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Viktor Orbáns Eisenbahn
EU-Gelder verschwendet

Große Geldsummen für ein Kleinbahnprojekt: zwei Millionen Euro für sechs Kilometer Bahnstrecke. Die EU hat gezahlt. Und die Eisenbahn fährt - in einem kleinen Ort nahe Budapest. War das notwendig oder überambitioniert?

Von Clemens Verenkotte | 21.09.2017
    Die von einer roten Lokomotive gezogene Schmalspurbahn am Bahnhof steht am Bahnhof von Felcsút in Ungarn.
    "Die Bahn ist so schön geworden", meint Viktor Orbán zur neuen Schmalspurbahn im Nostalgie-Look (imago/Szilard Vörös)
    So hört sie sich an, die rote Lok mit ihren dunkelgrünen Retrowaggons: Seit dem 1. Mai 2016 fährt sie die knapp sechs Kilometer lange Strecke durch Felcsút, den Geburts- und Heimatort des Ministerpräsidenten. Mindestens 2.500 Passagiere pro Tag würden die Nostalgie-Bahn nutzen, hieß es im damaligen Antrag auf EU-Förderung von knapp zwei Millionen Euro. Am Tag der Einweihung war Viktor Orbán stolz auf die Schmalspur-Lok mit ihren schmucken Anhängern:
    "Ich will unbedingt mitfahren. Die Bahn ist so schön geworden, aber etwas zu kurz geraten. Das ist es, was mir zu schaffen macht."
    Zu schaffen machte hingegen den EU-Parlamentariern des Haushaltskontrollausschusses die Tatsache, dass die Passagierdaten weit hinter den ambitionierten Angaben der ungarischen Regierung zurückbleiben. Im Durchschnitt treten nur einige Dutzend Besucher am Tag die gemächliche Fahrt durch Orbáns Heimatdorf an. In dieser Woche durfte, nach zähen Verhandlungen mit Budapest, auch eine Delegation des EU-Parlaments diese Tour antreten:
    "Dann hatten wir eine Zugfahrt", berichtet die Vorsitzende des Brüsseler Haushaltskontrollausschusses, die deutsche CDU-Politikerin Ingeborg Gräßle, auf ihrer Pressekonferenz in Budapest. Drei Tagen lang hatten sich sie und ihre Parlamentskollegen Zeit genommen, um nachzuschauen, ob die EU-Fördermittel auch sorgsam verwandt worden sind. Die Kommission wolle nicht über das Kleinbahn-Projekt urteilen, aber:
    "Die Frage, ob das die beste Art und Weise ist, ein, zwei Millionen Euro auszugeben, konnten wir mit den zuständigen Offiziellen nicht erörtern, aber das machen wir vielleicht im Rahmen anschließender Untersuchungen."
    Ungarische Regierung fühlt sich von EU herausgefordert
    Als eine gezielte politische Provokation Brüssels betrachtet die Regierung Orbán die Visite der EU-Kontrolleure: Das sei ein "politischer Angriff", zudem hätten sich die Brüsseler Abgeordneten nicht an die Vorschläge Ungarns gehalten, sondern sich die zu kontrollierenden Projekte selbst ausgewählt. Kanzleramtsminister Janós Lázár:
    "Ich habe eine Bitte gehabt, dass sie nach den Wahlen die Kleinbahn in Felcsút überprüfen. Nicht in einer Wahlperiode. In einem halben Jahr haben wir Wahlen und es gibt schon Vorbereitungen. Es ist eine Vorwahlperiode in Ungarn. Man kann es nicht anders interpretieren, als eine politische Aktion, egal wer es macht."
    Ungarns Oppositionsparteien hingegen, die seit langem die Vorzeige-Bahn in Orbans Heimatdorf sowie andere mit EU-Geldern geförderte Projekte kritisieren, nehmen die Brüsseler Parlamentarier in Schutz. Judit Földi, die dem Parteivorstand der sozialliberalen "Demokratischen Koalition" angehört:
    "Die Europäische Union macht ihren Job, wie immer. Es ist klar, dass der Ministerpräsident nur solange die EU anfeindet, solange er keine Abrechnung über die Fördermittel vorlegen muss."
    Verschwendung: Der Verdacht bleibt erst einmal
    Obgleich diplomatisch verbindlich im Ton, stellte die Ausschussvorsitzende Ingeborg Gräßle nach Abschluss der dreitägigen Visite fest: Der Verdacht auf Korruption und Misswirtschaft sei nicht entkräftet worden, doch einen Abschlussbericht werde es erst nach Auswertung der ungarischen Dokumente geben.
    Beim Bau der Budapester Metrolinie 4, in den 90er Jahren geplant, 2014 fertigstellt, habe die Brüsseler Antikorruptionsbehörde OLAF der EU-Kommission empfohlen, rund eine viertel Milliarde Euro von Budapest zurückfordern wegen Korruption, Fehlplanungen und Verschleppung der Bauarbeiten. Die Kleinbahn in Orbáns Heimat hätten sie ausgesucht, weil darüber so viel in den Medien berichtet worden sei, so Ingeborg Gräßle abschließend, daher:
    "Wir dachten, es wäre eine gute Idee. Und wir waren davon überzeugt, dass sogar eine noch bessere Idee wäre, da einige Leute nicht wollten, dass wir kommen."