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Vimmerby wächst

Astrid Lindgren ist vor allem als Kinderbuchautorin bekannt. Dass sie jedoch auch das Gewissen der schwedischen Nation war und sich für von der Abschiebung bedrohte Kinder genauso einsetzte wie für eingesperrte Tiere, das bleibt bei der Würdigung ihrer Person gern im Hintergrund. Anlässlich ihres 100. Geburtstages im November beleuchten jetzt zwei neue Ausstellungen ihr Leben. Eine in Stockholm und eine am Geburtsort Vimmerby in Südschweden.

Von Agnes Bührig | 22.06.2007
    Die Umgebung von Astrid Lindgrens Geburtshaus in Vimmerby in Südschweden wird zu ihrem 100. Geburtstag zum Verfasserzentrum ausgebaut. Neben dem kleinen roten Holzhaus mit den weißen Kanten, in dem sie aufwuchs und dem alten Pfarrhaus, in dem ihre Werke gesammelt werden, ist ein 900 Quadratmeter großes Ausstellungsgebäude aus dem Boden gewachsen. Die weiße glatte Fassade mit der vorgesetzten runden Glasfront steht in deutlichem Gegensatz zu der Idylle der Holzhäuser aus früheren Jahrhunderten. Im Inneren können sich die Besucher in das Leben der großen Autorin vertiefen, erklärt Institutsleiter Kjell Åke Hansson:

    "Hier vermitteln wir ein Gesamtbild von Astrid Lindgrens Leben und Werk. Sie nur als Märchentante wahrzunehmen, das entspricht nicht der ganzen Wahrheit, denn sie hatte so viele verschiedene Seiten, ernste, schmerzhafte und genauso ganz wunderbare."

    Die Ausstellung bietet einen chronologischen Rundgang durch Astrid Lindgrens Leben, von der Geburt als zweites Kind eines Bauern auf Näs, der die Ländereien des Pfarrhofes bestellte bis hin zur Meinungsbildnerin in Stockholm. Vor dem Bild ihres malerisch gelegenen Geburtshauses steht ein falscher blühender Kirschbaum. Gegenüber, auf den weiß gestrichenen Holzpanelen ist sie mit ihrem unehelichen Sohn zu sehen. Sie bekommt Lasse mit gerade einmal 19 Jahren und muss ihn in den ersten Jahren an eine Pflegefamilie in Dänemark abgeben, bevor sie ihr Leben in Stockholm neu geordnet hat. Dass mit der neuen Ausstellung die Kommerzialisierung ihres Lebens voran getrieben wird, kann der Leiter von Astrid Lindgrens Näs, Kjell Åke Hansson nicht finden:

    "Die Besucher des nahe gelegenen Freilichtparks Astrid Lindgrens Welt kommen her, um ein vertieftes Bild von ihr zu bekommen. Im Park kann man die Figuren treffen und mit ihnen lachen, etwa über Karlsson auf dem Dach. Hier haben sie die Chance, ihr Geburtshaus zu sehen. Sie bekommen den biographischen Hintergrund, denn hier in Näs liegt der Grund für ihr gesamtes Werk, hier bekam sie ihre Inspiration."

    Während Vimmerby sich mit dem neuen Ausstellungsgebäude weiter als Wissenschaftszentrum am Originalschauplatz profiliert, findet die intellektuelle Auseinandersetzung mit Lindgrens Gesellschaftsengagement in der Königlichen Bibliothek in Stockholm statt. "Kein kleiner Dreck - die Meinungsbildnerin Astrid Lindgren" heißt die Ausstellung, für die Dokumente in einem Umfang von 125 Metern Bücherregal ausgewertet wurden. Die von der Decke baumelnden Postsäcke am Eingang symbolisieren die Masse der Briefe, die Lindgren Zeit ihres Lebens erhalten hat, sagt Ausstellungsmacherin Lena Törnqvist:

    "Unser Archiv zeigt, dass die Menschen große Erwartungen an sie hatten. Sie sollte alle Konflikte lösen, vom Schulzahnarzt bis zum Weltfrieden. Auch aus Deutschland bekam sie massenhaft Post. Wie groß ihr Einsatz war, das sieht man auch an den ganzen Dankesbriefen, die wir im Archiv haben. Sie reichen von Amnesty International über das Rote Kreuz bis zur Raoul-Wallenberg- Stiftung."

    "Muss ich jetzt Sozialhilfe beantragen? - Sie bezahlt mehr Steuern als sie verdient" - so titelte die schwedische Boulevardzeitung Expressen Mitte der 70er Jahre. Astrid Lindgren hatte da mit ihrem Steuermärchen "Pomperipossa in Monismanien" auf humoristische Art darauf aufmerksam gemacht, dass mehr als 100 Prozent Steuern an den Wohlfahrtsstaat zahlen sollte. Sie setzte damit eine Debatte in Gang, die am Ende zur Abwahl der Sozialdemokraten führten, nach mehr als 40 Jahren, sagt Lena Törnqvist:

    "Sie war natürlich nicht allein mit ihrer Kritik, aber sie trug dazu bei, dass es einen Regierungswechsel gab. Es fing mit dem Steuerprotest an und dann ging es weiter. Astrid Lindgrens Einstellung war, dass es keiner Partei gut tut, wenn sie so unbedroht so lange an der Macht ist - und das sagte sie, trotzdem sie mit den Sozialdemokraten sympathisierte. Ein Machtwechsel war ihrer Meinung nach wichtig, damit man sich nicht zu sehr in Sicherheit wiegt."

    Lindgren setzte sich für die Freiheit von Käfighühnern ein und erhob ihre Stimme für von der Abschiebung bedrohte Kinder. In Deutschland wurde sie 1978 mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels ausgezeichnet - auch diese Kunde ist im Original in der neuen Ausstellung der Königlichen Bibliothek in Stockholm zu sehen.