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Visaerleichterung für Türken
"Wir reden über begrenzte Zeiträume"

Vor dem nächsten EU-Gipfel hat der CDU-Europaabgeordnete Daniel Caspary dafür geworben, dass türkische Staatsbürger in Zukunft leichter in die EU reisen dürfen sollen. "Wir reden hier nicht über ungebremste Zuwanderung", sagte Caspary im Deutschlandfunk. Menschen aus der Türkei müssten wieder ausreisen und könnten sich nicht dauerhaft in Deutschland niederlassen.

Daniel Caspary im Gespräch mit Christoph Heinemann | 16.03.2016
    Der CDU-Europaabgeordnete Daniel Caspary.
    Der CDU-Europaabgeordnete Daniel Caspary. (Europäische Union / Fabry)
    Christoph Heinemann: Wir bleiben beim EU-Gipfel. Vor dieser Sendung haben wir mit dem CDU-Europapolitiker Daniel Caspary gesprochen. Er ist Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Abgeordneten im Europäischen Parlament. Und ich habe ihn gefragt, ob künftig türkische Staatsbürger ohne Visa in die EU reisen können sollten.
    Daniel Caspary: Gut, wir haben den Gipfel, die Gipfelvereinbarung von vor gut einer Woche. Da war das angedacht. Und ich sage: Wenn das Gesamtpaket stimmt, dann gehört dazu, dass auch beide Seiten Kröten schlucken.
    Heinemann: Also ja?
    Caspary: Dann kann ich mir eine Lösung vorstellen. Aber ganz wichtig: Visafreiheit bedeutet ja nicht, dass sich jemand unendlich lang bei uns aufhalten kann, sondern wir reden hier über begrenzte Zeiträume. Man muss wieder ausreisen, man kann sich hier nicht dauerhaft niederlassen, man hat keinen Anspruch auf Leistungen. Es geht um Visafreiheit.
    Heinemann: Und wer kontrolliert das?
    Caspary: Dafür sind dann unsere Ausländerbehörden zuständig und ich glaube, wir sind gut beraten, wenn wir insgesamt Ausländerrechte auch ordentlich umsetzen.
    Heinemann: Damit weniger Migranten nach Deutschland kommen, sollen mehr türkische Staatsbürger nach Deutschland kommen können. Sind Sie ganz sicher, dass das die Botschaft der Wählerinnen und Wähler am vergangenen Sonntag war?
    "Wir reden über Visaerleichterungen"
    Caspary: Das war nicht die Botschaft der Wählerinnen und Wähler. Das war aber auch nicht meine Botschaft, sondern wir reden hier über Visaerleichterungen. Das heißt, wer herkommen möchte, um seine Familienangehörigen zu besuchen, wer herkommen möchte, um kurzfristig geschäftlich tätig zu sein, bekommt Erleichterungen. Wer hier Urlaub machen möchte, bekommt Erleichterungen. Darüber kann man reden. Aber wir reden hier nicht über ungebremste Zuwanderung. Wir reden schon gar nicht über ungebremste Zuwanderung in Sozialsysteme. Und deswegen bitte ich uns alle, dass wir ganz genau anschauen, über was wir reden.
    Heinemann: Kommt überhaupt nicht in die Tüte, sagt die CSU. "Wir können mit der Türkei über Erleichterungen reden, aber nicht über vollständige Visafreiheit." Zitat Andreas Scheuer, CSU-Generalsekretär. Droht da das nächste Fingerhakeln?
    Caspary: Es ist so: Wir haben immer die Schwierigkeiten bei Dreierkoalitionen. Die haben wir ja im Moment auch in Berlin. Da gibt es unterschiedliche Meinungen und wir als Union werden am Ende hier eine gute Lösung finden. Und es gilt dann am Ende auch das, was Horst Seehofer auch in den letzten Tagen immer gesagt hat: Angela Merkel ist eine sehr gute Bundeskanzlerin und sie wird eine sehr gute Lösung in Brüssel heraushandeln.
    Heinemann: Die Wähler ohrfeigen diese sehr gute Bundeskanzlerin, wie Sie sagen, die Union vor allen Dingen. Und die Kanzlerin sagt: Weiter so! Reicht das?
    Caspary: Ich glaube, wir sollten deutlicher machen, gerade als Union, beide Parteien, alle Abgeordneten und alle, die in Verantwortung stehen, was in den letzten Wochen und Monaten alles schon erreicht wurde. Wissen Sie, es gab Zeiten, da hatten wir 10.000 Flüchtlinge am Tag, die nach Deutschland gekommen sind, und wir haben die letzten Tage im Schnitt, wenn ich richtig informiert bin, 150.
    Heinemann: Das war Österreich. Das ist ja nicht die Politik der Kanzlerin, sondern das ist die Politik von Wien, der österreichischen Regierung, die von Berlin aus scharf kritisiert wird.
    Caspary: Das sagen Sie. Ich habe da eine andere Wahrnehmung, weil wir es dank der Bundeskanzlerin geschafft haben, dass wir das Thema Fluchtursachen in Syrien angehen. Der Waffenstillstand hält. Wir haben es geschafft, über die riesigen Hilfszusagen bei der Konferenz in London die Finanzierung der Flüchtlingslager in Ländern wie Jordanien und im Libanon zu finanzieren und auch in der Türkei. Wir haben es geschafft, dass sich beim vorletzten EU-Gipfel und auch beim letzten alle 28 Mitgliedsstaaten gesagt haben, wir wollen genau den Weg der Kanzlerin gehen, nämlich die Außengrenzen sichern, die Herkunftsstaaten stabilisieren, die Staaten der Nachbarschaft stabilisieren, und genau da ist ja auch die österreichische Regierung mit dabei. Dass die österreichische Regierung jetzt in der Zwischenzeit nationale Maßnahmen ergriffen hat, ist das eine.
    "Die Österreicher widersprechen der Bundeskanzlerin nicht"
    Heinemann: Die Balkan-Route ist zu, Herr Caspary. Ist das gut so?
    Caspary: Die Balkan-Route ist im Moment zu. Es ist gut, dass Außengrenzkontrollen in Europa jetzt auch wieder funktionieren. In Griechenland werden jetzt alle Flüchtlinge registriert. In Italien ist die Registrierung gut. Noch mal, was die Österreicher gemacht haben: Die Österreicher widersprechen der Bundeskanzlerin nicht, sondern auch die Österreicher sagen, wir brauchen die europäische Lösung. Sie haben jetzt in der Zwischenzeit nationale Maßnahmen ergriffen, wie wir Deutschen ja übrigens auch. Wenn ich von Brüssel nach Stuttgart fliege, da gibt es die Grenzkontrolle. Wenn wir die Grenzen zwischen Deutschland und Österreich anschauen, seit August letzten Jahres die Grenzkontrollen. Wir haben in Deutschland unser Asylrecht verschärft, Leistungen gekürzt, es wird wieder verstärkt abgeschoben. Wir haben doch auch in Deutschland wahnsinnig viele nationale Maßnahmen ergriffen. Es gehört doch beides zusammen, die nationalen Maßnahmen, aber vor allem bitte auch die europäische Lösung, denn wir müssen das insgesamt lösen. Und wir lösen das Problem doch nicht damit, dass wir Flüchtlinge aus einzelnen Staaten raushalten.
    Heinemann: Und europäische Lösung heißt, dass der türkische Präsident Erdogan - nennen wir ihn mal schillernd - in Zukunft entscheidet, wie viele Flüchtlinge nach Europa gelangen?
    Caspary: Nein, überhaupt gar nicht, sondern die Außengrenzkontrolle muss funktionieren. Das ist die Aufgabe Griechenlands.
    Heinemann: Warum muss man dann den Zustrom mit der Türkei verabreden, also dass die Türkei ihn begrenzt?
    Caspary: Weil die Türkei von den Flüchtlingsströmen genauso belastet ist wie wir in der Europäischen Union. Die Türkei ist ein wesentliches Nachbarland von Syrien und genau das ist unser Anliegen. Es geht darum, dass eben nicht ein Land alleine und auch nicht wir Europäer alleine den Schlüssel in der Hand haben, sondern wir müssen gemeinsam eine Vereinbarung treffen, die in Syrien anfängt, bei der Washington, Moskau, Iran, Saudi-Arabien, Türkei, Europa, alle Spieler bitte gemeinsam an einem Strang ziehen, und deswegen ist doch auch eine engere Kooperation mit der Türkei nichts Schlechtes.
    Heinemann: Aber ein Ziel des Abkommens ist doch, dass von der Türkei aus weniger Flüchtlinge nach Europa gelangen werden. Also kann die Türkei, kann der Präsident beeinflussen, wie viele nach Europa kommen.
    Caspary: Er kann beeinflussen, wie viel er aus der Türkei raus lässt, und wir als Europäische Union haben die Aufgabe, endlich die Außengrenzsicherung aufzubauen.
    Problem mit der Türkei gemeinsam lösen
    Heinemann: Damit begibt man sich doch in eine politische Abhängigkeit von Herrn Erdogan. Darauf wollte ich hinaus.
    Caspary: Ich merke, dass Sie darauf hinaus wollen. Aber ich will eben genau darauf hinaus, dass wir endlich als Europäische Union die Außengrenzsicherung in den Griff bekommen müssen. Das, was galt, nämlich Schengen und Dublin, das hat sich doch bewiesen, dass das in Schönwetterzeiten sehr gut funktioniert hat, und wir müssen jetzt Schengen und Dublin auch sturmfest machen. Daran arbeiten wir und dann sind wir auch nicht in einer Abhängigkeit von Erdogan, sondern dann versuchen wir, das Problem mit Erdogan gemeinsam zu lösen. Weil es geht doch auch nicht darum, dass die Türkei am Ende alle Lasten alleine trägt, sondern noch mal: Wir müssen Syrien stabilisieren, allen Nachbarländern, Jordanien, Libanon, Türkei und anderen helfen, damit zurechtzukommen. Und noch mal: Nicht Erdogan bestimmt, wer nach Europa reinkommt, sondern das bestimmt dann hoffentlich ein europäischer Außengrenzschutz im Auftrag der europäischen Regierung und der Europäischen Kommission, und genau da müssen wir hin.
    Heinemann: Wie würden Sie, Herr Caspary, Dublin und Schengen sturmfest machen?
    Caspary: Als Allererstes müssen wir erreichen, dass das wieder angewandt wird. Da sind wir Riesenschritte vorangekommen in Griechenland. Griechenland versteht sich jetzt endlich nicht mehr als reines Transitland, das durchwinkt, sondern die Registrierung der Flüchtlinge dort findet statt und dort sind auch endlich Flüchtlingslager und die Hotspots am Arbeiten. Es klappt langsam.
    Und das Zweite ist: Wir sollten in Europa in aller Ruhe weiter daran arbeiten, wenn der Außengrenzschutz endlich wieder funktioniert, wenn eben nicht einfach ungebremst Flüchtlingsströme nach Europa rein können, dann ist der zweite Schritt, dass wir dann auch in Europa über eine solide Lastenverteilung sprechen müssen. Ich weiß, dass das manche Regierungen in Europa anders sehen, aber in allen Umfragen sagen 80 Prozent der europäischen Bürger, dass dieses Problem europäisch gelöst werden muss, und genau daran arbeitet die Kanzlerin und ich finde es gut, dass sie an der Gesamtlösung arbeitet, die alle unterstützen. Und wenn einzelne Mitgliedsstaaten im Zwischenschritt einzelne Lösungen ergreifen, dann trägt das vielleicht mit zu einer Lösung bei. Aber noch mal: Wir sollten das Endziel und das gemeinsame Endziel, nämlich die Reisefreiheit in Europa sicherzustellen und auf der anderen Seite die Außengrenzen eigenständig zu sichern, an dem Gesamtziel sollten wir wieder festhalten.
    Heinemann: Das setzt ja Gemeinsamkeiten voraus. Aus wie viel Union besteht diese EU überhaupt noch?
    Caspary: In Krisenzeiten wird oft deutlich, welche Interessen einzelne Länder haben, und ich glaube, nach den ersten Wochen der Aufregung ist fast allen europäischen Ländern bewusst geworden, wenn uns Schengen, also die Reisefreiheit in Europa zusammenbricht, wenn wir dadurch die politische, die persönliche und auch die wirtschaftliche Integration gefährden, dann steht wirklich extrem viel auf dem Spiel. Genau deshalb ist es der Kanzlerin, wenn auch leider viel, viel später, als wir alle gehofft haben, aber doch mit aller Beharrlichkeit gelungen, dass 28 Staaten sagen, wir sichern die Außengrenze gemeinsam, wir wollen eine europäische Lösung. Und ich weiß, Europa dauert immer zu lang, aber am Ende hat Europa bisher immer funktioniert und wir sind noch aus jeder Krise am Ende gestärkt rausgekommen.
    Heinemann: Der CDU-Europapolitiker Daniel Caspary. Das Gespräch haben wir kurz vor dieser Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.