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"Viele schaffen es nicht, bis 65 zu arbeiten"

Das Bundesfamilienministerium hat eine Studie vorgestellt, nach der Arbeitnehmer später in Rente gehen als bisher. Anton Schaaf, der Rentenexperte der SPD, fordert eine langsame Anpassung des Renteneintrittsalters in Deutschland.

Anton Schaaf im Gespräch mit Petra Ensminger | 09.09.2010
    Friedbert Meurer: Petra Ensminger hat gestern Abend mit dem SPD-Abgeordneten Anton Schaaf gesprochen, Mitglied im Ausschuss für Soziales im Bundestag, und ihn gefragt, was das für die Diskussion um die Rente mit 67 bedeutet.

    Anton Schaaf: Nein. Wenn man sich die Zahlen anschaut, ich kenne die Studie jetzt noch nicht in Gänze, sondern nur in Ausschnitten, aber wenn man sich die Zahlen anschaut, sind sie ja zumindest von den Beschlüssen der SPD noch ziemlich weit entfernt.

    Petra Ensminger: Aber die Studie zeigt, dass die Zahl der älteren Erwerbstätigen steigt. Es wäre doch dann nur konsequent, das Rentenalter auch heraufzusetzen.

    Schaaf: Na ja, wir reden ja jetzt über 33 Prozent Beschäftigung der über 60-Jährigen. Das heißt, 67 Prozent sind noch nicht beschäftigt. Und ich denke, da ist noch ganz schön Luft zum Beschluss der SPD, die ja beschlossen hat, dass zumindest 50 Prozent in Beschäftigung sein müssen.

    Ensminger: Die Rente mit 67 soll ja so, wie sie im Moment geplant ist, auch nicht übermorgen eingeführt werden, sondern erst nach und nach, ab 2012 dann bis 2029. Da ist ja noch viel Zeit, dass die Erwerbstätigkeit tatsächlich noch mehr steigt.

    Schaaf: Das ist in der Tat richtig. Aber der Beschluss der SPD sagt ja nicht nur was über eine Beschäftigungsquote aus, sondern sagt ja auch was über Qualität der Arbeit aus, sagt auch was darüber aus, was machen wir denn mit denen, die real nicht mehr können, also diese berühmte Dachdecker-Debatte, die ich ja immer deutlich ausgeweitet habe auf die, die im Mehrschicht-Prinzip arbeiten, oder die Krankenschwester, oder ähnliche Berufe. Was machen wir eigentlich mit denen, die es nicht schaffen können, jetzt schon nicht bis 65 und später nicht bis 67? Und ich glaube, da geht es einfach darum, dass man das beantworten muss, um den Menschen da auch die Sorge und die Angst zu nehmen, dass sie es einfach nicht bis 67 schaffen.

    Ensminger: Man könnte es ja auch umgedreht sehen. Schon jetzt ist es ja so, dass die 65 als Rentenausstiegsalter von vielen gar nicht erreicht wird, aber diejenigen, die länger wollen, die dürfen auch nicht länger. Also warum die fitten Alten gesetzlich aus dem Job drücken?

    Schaaf: Na ja, wir hatten ja eine massive Deindustrialisierung. Wir erinnern uns an Zeiten, als es Vorruhestandsregelungen gab, als Arbeitnehmer mit 55 und zum Teil auch noch jünger aus den Betrieben rausgedrängt worden sind. Die Zeiten sind definitiv ja Gott sei Dank hinter uns. Übrigens hat das auch was mit steigender Beschäftigungsquote Älterer zu tun, wenn der Vorruhestand in den letzten Jahren jetzt komplett ausgelaufen ist, weil nämlich die Älteren nicht mehr so leicht aus den Betrieben rauszudrängen sind, und da muss man halt weiter dran arbeiten. Das ist schon richtig! Allerdings, sage ich mal, wird es immer Menschen geben, die nicht bis 67 es schaffen können, und für die haben wir einfach keine ausreichenden Antworten, und das ist ein wesentlicher Bestandteil des SPD-Beschlusses gewesen.

    Ensminger: Schauen wir mal auf den demographischen Wandel. Das ist ja schon vielfach untersucht worden, dass auch im Zeichen des demographischen Wandels verstärkt auf ältere Arbeitnehmer zurückgegriffen werden muss. Ein langsamer Übergang ist ja eigentlich Voraussetzung dafür. Stellen Sie sich also den künftigen Arbeitsmarktanforderungen in den Weg?

    Schaaf: Nein! Das glaube ich nicht, dass wir uns denen in den Weg stellen. Langsame Anpassung ist völlig in Ordnung. Es gibt ja auch keinen Beschluss der SPD – zumindest ist mir keiner bekannt -, dass wir das höhere Renteneintrittsalter nicht wollen.

    Ensminger: Aber nicht 2012, sondern viel später.

    Schaaf: Nicht 2012. Na ja, in der Diskussion ist jetzt 2015, und ich sage mal so: Entscheidend ist gar nicht so sehr, wann man mit einem Monat mehr anfängt, sondern entscheidend ist, sind die Voraussetzungen, die Sozialdemokraten mit einem höheren Eintrittsalter verbinden, geschaffen, sprich haben wir flexible Übergänge vernünftig organisiert, gibt es eine geförderte Altersteilzeit, die ja im letzten Jahr ausgelaufen ist, genau um solche flexiblen Übergänge zu organisieren. Was ist mit denen, die nicht mehr können, also was ist mit der Frage Erwerbsminderung, haben wir bessere Zugänge, haben wir eine bessere Ausstattung, oder bestrafen wir die Menschen, die aus Arbeit kaputt sind, weiterhin mit massiven Abschlägen. Übrigens haben wir da auch Gerichtsurteile schon von Sozialgerichten, die uns sagen, das dürfen wir eigentlich so in der Form gar nicht machen, zumindest bei einzelnen Fällen.

    Ensminger: Die Studie zeigt ja gerade mit Blick auch auf die Krankheit, dass es immer weniger sind, die tatsächlich nicht mehr in der Lage sind zu arbeiten. Sieben Prozent, sagt die Studie, und das zeigt das gehörige Potenzial, das sich in dieser Altersgruppe ja inzwischen verbirgt.

    Schaaf: Na ja, aber es widerspiegelt dann aber die Realität in den Betrieben nicht wirklich. Ich war, bevor ich in den Bundestag kam, beschäftigt bei der städtischen Müllabfuhr und dann sieht man schon ganz viele, die sich über das 60. Lebensjahr hinaus wirklich schleppen, im Beruf schleppen müssen, weil sie mit der prognostizierten Rente schlichtweg nicht klar kommen und deshalb jedes Jahr brauchen, um ihren Rentenanspruch anzuheben, jedes Jahr brauchen, um Abschläge zu vermeiden. Das ist schon eklatant, was da draußen zum Teil passiert, und das hat natürlich auch mit Rentenniveau zu tun. Von daher muss man sich die Realität immer anschauen, die Realität der Menschen, die Arbeitsbedingungen und die Voraussetzungen dafür, ein höheres Renteneintrittsalter einzuführen, muss man sich genau anschauen, sind die denn gegeben, und zwar für alle gleichermaßen. Da, sage ich, haben wir Defizite, und das hat auch die SPD zumindest im Parteivorstandsbeschluss so festgehalten und hat gesagt, wir wollen erst diese Defizite beseitigen und dann fangen wir an mit einem höheren Renteneintrittsalter.

    Ensminger: Herr Schaaf, wann wollen Sie in Rente gehen?

    Schaaf: Ich werde wahrscheinlich gehen können nach den jetzigen Gesetzen mit 66 Jahren und zehn Monaten, wenn ich regulär in Rente gehe, ohne Abschläge.

    Ensminger: Und wann wollen Sie?

    Schaaf: Ich würde gerne etwas früher gehen können, wenn ich kann. Das weiß man aber ja nicht genau. Aber ich werde sicherlich immer was tun, im Zweifel auch ehrenamtlich.

    Meurer: Meine Kollegin Petra Ensminger sprach mit dem SPD-Bundestagsabgeordneten und Rentenexperten Anton Schaaf.