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Vitra Design Museum
Alvar Aalto - mehr als ein Architekt

Alvar Aalto war auch Designer, das gehörte zu seinem Architekturverständnis. Das Vitra Design Museum würdigt ihn in einer Ausstellung.

Von Christian Gampert | 01.10.2014
    Natürlich denkt man bei Alvar Aalto zunächst an die geschwungene Linie, die gerundete, kühle, organische Bauform, und führt das dann umstandslos auf Aaltos Herkunft aus dem von der Natur dominierten Finnland zurück. Das ist aber nur halb richtig. Die Ausstellung im Vitra Design Museum argumentiert mit einiger Plausibilität, dass Aaltos Philosophie sich in Auseinandersetzung mit der Kunst der klassischen Moderne entwickelt hat, besonders mit Hans Arp und Alexander Calder, und dass Aalto das Organische auch in der finnischen Architektur erst durchsetzen musste - bevor es dann als typisch finnisch in alle Welt exportiert wurde.
    Aalto hat vor allem als junger Mann selber gemalt; architektonische Ideen entstehen aus vorbewusst fließenden Skizzen und Gekritzel, das an Cy Twombly erinnert, und noch 1960 malt er ein "Informalistic Yellow", das nun ausgestellt ist. In den 1920er- und frühen 30er-Jahren aber orientierte sich Aalto zunächst am "nordischen Klassizismus", der weitgehend von den Sakralbauten der italienischen Renaissance beeinflusst war; in der kühlen Formensprache seiner Bibliothek von Viipuri (im heutigen Russland) und besonders des Sanatoriums von Paimio zeigt sich aber schon der Einfluss der Moderne: geometrisierte Bauten, in die sich ab den 30er-Jahren dann das Organische einschleicht - freilich nicht als "Natur", sondern als abstrahierte, hergestellte, als "zweite Natur"; "Second Nature" heißt die Ausstellung.
    Architektur als Gesamtkunstwerk
    Als architektonisch brauchbar erweisen sich nicht nur Arp, Léger und Calder, die als Referenzwerke zu sehen sind, sondern auch japanische Traditionen - die 1939 fertiggestellte "Villa Mairea" arbeitet mit Bambusstangen-Elementen. Schon damals fasste Aalto Architektur als Gesamtkunstwerk auf, das vom Teppich bis zu den Möbeln, von der Türklinke bis zur Lampe zu durchdenken war. Deshalb ist Aalto so nebenbei nicht nur als Designer von Geschirr und der Savoy-Vase erfolgreich gewesen, sondern auch als Möbelproduzent mit seinen geschwungenen Holzsesseln, die die Formen der Stahlrohrmöbel weiterschreiben: Man muss Holz nur biegen können. Auch als Architekt hat er einen weitherzigeren Ansatz als die Funktionalisten vom Bauhaus, sagt Kurator Jochen Eisenbrand.
    "Auf der Ebene der Architektur war es, glaube ich, unter anderem die Tatsache, dass er 'Funktion' vielseitiger oder vielschichtiger aufgefasst hat als viele seiner Zeitgenossen und darunter auch psychologische und physiologische Aspekte des Bauens gesehen hat."
    Großbaumeister der Spätzeit
    Das sieht man sogar noch an den standardisierten Modulen, mit denen Aalto das im Zweiten Weltkrieg zerstörte Finnland stadtplanerisch aufpäppelte, und auch an den pompöseren späten Bauten wie dem Kongresshaus Finlandia oder dem Kulturzentrum Wolfsburg. Der Großbaumeister der Spätzeit arbeitete in klassizistischem Weiß oder sogar mit brutalistischem rotem Backstein. Die Phrase aber, dass der Mensch im Mittelpunkt stehe, wird bei Aalto immer neu ausgelotet.
    "Und das heißt bei ihm auch, dass Architektur nicht nur mit dem Seh-Sinn erlebt wird, sondern mit allen Sinnen - dass es auch um den Hörsinn geht, eine gute Akustik, dass es um das Licht geht, die richtige Lichtführung, dass man nicht geblendet wird, dass das Licht einen auch vielleicht durch den Bau leitet, und dass es auch um Haptik geht, dass man ein Gebäude auch haptisch erfährt, dass es auch um Oberflächen und Materialien geht, um eine gewisse Sinnlichkeit."
    Der Prototyp für Aaltos Ideen vom Bauen ist der finnische Pavillon für die Weltausstellung 1937 - schon hier finden sich die wellenförmig geschwungenen riesigen Innenwände, die heute noch das Signum des (posthum realisierten) Aalto-Theaters in Essen sind. Das Vitra-Museum, das sowieso verlässlich seriöse Ausstellungen macht, beglaubigt Aaltos Offenheit durch eine Vielzahl von Möbeln, Design-Objekten, Gemälden, Modellen, Skizzen und sogar durch eine Materialbibliothek mit Kacheln und gerundeten Backsteinen. Und vor allem durch sachlich inszenierte Fotos, die der Fotograf Armin Linke vom heutigen Zustand der Aalto-Bauten gemacht hat.