympathien für Darfur hat. Hier könnte also ein neues Konfliktpotenzial entstehen und ich würde wirklich sehr begrüßen, wenn all die prominenten Leute, die jetzt genannt worden sind in Ihrer Sendung, auch nach Darfur fahren würden, dort wo die Menschen wirklich unter elenden Verhältnissen leben und gepeinigt werden. Das ist das offene Problem, die offene Wunde, die offene Menschenrechtswunde des Sudan.

    Meurer: Der Präsident des Gesamt-Sudan, demnächst nur noch des Nordens, Omar al-Bashir, wird vom Internationalen Strafgerichtshof gesucht. Muss er dahin auch überstellt werden?

    Baum: Ja, wenn man ihn fassen kann. Er wird ja sich nicht in eine Situation bringen, dass er verhaftet werden kann. Aber seine Reisemöglichkeiten sind eingeschränkt. Also für die Normalität, für die Stabilität des Landes gehört natürlich auch eine Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof. Es geht um Kriegsverbrechen, die in Darfur stattgefunden haben, und es geht nicht nur um einen Mann, es geht um eine ganze Reihe von Tätern, die jetzt gesucht werden. Es gibt auch wirtschaftliche Instabilität. In den letzten Monaten sind die Lebensmittelpreise verdreifacht worden. Also bei aller Euphorie, die jetzt da ist, und Zukunftshoffnung, viele Probleme sind nicht gelöst und wir müssen auch von der internationalen Gemeinschaft her alles tun, um den Sudanesen zu helfen, ihre Probleme zu lösen. Hilfe und auch politischer Druck sind notwendig.

    Meurer: Kurz noch: Gingen die Menschenrechtsverletzungen in der Hauptsache vom Norden aus?

    Baum: Ja, muss man sagen. In Darfur, das ist das Problem des Nordens. Es gibt natürlich auch Menschenrechtsverletzungen im Süden, es gibt auch Unruhepotenzial im Süden mit verschiedenen Völkerschaften, die dort sich zusammenfinden müssen. Aber der eigentliche Unruhestifter, das ist der Norden, und er hat es ja auch nicht fertiggebracht, eine Einheit zu bewahren. Die wäre drin gewesen. Der Norden hat die Einheit verspielt durch politische Arroganz und muss sehen, wie er jetzt mit diesem neuen Staat zurechtkommt. Das ist offen, aber insgesamt muss man sagen, das Friedensabkommen von 2005 bewegt sich auch jetzt durch diese Volksabstimmung und es ist die Chance darin enthalten, doch zu besseren Verhältnissen zu kommen.

    Meurer: Sie sagten eingangs, Herr Baum, ohne Staatshilfe von außen wird es nicht gehen für den Süd-Sudan. Sollte zunächst schon mal die Bundesrepublik den Süd-Sudan anerkennen, wenn er unabhängig sein will?

    Baum: Ja. Das werden ja alle Staaten tun. Er wird in die UNO aufgenommen werden. Das ist kein Problem. Das Problem sind die Strukturen, da wird aber schon viel getan, auch durch Nicht-Regierungsorganisationen, durch die Kirchen. So einen Staat aufzubauen, dazu bedarf es wirklicher staatlicher Strukturen, ausgebildeter Leute, die einen Staat führen können, bis hin zur kommunalen Ebene. Es muss ein Justizwesen aufgebaut werden. Alles das muss jetzt erfolgen. Der Norden ist bestens organisiert, der Süden noch nicht.

    Meurer: Der Süden wird einen Präsidenten vermutlich haben, der Salva Kiir heißt, ein ehemaliger General der Rebellen. Er fällt, wenn man ihn im Fernsehen sieht, dadurch auf, dass er einen Stetson-Hut trägt, einen Cowboy-Hut, was für den Sudan ziemlich ungewöhnlich ist. Was ist das für ein Mann?

    Baum: Ja, das ist ein Nachfolger. Der eigentliche Freiheitsheld, wenn Sie so wollen, ist umgekommen bei einem Hubschrauberunglück. Das war Herr Garang. Aber er macht das jetzt doch sehr kompetent. Den Hut kann ich mir vorstellen als Gegensatz zu diesem arabischen weißen Gewand, das die Nord-Sudanesen tragen. Er will sich damit absetzen. Er ist etwas anderes. Aber ich glaube schon, dass er und seine Mannschaft das Land regieren können, auch wenn dort schon wieder wie auch im Norden die Korruption hochblüht und ein wirkliches Problem ist. Auch der Süden beginnt, korrupt zu werden.

    Meurer: Der frühere UNO-Sonderbeauftragte für den Sudan, Gerhart Baum, bei uns im Deutschlandfunk zur Volksabstimmung in Südsudan. Herr Baum, herzlichen Dank und auf Wiederhören.

    Baum: Auf Wiederhören.
    Unabhängigkeitsaktivisten demonstrieren vor dem Flughafen von Juba im Südsudan
    Unabhängigkeitsaktivisten demonstrieren vor dem Flughafen von Juba im Südsudan (AP)