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"Vielleicht war die WM jetzt doch noch ein bisschen früh"

Trotz der Halbfinal-Niederlage: Erich Rutemöller prophezeit der deutschen Elf eine gute Zukunft - unter der Führung von Joachim Löw. Auch die Kapitänsfrage ist für Rutemöller beantwortet.

08.07.2010
    Dirk Müller: Diese Niederlage trifft uns hart: wieder gegen Spanien verloren, wieder mit 1:0, diesmal im WM-Halbfinale. Ausgeträumt sind die Träume vom vierten Titel.
    Der Fußball-Lehrer Erich Rutemöller, langjähriges Mitglied im Trainerstab der deutschen Nationalmannschaft, ist jetzt bei uns am Telefon. Guten Morgen!

    Erich Rutemöller: Guten Morgen, Herr Müller!

    Müller: Herr Rutemöller, war Spanien eine Nummer zu groß?

    Rutemöller: Ja, am gestrigen Tag ja. Wir sind ja gar nicht ins Spiel gekommen. Von Anfang an, die ersten Minuten haben schon gezeigt, die Spanier haben spielerisch dominiert, und wie der Manuel Neuer schon sagt, ob vielleicht zu viel Respekt da war und das Endspiel der EM noch in den Köpfen war, ich weiß es nicht. Man war einfach unterlegen.

    Müller: Warum kommt ein so junges deutsches Team, was vorher so gut gespielt hat, nicht ins Spiel?

    Rutemöller: Die ersten Aktionen entscheiden oft und das Kombinationsspiel der Spanier lief von Anfang an. Symptomatisch war ja auch letztlich das Tor von Pujol. Mit der Entschlossenheit und auch mit dem Mut, wie er in den Ball reingeht, das war auf der anderen Seite bei deutschen Spielern kaum zu sehen.

    Müller: Warum lief das so anders als gegen England, als gegen Argentinien, wo wir acht Tore geschossen haben?

    Rutemöller: Weil Spanien mit Sicherheit – ich glaube, der Schweinsteiger hat es auch mal irgendwann gesagt – im Moment vielleicht mit die beste Mannschaft der Welt ist. Wir haben es im Endspiel bei der EM gesehen und leider haben es die Spanier jetzt in dem Spiel wieder gezeigt. Sie haben bisher in der WM nicht so ihr Potenzial gezeigt, das sie wirklich besitzen, auf allen Positionen und auch als Mannschaft, aber gestern waren sie auf dem Punkt da und wir waren von Anfang an nicht im Spiel, leider, leider, denn es war eine Riesenchance, ins Endspiel zu kommen.

    Müller: Herr Rutemöller, die junge Mannschaft war hoch motiviert, sie war bestens aufgestellt, sie war taktisch gut eingespielt. Warum spielt dann diese Rolle Respekt immer noch eine wichtige Rolle?

    Rutemöller: Weil es bei allem konditionellen Können, bei allem technisch-taktischen Potenzial es immer noch wieder auf die psychische Seite ankommt, auf Willenskraft, Willensstärke, Willensausdauer, auch ein bisschen auf Stress und Stressverarbeitung, und ich glaube schon, dass die junge Mannschaft mit dieser Situation Halbfinale, um die WM, gegen Spanien doch schon ihre Probleme hatte.

    Müller: Das heißt, die Spieler waren doch nicht selbstbewusst genug?

    Rutemöller: Mit Sicherheit nicht. Man merkte, wie die zögerten, wie sie abwartend spielten, wie sie "Angst" vor dem Kombinationsspiel der Spanier hatten, die das taktisch ganz hervorragend gemacht haben, über die Flügel kamen, Schuss-Chancen aus der Distanz vorbereitet haben, einfach fast über die ganze Spielzeit überlegen waren.

    Müller: Wir haben, Herr Rutemöller, über Respekt gesprochen; reden wir über Erfahrung. War das zu wenig an Erfahrung?

    Rutemöller: Ja. Die Mannschaft hat auf jeden Fall Zukunft. Das ist die Perspektive, das ist das Positive, was man daraus ziehen kann, denn es sind so viele junge Spieler da, es kommen noch von der U21-EM-Mannschaft einige nach, also da müssen wir uns keine Sorgen machen. Vielleicht war die WM jetzt doch noch ein bisschen früh.

    Müller: Reden wir über die Zukunft. Eine Zukunft mit Jogi Löw?

    Rutemöller: Ich gehe davon aus, denn er hat doch mit die Grundlagen geschaffen, zusammen auch mit einigen anderen Personen natürlich im DFB und im Trainerstab und so weiter. Da gehe ich von aus, dass er jetzt auch die Früchte weiter ernten möchte, denn er hat mit dieser Mannschaft doch eine ganz große Perspektive, und warum sollte er jetzt nach verlorenem Halbfinale aufhören.

    Müller: Weiß das auch DFB-Präsident Theo Zwanziger?

    Rutemöller: Mit Sicherheit, denn das hat er auch anklingen lassen in den letzten Wochen, und ich gehe davon aus, dass jetzt ganz schnell eine Entscheidung fällt, dass Jogi weiter Bundestrainer bleibt.

    Müller: War das ein Fehler von Zwanziger, gleich nach dem Australien-Spiel zu sagen, wir machen weiter mit dir?

    Rutemöller: Nein, das glaube ich nicht. Das war sicherlich eine frühe Situation nach einem Spiel, nach einer hervorragenden Leistung, aber die Leistung haben sie ja dann im Laufe des Turniers bestätigt und eigentlich liegen sie doch da auf einem richtigen Weg.

    Müller: Es hat ja in den zurückliegenden Wochen und Monaten sehr viel Streit gegeben im DFB-Lager, Jogi Löw, Oliver Bierhoff, Theo Zwanziger. Ging es da nur um Geld?

    Rutemöller: Ich weiß es nicht, ich war ja bei den Gesprächen nicht dabei, und weil ich die Abläufe in den einzelnen Gremien natürlich nicht mit verfolgt habe. Ich kann es mir einfach nicht vorstellen, weil ich auch so ein bisschen die Charaktere der handelnden Personen kenne, dass es da nur um Geld geht. Kann gar nicht sein!

    Müller: Also geht es vielleicht auch um die Rolle der Nationalmannschaft, um eine mögliche Abspaltung quasi oder Verselbstständigung innerhalb des DFB?

    Rutemöller: Nein, es geht in keinem Fall um eine Abspaltung. Es geht vielleicht um Einflussnahmen, um Mitspracherecht auch in verschiedenen anderen Bereichen, sei es zum Beispiel bei der U21, oder überhaupt bei den U-Mannschaften. Aber da wie gesagt fehlen mir die Kenntnisse der Abläufe.

    Müller: Was machen wir mit Michael Ballack?

    Rutemöller: Michael hat gesagt, dass er noch mal angreifen will. Es ist doch so, dass man immer wieder sagt, man braucht natürlich junge, gute Spieler, aber sie müssen auch geführt werden, man braucht auch Erfahrung, und ein Michael Ballack kann nach meiner Ansicht da immer helfen, denn dafür hat er nun doch schon sehr viel Erfahrung nicht nur im Ausland gesammelt.

    Müller: Sie würden ihn wieder als Kapitän nehmen?

    Rutemöller: Ich würde auf jeden Fall, wenn er noch bis zur EM zumindest weitermachen will, was er hat anklingen lassen, weiter auf ihn zurückgreifen, denn er war und er ist es sicherlich auch noch mit einer der torgefährlichsten Mittelfeldspieler der Welt.

    Müller: Als Kapitän?

    Rutemöller: Auch als Kapitän. Diese Rolle sollte man ihm schon weiterhin geben, denn er hat die Führungsqualität.

    Müller: Und der arme Philipp Lahm?

    Rutemöller: Das wird der Philipp auch sicherlich akzeptieren, denn der Michael ist ohne Verletzung rausgekommen. Wenn er wiederkäme und dann als Kapitän, ich glaube, der Philipp Lahm ist der letzte, der das nicht akzeptieren würde.

    Müller: Bei uns im Deutschlandfunk der internationale Trainerausbilder Erich Rutemöller. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Rutemöller: Auf Wiederhören! Tschüß, Herr Müller.