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Vögel des Glücks
"Tanzende" Kraniche in Mecklenburg-Vorpommern

Man nennt sie auch die Vögel des Glücks. Und wer jetzt im März ihre Trompetenrufe hört und sie hoch am Himmel fliegen sieht, der freut sich. Denn die Kraniche gelten schon seit Jahrhunderten als zuverlässige Frühlingsboten.

Von Eva Firzlaff | 19.03.2017
    Kraniche (Grus grus) fliegen am 26.09.2016 nahe Reitwein (Brandenburg) am Morgenhimmel über dem Oderbruch
    Kraniche fliegen am 26.09.2016 nahe Reitwein in Brandenburg am Morgenhimmel über dem Oderbruch. (picture alliance / dpa / Patrick Pleul)
    Mittlerweile zieht es viele Gäste im September und Oktober nach Mecklenburg-Vorpommern, extra um die Tausenden Kraniche zu sehen, die im Herbst dort ein paar Wochen Pause machen. Auch im März gibt es Kranich-Kino, nur ist das nicht so bekannt, obwohl man gerade jetzt ein besonderes Schauspiel erleben kann: die Kraniche tanzen.
    Nur einige Kilometer nordwestlich der quirligen Hansestadt Stralsund ist die Welt eine andere. Wenige kleine Dörfer, schmale kaum befahrene Straßen, weite Felder. Bis zum Bodden ist es nur einen Flügelschlag weit. Weil die Kraniche in den flachen Boddengewässern viele und sichere Schlafplätze finden, und an Land reichlich Futter, rasten sie hier im Herbst zu vielen Tausenden und gleich über mehrere Wochen. Auch im zeitigen Frühjahr finden sich etliche tausend Kraniche ein, doch sie kommen nicht gleichzeitig und bleiben nur wenige Tage, denn sie haben es eilig.
    „Dann möchten die Paare schnell in die Brut-Heimat zurück. Die Vögel, die hier durchziehen, fliegen weiter nach Schweden, Norwegen und Finnland. Die müssen ihr Revier besetzen und je weniger Zeit sie hier verplempern, umso mehr Zeit haben sie für die Aufzucht der Jungen.“
    Beobachtung aus nächster Nähe
    Im Kranich-Zentrum in Groß Moordorf erfährt der Besucher alles über die riesigen Vögel. Es sind die größten Europas. Ein Männchen wächst auf stattliche 1,25 Meter und hat eine Flügelspannweite von über zwei Meter, das ist viel mehr, als wenn wir die Arme ausbreiten. Normalerweise lassen Kraniche Menschen nicht näher an sich ran als 300 Meter. Doch in der Nähe des Winzig-Dorfes Günz kann man die majestätischen Vögel ganz aus der Nähe beobachten.
    Ich stehe mit Günter Nowald vom Kranichschutz Deutschland in der Morgendämmerung an der Futterstelle am Günzer See. Vor uns auf der weiten Wiese frühstücken einige hundert Kraniche in aller Ruhe, lassen sich nicht mal von meinem roten Auto stören.
    „Das Projekt wurde eigentlich angelegt, um Konflikte mit Landwirten zu reduzieren, weil Kraniche im Frühjahr auch mal gerne auf eine neue Saat gehen und das Saatgut fressen, haben wir eine Fütterungsfläche eingerichtet. Jetzt gibt es eigentlich kein Sommergetreide mehr, aber viele Touristen, die die Kraniche sehen möchten. Und hier haben wir eine Stelle, wo wir füttern lassen, wir finanzieren das. Die Kraniche kennen das. Die kriegen hier ihr Frühstück auf die Wiese gestreut. Also kommen sie her. Sie kennen die Menschen hier, nicht persönlich, aber die Menschen halten sich an Regeln, sie müssen hinter einer Absperrung bleiben. Das lernen und Vögel und entsprechend dicht – 50 bis 100 Meter – lassen sie es zu, dass die Menschen hier frei sichtbar stehen.“
    Ein besonderes Spektakel: der Kranich-Tanz
    Auch auf den Feldern zwischen Stralsund und Ribnitz-Damgarten sieht man Kraniche nach Futter suchen. Doch hier am Günzer See stehen die Chancen fürs Kranich-Kino am besten. Vor allem frühmorgens. Einige Paare tanzen sogar den sprichwörtlichen Kranich-Tanz. Sie hüpfen, schlagen mit den Flügeln, verneigen sich voreinander, umkreisen sich gegenseitig.
    „Gerade in Afrika beispielsweise sind viele Elemente des Kranich-Tanzes von den dortigen Menschen mit aufgenommen worden in deren Tänze, weil sie der Fruchtbarkeit und der Paarbindung dienen.“
    Obwohl Kranich-Paare sich meist ein Leben lang treu bleiben, tanzen sie in jedem Frühjahr wieder. Nicht einmal Schnee und Kälte halten sie davon ab. Nahe der bisherigen Beobachtungsstelle wurde vor zwei Jahren das Kranorama eröffnet. Der wie eine Holzkiste wirkende Bau schützt die Naturfreunde vor Wind und Regen, während draußen die Kraniche futtern, tanzen oder sich mit dem Seeadler streiten. Die Günzer Seewiesen im Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft sind etwas Besonderes: Europäisches Vogelschutzgebiet und Nationales Naturerbe. Die Kraniche sind hier nichts Neues, wurden aber noch vor 20 Jahren kaum wahrgenommen.
    „Es gibt mehrere Hinweise, dass hier immer Kraniche waren. Orte sind nach den Kranichen benannt: Kronsberg, Krönnevitz. So gibt es schon Spuren davon, aber es hat die Leute hier nie tangiert. Es hat so dazu gehört zum Leben wie die Hasen und Rehe.“
    Wohnen im Museum
    Die Historikerin Bettina Klein hat das zerfallende Gutshaus Hessenburg wieder belebt, hat Denkmal-Preise bekommen und ein Kranich-Museum eingerichtet. Vor zwei Jahren kam im Erdgeschoß noch das kleine Kranich-Hotel dazu. Das Haus selbst hat zwar ein neues Dach, der Verfall ist gestoppt, doch innen ist es nicht fein herausgeputzt. Ja, mancher Gast lässt sich, wenn er das Haus betritt, irritieren - von den rohen Wänden und abblätternden Farbschichten. Doch spätestens im Zimmer ist jeder begeistert, im Museum zu wohnen, und akzeptiert die Unvollkommenheit, die mit dem Sanierungskonzept einhergeht.
    „Da ich sehr lange in Asien gelebt habe – 20 Jahre in Japan – war ich natürlich infiziert mit dem Gedanken, dass die Kraniche einen wesentlichen Beitrag in der asiatischen Kunst darstellen, weil sie so schön sind, so elegant, also ihr Flug, ihr Tanz, ihr Gebaren, ihr Federkleid… das alles gilt den Asiaten als verehrungswürdig. Ich wollte immer ein Kranich-Museum haben, weil wir hier in einem Kranich-Land sind. Also wir sind ja umstellt im Frühjahr und Herbst von Kranich-Schwärmen.“
    Das Kranich-Museum zeigt jedoch keine japanischen, keine klassischen Kunstwerke, sondern zeitgenössische, geschaffen von international anerkannten Künstlern, die sie einlädt nach Hessenburg. Die Installationen und Objekte schlagen einen Bogen vom Haus und seiner Geschichte zur umgebenden Landschaft mit – natürlich – den Kranichen. Die Landspitze nördlich von Stralsund heißt Horn von Vorpommern und sieht auf der Landkarte auch aus wie ein Horn.
    Hier, in Barhöft, in den wenigen Backstein-Häusern wohnten schon im 19. Jahrhundert die Lotsen für die Einfahrt nach Stralsund. Wir steigen auf den Aussichtsturm oben auf dem Hochufer. Aus 38 Metern Höhe gucken wir dann auf ein schmales Wasser, die Einfahrt in den Bodden. Gegenüber liegt die Insel Bock, das flache Stück Neuland ist ein Werk von Wind und Wellen. Die nagen am Darßer Nord-Strand, schleppen den Sand ostwärts und lassen die Spitze der Halbinsel immer weiter wachsen, nach Osten. Würde man nicht regelmäßig die Fahrrinne ausbaggern, gäbe es wohl schon einen Landweg nach Hiddensee. Von oben sehen wir staunend, wie flach das Wasser an der Küste ist. Große Sandbänke reichen bis dicht unter die Wasseroberfläche, bilden Europas größtes natürliches Wind-Watt und sind nachts sicherer Kranich-Schlafplatz.
    „Die schlafen tatsächlich im flachen Wasser. Das heißt in den Boddengewässern, sie lieben Wassertiefen von 10 bis 20 Zentimeter. Das gibt Sicherheit vor Raubsäugern. Und wenn sie dort in großen Schar stehen, ist das wohl ganz gemütlich. Sie fühlen sich auf jeden Fall sicher.“
    Derweil schrauben sich über unseren Köpfen Trupps von 20, 30 Kranichen in die Höhe, fliegen ab nach Norden.