Dienstag, 19. März 2024

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Virtual Reality
"Beschränkungen, was ich als Content zeigen darf"

In zehn Jahren werde die Grenze zwischen realer und virtueller Realität aufgelöst sein, sagte der VR-Experte Frank Steinicke von der Uni Hamburg im DLF. Kontaktlinsengroße Displays könnten eine ähnlich große Revolution bedeuten wie das Internet. Doch inhaltlich müsse es Begrenzungen geben, zum Beispiel bei gewalttätigen Szenen.

Frank Steinicke im Gespräch mit Christoph Reimann | 25.05.2017
    Er sieht was, was wir nicht sehen: Ein Besucher der Gamescom in Köln.
    In der Nutzung von Virtual Reality für Spiele sieht Virtual Reality-Experten Frank Steinicke im DLF sowohl Chancen als auch Gefahren. (dpa / picture alliance / Oliver Berg)
    Christoph Reimann: In "Corso - Kunst & Pop" geht es jetzt weiter mit Möglichkeiten und Gefahren der Virtual Reality. Am Telefon ist Frank Steinicke, er hat eine Professur für Human-Computer Interaction an der Uni Hamburg. Guten Tag.
    Frank Steinicke: Guten Tag, hallo.
    "Die Zeit ist reif"
    Reimann: Herr Steinicke, hat Virtual Reality - ähnlich wie das Internet und soziale Netzwerke - das Zeug, unsere Medienwelt noch mal komplett umzukrempeln?
    Steinicke: Ja, das glaube ich schon. Also, ich bin noch groß geworden – oder meine Generation – mit sogenannten grafischen Benutzerschnittstellen und Virtual Reality bietet nun einfach ganz andere Möglichkeiten wie Menschen mit Computern interagieren. Das funktioniert dann also zukünftig nicht mehr mit Maus und Tastatur, sondern vielleicht über Gesten, über Sprache, über Bewegung, halt eben auf sehr natürliche Art und Weise, so wie ich auch in der realen Welt beispielsweise mit anderen Menschen interagiere.
    Reimann: Experten sagen, dass 2017 das Jahr der Virtual Reality wird oder ist. Auch Sie meinten in einem Interview: "Die Zeit ist reif." Weshalb gerade jetzt?
    Steinicke: Wir haben vor allem einen wahnsinnig großen technologischen Sprung hinter uns. Es gab schon mal einen Riesenhype um diese Technologien, das war in den Neunzigern. Damals war allerdings diese Technologie noch deutlich zu klobig, deutlich zu teuer und zu schwer zu installieren und zu benutzen. Mittlerweile haben wir aber eben, durch auch Entwicklungen auf dem Smartphone-Markt, viele Sensoren, Displays und so weiter, die wir von den Smartphones eben uns ausleihen können - oder quasi weiterentwickeln können - und die eben in sogenannte Virtual-Reality-Displays einsetzen können. Und das führt eben dazu, dass wir mittlerweile Displays haben, die erschwinglich sind, die im Consumer-Bereich auch eingesetzt werden und jetzt auch tatsächlich von vielen Menschen verwendet werden.
    "Es muss Begrenzungen geben"
    Reimann: Und was passiert mit unserem Kopf, wenn wir uns in der virtuellen Realität bewegen? Also, was macht das mit unserer Psyche?
    Steinicke: Das ist eine ganz spannende Frage. Die Erfahrung, die wir in einer Virtual Reality machen, also, wenn ich so eine Brille aufsetze , und das, was ich da sehe - so wie ich das wahrnehme - ist sehr ähnlich dazu, wie ich auch die reale Welt wahrnehme. Also das heißt, wenn ich beispielsweise ein Szenario sehe, wo ich vielleicht einen schönen Strand sehe, eine schöne Landschaft sehe, dann fühle ich mich da eben auch entsprechend wohl. Und das kann man natürlich ausnutzen, beispielsweise in der Therapieform: Wenn ich also Angst vor Spinnen habe, kann ich in so eine virtuelle Welt eintauchen und kann da mit virtuellen Spinnen trainieren und meine Ängste abbauen. Aber ich habe natürlich auch, beispielsweise, das Szenario von irgendwelche Spielen, die ich spiele, und wo ich mich dann eben auch sehr immersiv in solche Spiele reindenke, und da muss man natürlich entsprechend vorsichtig sein, welche Inhalte auch den Benutzern eben gezeigt werden.
    Reimann: Eben. Wo sehen Sie denn da Probleme?
    Steinicke: Also, ein Problem, was sich natürlich ergibt, ist immer der Content, also der Inhalt, den ich Personen darstelle, weil eben die Menschen, die solche VR nutzen, dort relativ ähnlich drauf reagieren, wie sie das auch in der realen Welt machen. Das heißt ganz konkret: Wenn ich also ein Szenario habe, was besonders stressreich auf Probanden zum Beispiel ist oder auch auf Nutzer, dann fangen die eben auch an, zu schwitzen oder haben eine höhere Herzrate. Das kann natürlich sehr spannend sein. Wenn ich beispielsweise Spiele spielen möchte, das kann auch sehr spannend im Bereich der Therapie sein, aber das birgt natürlich auch Gefahren, wenn ich Kindern oder vielleicht Menschen, die das nicht sehen sollten, sehr gewalttätige Szenen zeige. Und da muss es eben ähnliche Begrenzungen geben, wie wir das aus dem Film, aus dem Internet und auch im Spielekontext kennen, eben mit entsprechenden Beschränkungen, was ich als Content dann tatsächlich zeigen darf und welche Menschen sich das anschauen dürfen.
    Reimann: Wie weit ist man, diese Beschränkungen einzurichten?
    Steinicke: Da ist natürlich die Politik meistens immer etwas langsamer als die Entwicklung und die Entwickler. Insofern ist im Moment so ein Zeitpunkt eigentlich, wo die Hauptverantwortung bei den Entwicklern liegt, eben die virtuellen Welten aufzubauen, die noch keine Gefahr für die Benutzer darstellen. Ansonsten gelten halt im Wesentlichen die gleichen Regeln, wie wir sie auch im Internet oder im Spielekontext und auch im Filmkontext haben, das heißt, beispielsweise die Spiele, die ich mir für VR runterlade, haben eben bestimmte Alterbeschränkungen, dass sie beispielsweise eben nur ab 12, 14, 16 oder 18 Jahren eben gespielt werden dürfen.
    "Wollen wir sowas überhaupt?"
    Reimann: Wenn sich die VR-Technik denn mal durchgesetzt hat, wie sollen wir unterscheiden, was virtuell und was echt ist - oder ist das vielleicht auch ganz egal?
    Steinicke: Das ist eine sehr, sehr spannende Frage. Also derzeit ist es so, dass die Displaytechnologie noch nicht so gut ist, als dass ich nicht in der Lage wäre, zwischen real und virtuell zu unterscheiden. Es ist allerdings davon auszugehen, dass wir - ja so schätzungsweise vielleicht in den nächsten 10 Jahren - eine visuelle Qualität erreichen werden, so dass ich , wenn ich so eine virtuelle Welt sehe, nicht mehr sagen kann, ob das, was ich dort sehe, real oder virtuell ist. Und das sind dann wiederum ganz spannende Fragen auch für unsere Gesellschaft: Wollen wir so was überhaupt? Oder muss ich vielleicht eine Regel einführen, bei der jeder Mensch immer in der Lage ist, eindeutig erkennen zu können, was jetzt gerade real und was virtuell ist. Derzeit ist es noch relativ einfach. Ich kann einfach das Display abnehmen und alles, was ich dann sehe, ist eben sozusagen meine Realität, wie ich sie kenne. Wenn wir aber in der Zukunft Displays haben, die vielleicht die Größe von Kontaktlinsen haben und ständig getragen werden, kann ich das vielleicht eben nicht mehr so schnell machen. Und da muss es dann eben gewisse Regeln geben. Aber wenn man ehrlich ist, haben wir das Problem heute mittlerweile auch. Wenn ich mir Fotos anschaue im Internet, weiß ich eben auch nicht, ob das eigentlich reale Bilder sind, die gemacht worden sind oder ob sie im Nachhinein bearbeitet worden sind. Auch da haben wir ja keine klare Regel, dass jemand, der ein Foto betrachtet, immer wissen muss, ob das gerade manipuliert worden ist oder nicht. Aber nichtsdestotrotz wird so was vielleicht in der Diskussion etwas spannender, wenn es dann eben nicht mehr nur um Fotos geht, sondern um echte Objekte, beziehungsweise virtuelle Objekte, die sich dann in unsere Realität mit einbinden lassen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.