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Virus HPV 16
Erste Übertragung vor 50.000 Jahren

Lange weigerten sich Paläoanthropologen anzunehmen, dass es sexuellen Kontakt zwischen unseren Vorfahren und den Neandertalern gab. Heute ist klar, dass Europäer und Asiaten zwei bis fünf Prozent ihres Erbguts unserem ausgestorben Vetter zu verdanken haben. Deutlich wurde dies bei der Erforschung der verschiedenen Linien des Papillomavirus 16.

Von Michael Stang | 13.12.2016
    Die Nachbildung eines älteren Neandertalers im Neandertal-Museum in Mettmann.
    Die Nachbildung eines älteren Neandertalers im Neandertal-Museum in Mettmann. (picture-alliance/ dpa - Federico Gambarini)
    Unter den sexuell übertragbaren Infektionskrankheiten gehören die humanen Papillomaviren, kurz HPV, zu den häufigsten. Rund 200 dieser Viren kennen Infektionsbiologen mittlerweile. Nur selten bringt eine Infektion Gesundheitsprobleme mit sich, manche HP-Typen führen zu Genitalwarzen. Klinisch relevant, da krebserregend, sind nur etwa 20, sagt Ville Pimenoff vom katalanischen Institut für Onkologie an der Stadtgrenze Barcelonas:
    "Diese Viren sind weit verbreitet. Durchschnittlich sexuell aktive Menschen infizieren sich mindestens einmal in ihrem Leben mit einem dieser 20 onkogenen Viren.
    Glücklicherweise führen nicht alle davon zu einer Krebserkrankung. Den Mechanismus dahinter verstehen wir noch nicht ganz. Klar ist nur, dass eines dieser Viren, HPV16, für die meisten Krebserkrankungen verantwortlich ist."
    Dazu gehören Gebärmutterhalskrebs, Krebs im Mund-Rachen-Bereich oder auch im Genitalbereich. Die Viren werden meist durch direkten Kontakt übertragen, etwa beim Geschlechtsverkehr. Der finnische Molekularbiologe wollte die Entwicklungsgeschichte von HPV16 untersuchen.
    HPV16 gibt es weltweit - nur nicht in Afrika
    Da weltweit an diesem Virus, welches in vier Linien A, B, C und D auftritt, geforscht wird, gibt es zahlreiche öffentlich zugängliche Datenbanken. Anhand regelmäßig auftretender Mutationen kann man nicht nur die verwandtschaftliche Entfernung der Linien bestimmen, sondern auch ihr jeweiliges Alter.
    "Und als wir uns die zeitlichen Abzweigungen der vier Linien voneinander angeschaut haben, sahen wir, dass Linie A evolutionär betrachtet die absolut älteste war. Das widerspricht aber der alten These, dass sich die Viren erst auseinander entwickelt haben, nachdem unsere Vorfahren Afrika verlassen hatten und sich auf der ganzen Welt ausbreiteten."
    Übertragung fand vor 50.000 Jahren statt
    HPV16 gibt es weltweit, nur nicht in Afrika südlich der Sahara. Die Daten zeigten, dass sich die Linien B, C und D erst vor rund 50.000 Jahren abgespaltet hatten, Linie A gab es aber schon vor fast einer halben Million Jahren. Ein Fehler bei den Berechnungen? Nein, so Ville Pimenoff.
    "Die einfachste Erklärung ist, dass sich nicht alle vier Linien parallel entwickelt haben. Denn als wir uns noch einmal die zeitliche Entwicklung genauer angesehen haben, sahen wir, dass der vermeintliche Entwicklungsbruch genau in die Zeit fällt, in der sich unsere Vorfahren nachweislich mit den Neandertalern und Denisova-Menschen in Eurasien vermischt hatten."
    Das Fazit: HPV16 hat der Homo sapiens von diesen anderen Menschenarten übernommen. Die Vorfahren von Neandertalern und Denisova-Menschen hatten Afrika vor rund 500.000 Jahren verlassen. Als unsere Vorfahren vor rund 50.000 Jahren nach Europa kamen, trafen sie mehrfach auf die alteingesessenen Eurasier. Und bei diesen häufigen Begegnungen, wie auch immer sie ausgesehen haben, wurden auch Krankheitserreger übertragen.
    Warum sind Viren so aggressiv?
    Überraschend sei das nicht. Schon länger war bekannt, dass vor allem die Erbgutbereiche heutiger Menschen außerhalb Afrikas auf die Neandertaler zurückgehen, die die Haut und das Immunsystem betreffen. Der finnische Wissenschaftler hofft nun klären zu können, weshalb manche der HP-Viren so aggressiv sind.
    "Wir gehen davon aus, dass sowohl die Interaktion zwischen Wirt und Virus als auch die Vermischung mit den anderen archaischen Menschengruppen die Gene in den Viren so verändert haben, dass diese heute so gefährlich sind."
    Unklar sei aber noch, ob und wie stark die Neandertaler und Denisova-Menschen selbst durch die Virusinfektionen erkrankten.