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"Viele wirklich unsinnige Maßnahmen"

Philipp Mißfelder, Vorsitzender der Jungen Union, hat sich für deutliche Einsparungen im Haushalt der Bundesagentur für Arbeit ausgesprochen. Es gebe dort etwa im Bereich der Weiterbildungen viele unsinnige Maßnahmen, sagte Mißfelder. Eine Senkung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung von derzeit 3,3 auf drei Prozent sei allein schon deshalb möglich, fügte der CDU-Wirtschaftspolitiker hinzu. Er könne sich sogar vorstellen, auf die Behörde ganz zu verzichten, wenn man andere Wege für die Versicherungsleistung finde und die Vermittlung von Arbeitslosen privatisiere.

Christoph Heinemann im Gespräch mit Philipp Mißfelder | 15.08.2008
    Christoph Heinemann: Die deutsche Wirtschaft ist im zweiten Quartal erstmals seit knapp vier Jahren wieder geschrumpft. Das Bruttoinlandsprodukt verringerte sich laut statistischem Bundesamt real um 0,5 Prozent gegenüber dem Vorquartal. Die Finanzmarktkrise, der starke Euro und der hohe Ölpreis bremsen das Wachstum. Das Minus fiel aber geringer aus als erwartet. Die Meldung überraschte also nicht und schon im Vorfeld gab es vielstimmige Vorschläge aus der Politik: Steuersenkungen, neue Pendlerpauschale und nun ein Anti-Rezessionsprogramm zur Stärkung der wirtschaftlichen Lage. Letztere Forderung stammt vom nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers (CDU). Er sei gegen ein klassisches Konjunkturprogramm mit Milliarden-Ausgaben, aber man dürfe die Hände nicht in den Schoß legen, meint der stellvertretende CDU-Vorsitzende.

    Unterdessen warnt der Chef der Bundesagentur für Arbeit Frank-Jürgen Weise davor, wie geplant den Beitragssatz für die Arbeitslosenversicherung von 3,3 auf 3,0 Prozent zu senken. Dies sei rechnerisch möglich. Allerdings wäre das vor dem Hintergrund der Warnsignale aus der Wirtschaft mit Risiken verbunden, sagte Weise. - Am Telefon ist Philipp Mißfelder (CDU), Mitglied des Bundestagsausschusses für Wirtschaft. Guten Morgen!

    Philipp Mißfelder: Guten Morgen!

    Heinemann: Herr Mißfelder, wie lesen Sie die Zahlen? Atempause oder Abschwung?

    Mißfelder: Festlegen kann ich mich dazu letztendlich noch nicht, weil natürlich klar ist, dass wir uns in einer schwierigen Situation befinden. Die Weltwirtschaft ist sicherlich seit einigen Monaten in Schwierigkeiten. Davon sind wir weitestgehend verschont geblieben. Aber es sieht so aus, als wenn das nicht mehr der Fall sein sollte. Und, was die Binnennachfrage angeht, so ist es ja schon seit längerer Zeit so, dass die Menschen zu wenig Vertrauen haben und zu wenig Geld ausgeben und das eines der größeren Probleme ist, warum die Binnenkonjunktur nicht anspringt.

    Heinemann: Warum sie zu wenig Geld in den Taschen haben, darauf kommen wir gleich noch zu sprechen. - Der BDI spricht von einem Alarmsignal. Müssen wir die Sirenen einschalten?

    Mißfelder: Die Sirenen nicht, weil das würde sicherlich noch mehr Schwierigkeiten mit sich bringen. Man darf die Menschen jetzt auch nicht verrückt machen, aber man muss die Signale ernst nehmen und darf nicht so tun, als wenn alles in Ordnung wäre. Dann ist für mich die Schlussfolgerung, dass man eben nicht untätig sein darf, und das heißt für mich eben auch, dass man überprüfen muss, welche Wirtschaftsreformen sind trotz Großer Koalition in dieser Konstellation noch möglich.

    Heinemann: Trotz, nicht wegen.

    Mißfelder: Ja. Wegen der Großen Koalition kann ich ja sagen, die Große Koalition ist an vielen Stellen leider nur kleinster gemeinsamer Nenner, weil die SPD so vieles verhindert von dem, was wirtschaftlich sinnvoll wäre.

    Heinemann: Ist jetzt die Zeit für staatliche Programme gekommen?

    Mißfelder: Das hängt davon ab, was für staatliche Programme, denn in der Tat gab es in der Vergangenheit auch Maßnahmen, die natürlich erfolgreiche Maßnahmen waren. Da kann man sich natürlich darüber streiten, in welchem Umfang das dann stattfinden sollte. Also eine Steuerentlastung kann man sicherlich diskutieren. Was sonst zur konjunkturellen Erholung beitragen würde, sollte man nicht unterlassen. Insofern: Ausdifferenzierte Konjunkturprogramme, wie Jürgen Rüttgers sie vorschlägt, kann ich mir vorstellen, und man muss dann überlegen, was man in diesem Bereich tun kann.

    Heinemann: Was zum Beispiel?

    Mißfelder: Also wir haben gesehen, dass bestimmte Branchen sich sehr, sehr schwer tun, weil eben zu wenig Vertrauen bei den Menschen da ist. Ich komme wieder zurück zu dem, was ich eingangs gesagt hatte. Im Bereich des Einzelhandels liegt ja die Krisensituation vor allem daran, dass die Menschen zu wenig sich selber zutrauen und deshalb auch zu wenig Geld ausgeben. Das heißt, wenn wir den Menschen ein deutliches Entlastungssignal geben, an die soziologische Mittelschicht, an die Einkommensmittelschicht, dann, glaube ich, wird das auch zu mehr Vertrauen führen. Denn wir sehen, dass die hohen Lohnabschlüsse in manchen Bereichen nicht zu positiver Stimmungsänderung geführt haben, weil vieles von dem Geld durch die Inflation aufgefressen worden ist beziehungsweise durch die kalte Progression.

    Heinemann: Und weiter aufgefressen wird bei einer Inflationsrate von 3,3 Prozent. - Sie sprachen eben vom Mittelstand. Das sind ja die Häuslebauer. Also zurück mit der Eigenheimzulage?

    Mißfelder: Nein. Das fordere ich nicht, weil ich glaube auch, dass man die Probleme, die der demographische Wandel mit sich bringt, nicht unterschätzen darf. Ich sehe die Eigenheimzulage vor allem deshalb kritisch, weil wir eben den demographischen Wandel haben. Ich komme aus einer Region, wo der demographische Wandel schon in kürzester Zeit - also dem Ruhrgebiet - zu große Schwierigkeiten mit sich bringen wird. Deshalb macht es keinen Sinn, dort neue Gebäude zu errichten, sondern man muss erst mal mit dem Bestand, den man hat, auskommen beziehungsweise sogar Rückbaumaßnahmen vornehmen. Also da muss man sehr vorsichtig sein, in welche Richtung man dauerhafte Stadtentwicklungsentscheidungen treffen will. Deswegen halte ich davon nichts.

    Heinemann: Und wie stimuliert man die Bauindustrie?

    Mißfelder: Da sprechen Sie einen der schwierigsten Punkte an, weil wir dort in den vergangenen Jahrzehnten die größten Schwierigkeiten hatten. - Was heißt die vergangenen Jahrzehnte? Seit den 90er Jahren haben wir dort sehr große Schwierigkeiten, auch wegen des europäischen Wettbewerbsdrucks. Ich glaube nicht, dass die Zukunft Deutschlands nur im Bereich der Bauindustrie liegt, aber ich glaube, dass wir auch dort sehr wohl etwas tun können - zum Beispiel durch eine Verbesserung der Situation bei der Erbschaftssteuer sicherlich dafür sorgen können, die mittelständischen familiengeführten Betriebe zu entlasten und damit auch wieder mehr Vertrauen in die Wirtschaft gewinnen.

    Heinemann: Herr Mißfelder, früher sagte man, die Pferde müssten wieder saufen. Das heißt die Leute müssten Geld in der Tasche haben, damit sie es auch ausgeben können - können vor Lachen. Die Sozialabgaben werden voraussichtlich im kommenden Jahr steigen: Erhöhung der Krankenkassenbeiträge von 14,9 auf etwa 15,5 Prozent wegen der Einführung des Gesundheitsfonds. Und jetzt gibt es noch einen anderen Streit. Ist wegen der Konjunkturflaute eine Senkung der Arbeitslosenversicherung wie geplant von 3,3 auf 3 Prozent überhaupt noch denkbar?

    Mißfelder: Ja. Auf jeden Fall ist die denkbar, weil wir haben innerhalb der Bundesagentur für Arbeit so viele wirklich unsinnige Maßnahmen, und ich bin dem Vorstand der Bundesagentur dankbar, dass er so aktiv diesen Unsinn an vielen Stellen aufgedeckt hat und dass man eben auch sieht, was dort an Sparpotenzial von Herrn Weise schon genutzt wird. Aber ich sehe noch weiteres Sparpotenzial, wo man sich wirklich fragen muss, ob das, was dort teilweise ausgegeben wird, sinnvoll und zielführend ist. Also insofern glaube ich, dass wir auch aus dem laufenden Haushalt der Bundesagentur für Arbeit diese Beitragssenkung stemmen können und auch machen müssen, denn tatsächlich brauchen wir, weil die Krankenkassenbeiträge steigen, dort eine Kompensation, und die liegt in der Arbeitslosenversicherung, beim Arbeitslosenversicherungsbeitrag.

    Heinemann: Welchen Unsinn meinen Sie?

    Mißfelder: Es gibt viele Weiterbildungsmaßnahmen, die ich nicht für richtig halte. Es gibt vielfach auch den Hang der korporatistischen Strukturen in Deutschland, die Struktur der Bundesagentur an sich zu rechtfertigen, die mit einer riesengroßen Verwaltungsstruktur daher kommt und tatsächlich wenig Vermittlungserfolge vorzuweisen hat. Deshalb glaube ich, dass man auch grundsätzlich die Frage stellen muss, ob diese Form der Bundesagentur für Arbeit, wie sie ja heute heißt, überhaupt noch zeitgemäß und sinnvoll ist. Wir könnten langfristig auf diese Behörde auch verzichten, wenn wir einen vernünftigen Weg für die Versicherungsleistung finden können.

    Heinemann: Und der wäre?

    Mißfelder: Da gibt es ja Konzepte von der FDP, von Herrn Niebel beispielsweise, aber auch die Junge Union hat vor drei Jahren auf dem CDU-Bundesparteitag dazu etwas vorgeschlagen. Wir können uns vorstellen, die Bundesagentur für Arbeit sogar abzuschaffen und die Versicherungsleistung auszugliedern und die Vermittlung tatsächlich zu privatisieren, weil man sieht, dass private Vermittler an vielen Stellen wesentlich erfolgreicher sind, als das die BA jemals sein kann.

    Heinemann: Ist noch Zukunftsmusik. Die SPD hat - zurück damit zur Arbeitslosenversicherung - die Konjunkturflaute schon eingepreist, sieht deshalb keinen Spielraum für Beitragssenkungen. Ist das bei den jetzigen Strukturen nicht die ehrlichere Antwort als die Beteuerung der Union, das würde schon irgendwie gehen?

    Mißfelder: Nein. Ich sehe darin erneut das Beharrungsvermögen der SPD erneut, einfach an Strukturen festzuhalten, die überkommen sind. Denn ich bleibe dabei: innerhalb des Budgets der Bundesagentur für Arbeit gibt es tatsächlich noch ein Volumen, wo man weiter sparen kann. Und dann kann man dieses ehrgeizige Ziel der Beitragsabsenkung auch erreichen. Darauf beharren wir auch. Ich bin der Meinung, dass wir in erster Linie die Beiträge senken müssen. In Wahrheit - das haben Sie ja auch schon gesagt - ist es ja nicht so, dass es dort zu einer Gesamtentlastung kommt, weil wir an anderer Stelle eben größere Schwierigkeiten in der Sozialversicherung haben, nämlich bei der gesetzlichen Krankenversicherung. Deshalb ist dieser Schritt unbedingt notwendig und wir sollten jede Anstrengung dafür unternehmen.

    Heinemann: Jürgen Rüttgers wird der Erbschaftssteuerreform im Bundesrat nicht zustimmen. Das Vorhaben sei weder administrierbar noch wachstumsfreundlich. Warum legt die Große Koalition der Wirtschaft solche Steine in den Weg?

    Mißfelder: Jürgen Rüttgers hat auch da absolut Recht, denn das Land Nordrhein-Westfalen, was ja ein sehr hohes Erbschaftssteueraufkommen hat, hat auch gleichzeitig sehr viele familiengeführte mittelständische Betriebe, und die sind von der geplanten Regelung, so wie sie das Bundeskabinett verabschiedet hat, massiv betroffen und massiv benachteiligt. Hier geht es nicht darum, dass wir die Multimillionäre und Milliardäre entlasten, sondern hier geht es darum, dass wir die Landwirte, die dort negativ betroffen sind von der Reform, und natürlich auch den familiengeführten Mittelstand entlasten. Deshalb kämpfe ich auch dafür, dass wir diese Erbschaftssteuerregelung, so wie wir sie jetzt im Bundeskabinett haben, dass wir die nicht im Deutschen Bundestag verabschieden. Insofern unterstütze ich unsere Landesregierung und kann sie nur ermutigen.

    Heinemann: Warum hören die Damen und Herren Glos und Merkel diese Signale nicht?

    Mißfelder: Ich glaube nicht, dass es sinnvoll ist, dass die Kanzlerin das Thema Erbschaftssteuer sich groß auf die Fahnen schreibt, weil ich denke schon, dass das eine Sache ist, die vor allem auch die Länder betrifft. Da kann ich nur sagen, dass ich von den Ministerpräsidenten auch erwarte, dass dort aus dem Bundesrat heraus eine Stimme kommt, die beispielsweise die Länderverantwortung dort anmahnt. Also ich könnte mir beispielsweise vorstellen, dass im Bereich der Föderalismusreform II, dass dort auch die Regelung kommt, dass die Erbschaftssteuer Ländersache wird. Dann haben wir wirklich einen Wettbewerbsföderalismus, von dem zwar alle immer reden, aber den am Ende dann doch viele scheuen. Das wünsche ich mir, dass bei der Erbschaftssteuer die Länder in einen Wettbewerb untereinander eintreten. Dann wäre sie übrigens schnell weg.

    Heinemann: Manchmal hat man das Gefühl, dass so etwas in Berlin gar nicht mehr gedacht wird oder angedacht wird. Fehlen in der Union inzwischen die Marktwirtschaftler? Klammer auf: Friedrich Merz wandert inzwischen mit Guido Westerwelle.

    Mißfelder: Ja. Das war eine schöne Wanderung. Das habe ich auch in der Zeitung gelesen. Es freut mich auch, dass die beiden sich so gut verstehen. Ich schätze beide außerordentlich. Ich kann auch nur sagen, dass wir insgesamt in der Union aber keinen Mangel an Wirtschaftspolitikern haben. Natürlich ist so jemand wie Friedrich Merz, der so exponiert gewesen ist und auch so prominent, weil er auch Fraktionsvorsitzender war mit einer pointierten Meinung, den zu ersetzen, das ist natürlich sehr, sehr schwierig. Aber ich glaube, dass das marktwirtschaftliche Profil in der Union nach wie vor Gehör findet, und ich kann für die Junge Union nur sagen, dass das, was auf dem Leipziger Parteitag beschlossen worden ist, auch nach wie vor noch Inhalt unserer Programmatik ist. Ich wünschte mir, dass wäre in weiteren Teilen der Union auch der Fall.