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Vier Jahre nach der Entdeckung des NSU
Die Rolle der Angeklagten Beate Zschäpe

Seit Juli 2015 hat Beate Zschäpe vier Pflichtverteidiger, aber mit dreien davon will sie eigentlich nicht mehr zusammen arbeiten. Die 40-Jährige schweigt nach wie vor, umso entlarvender ist für einige der Opfer-Anwälte die Auseinandersetzung mit ihren Verteidigern. Nach zweieinhalb Jahren steuert das Verfahren auf das Ende der Beweisaufnahme zu - und so einige sind der Überzeugung, dass es für Zschäpe eng wird.

Von Tim Assmann und Ina Krauß | 04.11.2015
    Die Angeklagte Beate Zschäpe im NSU-Prozess
    Die Angeklagte Beate Zschäpe im NSU-Prozess (AFP / Foto: Michaela Rehle)
    "Mein Verhältnis zu meiner Mandantin ist gut und von Vertrauen geprägt. Ich hab keinen Grund, mich zu beklagen."
    7. Juli 2015. Verhandlungstag 216 im NSU-Prozess. Auf dem Platz vor dem Münchner Strafjustizzentrum steht ein junger Mann im schwarzen Anzug. Braune Haare, randlose Brille. Auftritt: Mathias Grasel, damals noch 30 Jahre alt, Rechtsanwalt in München, in Strafprozessen unerfahren, ein Berufsanfänger zwar, aber eben doch dabei im wichtigsten deutschen Terrorismusverfahren der letzten Jahrzehnte. Grasel ist "der Neue" an der Seite von Beate Zschäpe, ihr vierter Pflichtverteidiger. Spannung liegt in der Luft, als er sich den Fragen der Journalisten stellt. Wird er seiner Mandantin zu einer Aussage raten?
    "Zum jetzigen Zeitpunkt ist alles andere außer Schweigen keine Option."
    Zuvor konnten die Beobachter Grasel zum ersten Mal im Saal A 101 sehen. Er kam lange vor Beginn des Verhandlungstages, offensichtlich in der Absicht, sich auf der Anklagebank einen Sitzplatz direkt neben seiner neuen Mandantin zu sichern. Doch Pech gehabt. Zschäpes andere drei Pflichtverteidiger waren schon da, so früh wie seit Verhandlungsbeginn im Mai 2013 nicht mehr, und hatten sich die Stühle in Zschäpes Nähe gesichert. Das kindisch anmutende Gerangel um die Sitzplätze machte die verworrene Lage der Zschäpe-Verteidigung überdeutlich. Seit jenem Tag im Juli hat Beate Zschäpe also vier, vom Staat bezahlte, Pflichtverteidiger – aber mit dreien davon will sie eigentlich nicht mehr zusammen arbeiten.
    Beate Zschäpe (2.v.r.) mit ihren drei ursprünglichen Pflichtverteidigern.
    Beate Zschäpe (2.v.r.) mit ihren drei ursprünglichen Pflichtverteidigern. (picture alliance / dpa / Peter Kneffel)
    "Sehr geehrter Herr Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Götzl", schreibt Zschäpe am 5. Juni, also vier Wochen vor Grasels erstem Auftritt, an das Gericht. "Hiermit stelle ich den Antrag, Frau Rechtsanwältin Sturm von der Pflichtverteidigung zu entbinden.
    Begründung: Das zwischen Rechtsanwalt und Angeklagtem, das heißt, zwischen Frau Sturm und mir erforderliche Vertrauensverhältnis besteht seit Monaten nicht mehr, wenn es überhaupt jemals bestanden hat."
    Das Gericht will für die Fortsetzung des Prozesses sorgen
    Verteidigerin Sturm komme unvorbereitet in den Prozess und habe vertrauliche Informationen in der Verhandlung öffentlich gemacht, schreibt Zschäpe leicht krakelig auf Karo-Papier und spricht von einem unverzeihlichen Vertrauensbruch.
    "Des Weiteren setzte sie mich während gemeinsamer Besprechungen massiv psychisch unter Druck, indem sie ein Nein nicht akzeptierte und ihre Meinung teils mit lauter Stimme mir gegenüber durchsetzen will."
    Später erweitert Zschäpe den sogenannten Entbindungsantrag, will auch die Anwälte Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl loswerden. Dann wäre der Prozess geplatzt. Doch das Gericht lehnt die Entbindung aller drei Anwälte ab. Mathias Grasel wird als vierter Pflichtverteidiger bestellt – ein juristisch äußerst ungewöhnlicher Schritt. Das Gericht will so die Prozessfortsetzung sichern.
    Ein Schild mit der Aufschrift "Verteidigung Zschaepe" liegt im Landgericht in Muenchen beim NSU-Prozess auf der Anklagebank.
    Ein Schild mit der Aufschrift "Verteidigung Zschaepe" liegt im Landgericht in Muenchen beim NSU-Prozess auf der Anklagebank. (dpa/picture-alliance/Sebastian Widmann)
    Und tatsächlich: Als Grasel an jenem 7. Juli das erste Mal neben ihr sitzt, wirkt Zschäpe auf viele Beobachter im Saal deutlich gelöster als zuvor. Ihre drei anderen Anwälte ignoriert die 40-Jährige an diesem 216. Verhandlungstag komplett und daran wird sich auch in der Folge nichts ändern. Sie wirken zeitweise wie Statisten. Eine Kooperation ist nicht erkennbar. Eigentlich kann Zschäpe, angeklagt wegen zehnfachen Mordes, diese Situation nicht wollen. Sie hat sie aber selbst herbeigeführt, erinnert Opferanwalt Sebastian Scharmer.
    "Es läge erst mal an Beate Zschäpe, selbst mit ihren Anwälten zu sprechen. Das würde vieles möglich machen. Das tut sie nur mit Herrn Grasel offensichtlich und deswegen hat sie das selbst zu verantworten, ist nicht unser Problem."
    So sieht es offenbar auch das Gericht. Durch die Kombination aus eingearbeiteten Anwälten und dem neuen Verteidiger, dessen Beiordnung Zschäpe selbst wollte, ist sie aus Sicht des Gerichts ausreichend verteidigt. Das Gezerre um die Anwälte der Hauptangeklagten überlagert das Verfahren vielleicht zeitweise, aber es gefährdet den Prozess nicht, erklärt Gerichtssprecherin Andrea Titz bereits vor der Verhandlungspause im Sommer.
    "Das war in der Tat das bestimmende Thema, das vonseiten der Angeklagten dem Verfahren übergestülpt worden ist, aber ich denke, der Senat hat gezeigt, dass er auch damit in der gebotenen Ruhe und Sachlichkeit umgeht. Ich denke dass zu keinem Zeitpunkt bisher die reale Gefahr bestanden hat, dass hier das Verfahren etwa ausgesetzt werden müsste."
    Auseinandersetzung mit ihren Verteidigern ist für viele entlarvend
    Die Mandanten von Opferanwältin Seda Basay fürchteten im Sommer, der Prozess könnte platzen. Doch die Auseinandersetzung zwischen Zschäpe und ihren Verteidigern hat für die junge Anwältin auch etwas Gutes:
    "Also eigentlich haben wir mehr erfahren als in den letzten zwei Jahren von dieser Angeklagten und das tendiert eigentlich auch in die Richtung dass, was die auch Anklage behauptet, dass sie ein selbstständiges und gleichberechtigtes Mitglied des Trios war."
    Weil Zschäpe zu den Vorwürfen schweigt, ist die Auseinandersetzung mit ihren Verteidigern umso entlarvender, so der Opfer-Anwalt Mehmet Daimagüler:
    "Frau Zschäpe ist eine Person, die sich nicht die Butter vom Brot nehmen lässt, die bestimmen will, die sagen will, wo es langgeht und die ihre Anwälte nur als Handlanger betrachtet offensichtlich, und das ist ein Charakterbild, das man zeichnen kann das eins zu eins übereinstimmt mit allem anderen was wir bisher gehört haben in dem Verfahren."
    Doch sind das alles nicht nur Mutmaßungen über Beate Zschäpe?
    Beate Zschäpe schweigt
    Sie selbst schweigt. Das Kalkül dahinter: Sie setzt darauf, dass die Mittäterschaft an den Morden ihr nicht bewiesen werden kann.
    "Eine Verteidigungsstrategie wenn der Mandant den Vorwurf bestreitet, lautet, jedenfalls in den Mandaten, die ich bearbeite, in der Regel auf Schweigen", sagt Zschäpe-Anwalt Wolfgang Heer, aber ist diese Strategie noch die Richtige?
    Oder wird das Gericht am Ende der Theorie der Bundesanwaltschaft folgen und die Angeklagte auf Basis von Indizien wegen zehnfachen Mordes verurteilen? Bundesanwalt Herbert Diemer.
    "Die Antwort auf die Frage, was passieren würde, wenn Zschäpe reden würde, ist hypothetisch. Tatsache ist, dass Frau Zschäpe schweigt und keine Angaben macht. Das ist ihr gutes Recht, aber wie auch immer: Es ist nach wie vor so, dass für unsere Beweisführung, das Aussageverhalten der Angeklagten keine Rolle spielt."
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    Der Gerichts-Saal in München (Bild: dpa / Peter Kneffel) (Peter Kneffel/dpa)
    Die Bundesanwaltschaft stützt ihren Vorwurf, dass Zschäpe Mittäterin an allen zehn Morden war, die dem NSU zur Last gelegt werden, nur auf Indizien, sieht ihre These aber durch den bisherigen Verlauf der Beweisaufnahme als bestätigt an. Denn: Während Zschäpe schwieg, sprachen andere. Über sie.
    Ehemalige Urlaubsbekannte zum Beispiel schilderten Zschäpe als selbstbewusste junge Frau, die sich den beiden Männern nicht unterordnete. Die Zeugen beschrieben sie auch als Herrin der Urlaubskasse. Das passt zu der Annahme der Bundesanwälte, Zschäpe sei die Schatzmeisterin des NSU gewesen und habe die Beute aus den Raubüberfällen verwaltet.
    Wo steht das Verfahren mit Blick auf die Hauptangeklagte? Nach mehr als 240 Verhandlungstagen hat der NSU-Prozess eine gewisse Routine entwickelt.
    Bei der Sicherheitskontrolle am Eingang des Münchner Gerichts herrscht zwischen Justizpersonal und Prozessbeobachtern inzwischen eine nahezu familiäre Atmosphäre. Nach zweieinhalb Jahren steuert das Verfahren auf das Ende der Beweisaufnahme zu. Zahlreiche Beweisanträge wurden zuletzt abgelehnt, weil sie laut Senat für die Feststellung der Schuldfrage nicht mehr relevant sind Für Beate Zschäpe wird es eng. Selbst wenn ihr die Mittäterschaft an zehn Morden und zwei Sprengstoffanschlägen nicht nachgewiesen werden könnte, in einer Sache ist die Beweislage gegen die 40-Jährige seit Beginn des Prozesses in jedem Fall erdrückend.
    Drei Menschen hätten durch den Brand getötet werden können
    Es besteht kaum noch ein Zweifel, dass Beate Zschäpe am 4. November 2011, nur drei Stunden nachdem Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos in Eisenach starben, die gemeinsame Wohnung in der Frühlingsstraße 26 in Zwickau in Brand gesteckt hat. Sie hatte offenbar vom Tod ihrer Freunde erfahren - wie, ist bis heute ungeklärt. Laut Anklage schüttete sie an mehr als 20 Stellen Benzin in der Wohnung aus. Wie sie es entzündete, lässt sich zwar nicht rekonstruieren. Als Zschäpe aber aus dem Haus ging und einen Käfig mit ihren zwei Katzen abstellte, explodierte hinter ihr die Wohnung. Passanten rief sie zu, sie sollten die Feuerwehr alarmieren. Die Anklage legt ihr versuchten Mord in Tateinheit mit besonders schwerer Brandstiftung zur Last. Denn drei Menschen hätten durch den Brand getötet werden können. Zwei Handwerker renovierten gerade eine Wohnung in dem Mietshaus. Außerdem lebte nebenan eine 90-jährige gehbehinderte Frau. Sie wurde nur durch die schnelle Reaktion ihrer Nichte, die im Haus gegenüber wohnte, gerettet, noch bevor die Feuerwehr eintraf.
    Beate Zschäpes Verteidiger wollen vor Gericht den Vorwurf des versuchten Mordes abwenden. Sie möchten beweisen, dass Zschäpe bei Nachbarin Charlotte E. geklingelt hat, um die alte Dame zu warnen. Ein Anwalt wird herbeizitiert, bei dem Beate Zschäpe sich gemeldet hatte, bevor sie sich am 8.11.2011 der Polizei stellte. Der Anwalt Gerald L. erinnert sich, dass er sich etwa eine Stunde mit Zschäpe unterhielt. Was sie ihm erzählte, erfährt das Gericht nicht. Er wurde von Zschäpes Verteidigung nur in einem Punkt von seiner Schweigepflicht entbunden. Er soll Zschäpe entlasten. Zitat aus seiner Aussage:
    "Zschäpe kam zu mir ins Büro. Sie bat um ein Gespräch. Da ging es auch darum, dass sie bei der Nachbarin geklingelt hat. Die war nicht da. Es gab keine Reaktion. Dann hat Zschäpe das Haus verlassen."

    Warum sie geklingelt hat, kann L. nicht sagen. Sein Rückschluss: Sie wollte sichergehen, dass niemand im Haus war. Nach dem Besuch in der Kanzlei von L. stellte sich Zschäpe der Polizei.
    Eine Frau blättert am 21.08.2014 im Landtag in Erfurt im Abschlussbericht des Thüringer NSU-Untersuchungsausschusses.
    Scharfe Kritik an den Sicherheitsbehörden: Der 1.800-Seiten starke Bericht des Thüringer NSU-Untersuchungsausschusses (picture alliance / dpa / Michael Reichel)
    Auf dem orangen Zeugenstuhl im Saal A 101 nehmen bekennende Neonazis Platz, nur wenige Meter entfernt von den Angeklagten. Ehemalige politische Weggefährten von Beate Zschäpe oder einem der anderen Angeklagten. In der Szene wird der Prozess aufmerksam verfolgt, Neonazi-Zeugen informieren sich ganz offensichtlich über die Aussagen der anderen und verraten nichts, sagen nur was ohnehin bekannt ist oder niemandem mehr schadet: So ergeben die Aussagen über die toten NSU-Terroristen Mundlos und Böhnhardt ein einheitliches Bild. Mundlos radikalisierte sich Mitte der 90er-Jahre. Er agitierte bei Skinhead-Konzerten offen, riss unverblümt Juden-Witze, trat rhetorisch geschickt auf, wollte politisch etwas für die "nationalsoziale Idee" erreichen. Böhnhardt fiel durch seinen Hang zu Uniformen und Waffen auf, galt als aufbrausend und unberechenbar.
    Uneinheitliches Bild von Beate Zschäpe
    Das Bild von Beate Zschäpe dagegen changiert. Sie wird als politische Mitläuferin beschrieben, als bauernschlau, aber nicht als politische Strategin, als Freundin der beiden Uwes, als sei sie nicht mehr als ein Anhängsel der Männer gewesen. Einige wenige nur versuchen sich zu distanzieren; sie belasten Zschäpe als aktives Mitglied der Szene. Sie gehörte von Anfang an zum harten Kern des Thüringer Heimatschutzes, beteiligte sich an politischen Diskussionen und Demonstrationen, mietete eine Garage, in der die Polizei Material zum Bauen von Bomben fand. Sie tauchte schließlich mit ihren Freunden unter, obwohl gegen sie nicht einmal ein Haftbefehl vorlag und blieb mit den Männern 13 Jahre im Untergrund. André K., ein bulliger Typ mit Halbglatze und schwarzem Vollbart, der ebenfalls zum harten Kern der Thüringer Neonazi-Szene gehört, spricht von Beate Zschäpe als Zitat:
    "Eigenständige, selbstständige Persönlichkeit, die ihre eigenen Belange vertritt, nicht Anhängsel war. Das ist das Gesamtbild, das ich von ihr hatte."
    Der Prozess kreist seit zweieinhalb Jahren um Beate Zschäpe, die von Anfang an keinen Zweifel daran ließ, dass sie die Hauptperson in diesem Verfahren ist. Anfangs schien es sogar, als genieße sie die öffentliche Aufmerksamkeit. Inzwischen hat sie erreicht, dass Kamerateams und Fotografen nur zweimal im Monat vor Prozessbeginn zugelassen werden.
    Eine Kombo aus Reproduktionen der Ostthüringer Zeitung aus dem Jahr 1998 zeigt Fahndungsbilder von Beate Zschäpe (v.l.), Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos.
    Eine Kombo aus Reproduktionen der Ostthüringer Zeitung aus dem Jahr 1998 zeigt Fahndungsbilder von Beate Zschäpe (v.l.), Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos. (picture alliance / dpa / Frank Doebert / Ostthüringer Zeitung)
    "Die Belastung, die die Hauptverhandlung für Frau Zschäpe mit sich bringt, ist ganz außerordentlich, wir verhandeln hier drei Tage die Woche, fast das ganze Jahr über von Sommerpausen und kürzeren Pausen abgesehen und das geht natürlich an die Nerven und auch an die körperliche Substanz."
    "Ich war einmal da und ich habe die Beate Zschäpe einmal gesehen, und es ist wirklich sehr schwer, also ich kann das nicht ertragen, das schmerzt mich viel zu sehr, ich verfolge den Prozess intensiv durch meine Anwälte aber ich selber bin ungern dort", sagt Abdulkerim Simsek. Sein Vater, der Blumenhändler Enver Simsek, wurde im Jahr 2000 mutmaßlich das erste Mordopfer des NSU. Er wurde von seinen Mördern regelrecht hingerichtet. So auch Mehmet Turgut im Jahr 2004 in Rostock.

    Sein Bruder Mustafa Turgut war damals noch ein Kind, heute ist der Anfang Zwanzigjährige Nebenkläger im NSU-Prozess. Er ist extra aus der Türkei nach Deutschland gezogen, um den Prozess beobachten zu können.

    Der junge schmale Mann arbeitet in einem Imbiss in einer Münchner Einkaufspassage unweit des Gerichtsgebäudes. Er will den Traum seines ermordeten Bruders fortführen, sich ein Leben in Deutschland aufbauen. Die Arbeit lässt ihm kaum Zeit, den Prozess zu besuchen.
    "Am Anfang dachte ich, dass der Prozess nur einen Tag dauern würde, aber inzwischen habe ich mich daran gewöhnt, dass er so lange dauert und nicht zu Ende geht, ich interessiere mich nicht mehr besonders dafür."

    Die Auseinandersetzung zwischen Beate Zschäpe und ihren Verteidigern ist für Mustafa Turgut kaum nachvollziehbar. Dass sie jetzt sogar vier Verteidiger hat, erscheint dem Mann am Imbiss-Stand wie eine Farce. Ohnehin glaubt er, dass auf der Anklagebank nicht die allein Schuldigen sitzen.
    "Man kann sich natürlich nicht sicher sein. Sie sind für mich so etwas wie die Bauern in einem Schachspiel. So sehe ich das. Diese Leute könnten so etwas großes nie alleine und auf eigene Faust durchziehen. Das ist unmöglich! Niemand könnte so viele Menschen ermorden, ohne Unterstützung im Hintergrund zu haben."
    Viele Fragen immer noch offen
    Der Schmerz, den seine ganze Familie durch den Mord an seinem Bruder erlitten hat, sagt Mustafa Turgut, sei unbeschreiblich. So etwas wünsche er nicht mal seinen Feinden. Als er das sagt, blickt er mit großen dunklen Augen auf und verbittet sich damit wortlos jede weitere Nachfrage. Der junge Mann war öfter als viele andere Nebenkläger im Prozess, konnte Beate Zschäpe aus nächster Nähe beobachten.
    "Natürlich will ich, dass sie eine harte, wenn nicht die härteste mögliche Bestrafung bekommt. Aber was soll ich sagen, letztendlich sind das auch alles nur Menschen, weißt du? Manchmal wenn ich Frau Zschäpe angeschaut habe, hatte ich den Eindruck, dass sie sehr in sich zurückgezogen ist und sehr mitgenommen wirkt. Ich glaube, das zerfrisst sie innerlich so sehr, dass sie sowieso nicht sehr lange mit dieser Last leben können wird."
    Schon jetzt ist klar: Wenn das Gericht seine Urteile fällt – über Beate Zschäpe und die anderen vier Angeklagten – werden viele Fragen rund um die Terrorzelle weiter offen sein. Hatte der NSU tatsächlich nur drei Mitglieder? Suchte sich die Terrorzelle ihre Opfer wirklich selbst aus und übernahm auch das Ausspionieren der Tatorte alleine? So sieht es die Bundesanwaltschaft, und Herbert Diemer klingt genervt, wenn er diese Fragen hört.
    "Wenn man liest, dass die Bundesanwaltschaft vermutet, dann kann ich hier nur eines sagen: Wir haben ermittelt und wir haben unsere Anklage auf Fakten und Beweismittel gestützt."
    Zwei Frauen mit Schild mit der Aufschrift "Opfer wurden zu Tätern gemacht"
    Aktivistinnen der Gruppe "Keupstraße ist überall" protestieren in München (picture alliance / dpa/Andreas Gebert)
    Wie fanden Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt also den Münchner Schlüsseldienst, in dem sie den Inhaber Theodorus Boulgarides erschossen? Den Laden gab es zum Tatzeitpunkt erst seit Kurzem. Wie fanden die Bombenleger das deutsch-iranische Lebensmittelgeschäft in der Kölner Probsteigasse, das von außen nicht als solches erkennbar war und in einer vorwiegend von Deutschen bewohnten Gegend lag?
    "Ich gehe davon aus, dass es sich nicht um ein isoliertes Trio handelt, sondern es ein Kerntrio gab, was aber Teil eines größeren Netzwerks war", ist Opferanwalt Sebastian Scharmer nach rund zweieinhalb Jahren Beweisaufnahme im NSU-Prozess überzeugt.
    "Und wenn Frau Zschäpe schweigt, dann benennt sie natürlich auch nicht andere Personen die Teil dieses Netzwerks waren, was natürlich diese Personen vor Strafverfolgung schützt."
    So hat der NSU-Prozess häufig gezeigt, wie viel die Ermittler nicht wissen. Wie viel rund um die Terrorzelle weiter im Dunkeln liegt. Und die Frau, die wohl zumindest in weiten Teilen für Aufklärung sorgen könnte, schweigt, starrt in ihren Laptop oder auf die Wand gegenüber. Bleibt es dabei? Die Schweigestrategie durchzuhalten, falle ihr zunehmend schwer - hat Zschäpe einem Gutachter anvertraut. Und es wird auch über eine möglicherweise bevorstehende Erklärung der Hauptangeklagten, eventuell verlesen von ihrem neuen Pflichtverteidiger Grasel, spekuliert. Aber was ist davon zu erwarten? Umfassende Aufklärung? Daran zweifeln viele Prozessbeobachter. Eine Einlassung zu ausgewählten Punkten ohne Fragen zuzulassen, wird Zschäpe aber voraussichtlich nicht viel bringen. So sieht es Opferanwalt Scharmer.
    "Jetzt ist die Beweisaufnahme soweit durch, dass, selbst wenn sie eine Erklärung abgeben würde, stark in Zweifel stehen würde in wie vielen Punkten man dieser Erklärung glaubt und in wie vielen nicht."