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Virtuelle Ausstellung in Düsseldorf
Laufen lernen heißt Stehenbleiben lernen

Schwitzende Hände und Höhenangst in einer Ausstellung, die es gar nicht gibt? – "Unreal" begeht man zwar real in den Räumen des NRW-Forums Düsseldorf, doch was dann vor sich geht, ist komplett mithilfe von VR-Technologie inszeniert. Über eine Ausstellungsform mit Zukunft.

Von Peter Backof | 25.05.2017
    Eine Frau steht am 23.05.2017 im NRW-Forum in Düsseldorf vor einem grünem Hintergrund. Sie trägt eine Virtual-Reality-Brille und hält einen PC Controller, mit dem sie ihre virtuelle-Welt und Erlebnis steuert. Foto: David Young / dpa
    Laufen heißt, besser Stehenbleiben. Die Ausstellung "Unreal" im NRW-Forum Düsseldorf (dpa / David Young)
    "Ja, dann gehen wir mal rein in den Raum." – "Also mit dem Daumen kannst Du Dich teleportieren." - "Ja, grobes Raster. Oha!" – "Jetzt bist du im gleichen Raum wie eben."
    Die Raumwirkung ist fantastisch. Wenn man die VR-Brille aufsetzt, sieht man zunächst das Foyer und das Treppenhaus des NRW-Forums, eins zu eins, wie in der wirklichen Wirklichkeit, nur etwas verpixelt. Der erste Impuls ist, loszulaufen!
    Alain Bieber warnt: "Nein! Stoppstoppstopp! Nicht weiterlaufen!"
    Uaaah! - ach so: Die Naturgesetze gelten mit Brille nicht. Real aber schon. Es dauert einige Minuten, wenn man gerade sein Virtual-Reality-Debüt erlebt, bis sich das eigene Gehirn das alles zurecht rechnet; auch den Blick vom Rand der Treppe - ohne Geländer, 15 Etagen hinunter in die Tiefe: Er verursacht schwitzende Hände. Was sind wir Menschen doch für einfach gestrickte Reflexwesen!
    Laufen per Handsteuerung
    Es gibt parallel immer fünf VR-Sets: Diese relativ kleine Zahl, weil Programmierer Manuel Roßner und Alain Bieber, Leiter des NRW-Forums, die unbeholfen vor sich hin tapsenden Besucher etwas anleiten müssen. Laufen heißt, besser Stehenbleiben und sich mit der Handsteuerung voran zu navigieren. Und dann geht es recht schnell um Plot: "Unreal" ist eine Ausstellung, deren Parcours Manuel Roßner als fiktiven Anbau des NRW-Forums programmiert hat und die Werke von vier Künstlern vorstellt, konsequent nur digital. Am Ende wird man sich die ganze Ausstellung als App mitnehmen können, um sie ortsunabhängig noch einmal zu besuchen.
    Die Unterwasserwelt von Tabita Rezaire ist ein Szenario. Man wird umschwommen von putzigen Tropenfischen. Die guyanisch-dänische Künstlerin versteht sich selber als Heilerin und wirft die berechtigte Frage auf, warum Menschen in der realen Welt auch die letzten Refugien der Natur mit Bratwurstfingern begrapschen müssen – und andersherum: Warum sie auch digitale Räume immer gleich mit Negativem – Rassismus, Chauvinismus – verseuchen. Es geht also in der Ausstellung nicht darum, den Raum der unbegrenzten Möglichkeiten fantasievoll, bunt und wirkungsmächtig zu beleben, sondern darum, zu einer künstlerischen Aussage zu kommen. Kunst über Kunst. Die Metaebene ist angepeilt, erläutert Alain Bieber:
    "Wir haben versucht, jetzt nicht so große Achterbahneffekte zu haben. Der Raum selbst ist schon stark genug. Wir haben uns lange darüber unterhalten, was das Thema der ersten Ausstellung sein soll und sind schnell beim Thema 'Selbst' gelandet, weil man sich quasi mit erkenntnistheoretischen Fragen beschäftigt, in einem virtuellen Raum."
    "Programmieren, was früher nur in der Literatur möglich war"
    Es fehlen eigentlich nur Wind und Gerüche für die totale sinnliche Immersion. Auch das gäbe es schon, ergänzt Alain Bieber. An einer Stelle läuft man durch Programmiertext hindurch, aus dem hier, wo es keine Materie gibt, ja alles besteht. Um schließlich bei uralten philosophischen Fragen zu landen: Sind wir Leibnitz'sche Monaden? Ist alles nur Kopfkino? Oder ist Kopfkino nur Kopfkino nur Kopfkino?
    "Schon abgefahren, wieder zurück zu sein, oder? Auf jeden Fall gibt es hier ganz neue Möglichkeiten. Was früher nur in der Literatur möglich war, kann man jetzt alles programmieren.", sagt Alain Bieber.
    Einzig die Rechenleistung von Computern ist noch zu klein. Das unvorhersehbare Selbst der Besucher mit den Animationen zu verrechnen, das schaffen Alltagscomputer noch nicht und daher wirkt die Ausstellung - von der Bildauflösung her - noch eher simpel. Aber man erkennt intuitiv und glasklar das Potenzial: Wird so, unendlicher raffinierter, die Medien-Zukunft aussehen?