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Vielfalt im Journalismus
"Ohne Stallgeruch ist es schwierig"

Brexit, US-Wahl, AfD-Erfolg - bei vielen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen lagen Journalisten mit ihren Einschätzungen daneben. Die Deutsche Presseagentur und der Verein Neue Deutsche Medienmacher setzen deswegen auf mehr Vielfalt in den Redaktionen.

Von Klaus Martin Höfer | 04.07.2017
    Sie sehen bunte Mikrofone und im Hintergrund viele Journalisten.
    So bunt wie diese Mikrofone auf einer Pressekonferenz sind die meisten Redaktionen nicht zusammengesetzt. 85 Prozent der Journalisten kommen aus dem bürgerlichen Milieu. Die meisten haben einen akademischen Abschluss. (picture-alliance / dpa / Daniel Karmann)
    Sven Gösmann, Chefredakteur der Deutschen Presseagentur, ärgert sich. Bei vielen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen lägen Journalisten zunehmend daneben mit ihren Einschätzungen.
    "Wir sind überrascht worden vom Brexit, wir sind überrascht worden vom Aufkommen und vom Erfolg der AfD. Wir sind überrascht worden von der Wahl Donald Trumps. Und da sind mir ein bisschen viele Überraschungen, die auch damit zu tun haben, dass wir zu sehr mit uns selber beschäftigt sind
    Journalisten meist aus bürgerlichem Milieu
    Eine Einschätzung, die der Kommunikationswissenschaftler Hans Mathias Kepplinger von der Universität Mainz mit Zahlen untermauern kann. Bei 85 Prozent der Journalisten in deutschen Redaktionen sind die Väter Beamte, Angestellte oder Selbstständige, nur 9 Prozent kommen aus einem Arbeiterhaushalt, ergaben Studien. Und beinahe alle Journalisten orientieren sich bei ihrer Berichterstattung an den Meinungen und Einschätzungen ihrer Kollegen.
    dpa-Chef Gösmann sieht darin eine der Ursachen für viele falsche Einschätzungen. Wer aus diesem behüteten bürgerlichem Umfeld komme, berichte entsprechend. Das soll nun anders werden.
    "Was wir aber suchen und wissen wollen, ist natürlich auch: Wie sieht das Land abseits dieser etwas ausgetretenen Bildungspfade aus? Welche Herausforderungen gibt es? Wie unterscheiden sich heute Provinz und Stadt? Und wie unterscheidet sich die Stadt in ihrer Gänze eigentlich? Welche Stadtteile gibt es, welche Lebensformen gibt es? Und wir sind einfach schlichtweg nicht divers genug."
    Vorurteile bei Bewerbern aus Einwanderfamilien
    Dass Redaktionen wie dpa nicht divers, nicht vielfältig genug sind – das kritisieren Journalisten, die selbst oder deren Eltern zugewandert sind, schon lange. Zum Beispiel der Verein "Neue Deutsche Medienmacher", deren Geschäftsführerin Konstantina Vassiliou-Enz bereits den Einstieg in den Journalistenberuf als mühsam bezeichnet. Ohne Stallgeruch sei es schwierig, meint sie. Und dann gebe es noch spezielle Vorurteile bei Bewerbern aus Einwanderfamilien.
    "Beim Auswahlprozess ist es oft so, dass Menschen, die nicht eine gerade Ausbildung haben oder nicht wie üblich im Journalismus so aus dem Bildungsbürgertum oder aus der Mittelschicht kommen, dass da immer wieder vermutet wird, dass mangelnde Sprachkompetenz vorherrscht, dass das eine mangelnde Werteakzeptanz gibt, dass zum Beispiel Menschen aus Einwandererfamilien Journalismus als aktivistischeren Beruf begreifen würden."
    Mehr neugierige Journalisten, weniger Akademisierung
    Nachdem vor 20 oder 30 Jahren nicht nur in vielen Lokalzeitungsredaktionen viele Studienabbrecher in einen Redaktionsjob rutschten, gibt es mittlerweile ohne Hochschulabschluss, Auslandsaufenthalte und Praktika kaum eine Chance auf ein Volontariat, auf eine Ausbildung zum Redakteur.
    dpa-Chef Gösmann kritisiert diese starke Akademisierung. Er will weniger Journalisten, die sich mit Umfragen beschäftigen, und mehr neugierige Reporter, die recherchieren und sich mit Menschen unterhalten, sagt er. Die älteren Kollegen seien da ein wenig träge geworden, deutet Gösmann an – er setzt auf die aufstiegswilligen "Underdogs" in der Gesellschaft.
    "Ich glaube, dass Neugier auch immer mit dem Willen um die Chance des Aufstiegs konkurriert, dass es immer darum geht zu sagen, was sind eigentlich die neuen Themen. Wie finde ich einen Gesprächsfaden zu Menschen, denen ich nicht täglich in der Redaktion begegne, sei es, dass Sie einen ausländischen Hintergrund haben, sei es dass sie eine andere Religion haben, sei es dass sie keine Arbeit haben, sei es dass Sie eine andere Sicht auf die Welt haben. "
    Die Nachrichtenagentur steht allerdings vor der Herausforderung, dass Karrieren in anderen Bereichen der Gesellschaft attraktiver erscheinen.
    "Wir müssen uns auch bewegen, um guten Nachwuchs zu bekommen."
    "Alle haben ein ähnliches Problem. Es gibt einen gewissen Nachwuchsmangel zumindest an qualifiziertem oder originellen Nachwuchs. Weil wir in schmaleren Geburtenjahrgängen konkurrieren mit vielleicht attraktiveren Start-ups mit anderen interessanten Arbeitgebern im E-Commerce oder dergleichen. Wir bewerben uns um einen kleiner werdenden Kuchen. Deshalb müssen wir uns auch bewegen, um guten Nachwuchs zu bekommen."
    Auch damit hat die neue Öffnung hin zu Bewerbern eventuell auch ohne Abitur, aus Zuwandererfamilien und zu sozial Benachteiligten etwas zu tun. Für Konstantina Vassilou-Enz von den Neuen Deutschen Medienmachern macht das keinen Unterschied.
    "Ich finde es eigentlich ziemlich egal, warum mehr Menschen die Chance bekommen im Journalismus Fuß zu fassen. Ich finde es wichtig, dass es passiert und wenn es daran liegt, dass es weniger Bewerber gibt und die Medienunternehmen sich einfach mehr umschauen müssen, und schauen müssen, wo finden wir die Talente und finden wir auch Talente, die vielleicht nicht irgendwie einen total geraden Bildungsweg hinter sich haben, finde ich das gut."