Dienstag, 16. April 2024

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Völkermord an Armeniern
Begriffsdebatte "bringt uns nicht weiter"

Der Berlin-Korrespondent der türkischen Zeitung "Hürriyet", Ahmet Külahci, hält die Debatte über den Begriff Völkermord für das Massaker an den Armeniern für unnötig. Im Deutschlandfunk sagte er, die Taten vor hundert Jahren seien schrecklich gewesen, aber ob es ein Genozid gewesen sei, sei offen.

Ahmet Külahci im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 21.04.2015
    Ahmet Külahci, Hürriyet-Korrespondent, aufgenommen am 15.10.2014 während der ARD-Talksendung "Anne Will"
    Die Türkei werde selbstverständlich auch Deutschland kritisieren, sollte der Bundestag beim Gedenken an die Gräueltaten der Osmanischen Armee von "Völkermord" sprechen, sagte der türkische Journalist Ahmet Külahci. (picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler)
    Ahmet Kühlaci sagte, die Taten an sich könne man nicht verteidigen: "Das sind natürlich sehr schreckliche Taten, die damals geschehen waren." Es bringe aber keinen weiter, ob man das als Völkermord bezeichne oder nicht. Kühlaci zeigte sich verwundert darüber, dass im gemeinsamen Antrag der Bundestagsparteien zunächst von Massaker und Vertreibung die Rede gewesen sei und auf einmal von Völkermord. Das sei schwer zu verstehen.
    Er geht davon aus, dass die Türkei auf eine deutsche Entschließung ähnlich reagiere wie auf die des EU-Parlaments und die Rede von Papst Franziskus, die ebenfalls von einem Völkermord 1915 an den Armeniern gesprochen hatten.
    Kühlaci fordert internationale Historikerkommission
    Kühlaci schlug dagegen vor, dass sich Armenier und Türken versöhnen und sich dafür stark machen sollten, dass die Beziehungen besser werden. Dabei bringe es wenig, die Toten aufzurechnen. Jeder Toter sei einer zuviel.
    Der Hürriyet-Korrespondent brachte noch einmal einen Vorschlag der Türkei auf, die Beurteilung der Taten Historikern zu überlassen und nicht Politikern. Man solle eine internationale Historikerkommission bilden, damit diese die Taten beurteilen könnten. Das Argument, dass zahlreiche Historiker schon seit Langem von einem Völkermord sprechen, wies Kühlaci zurück. Entscheidend seien keine Einzelmeinungen. Diese Wissenschaftler hätten sich nicht ausreichend mit den Taten beschäftigt.

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Es ist nur ein Wort, aber es sorgt seit Tagen in Deutschland für heftigen Streit: "Völkermord" - lassen sich mit diesem Begriff die Gräueltaten der Osmanischen Armee an der Armenischen Minderheit beschreiben? War das ein Völkermord, der da vor genau 100 Jahren auf dem Gebiet der heutigen Türkei begangen wurde? Die Mehrheit der Historiker weltweit sagt, ja, genau das war es. Die Türkei sagt nach wie vor nein.
    Am Freitag wird nun der Bundestag an diese Gräueltaten erinnern, und gestern hat sich die Koalition nach langem Hin und Her darauf geeinigt: Ja, das Wort "Völkermord" soll dabei benutzt werden. Wörtlich soll es dann im Bundestag heißen: "Das Schicksal der Armenier in dieser Zeit steht beispielhaft für die Geschichte der Massenvernichtungen, der ethnischen Säuberung, der Vertreibungen, ja der Völkermorde, von denen das 20. Jahrhundert gezeichnet ist."
    Am Telefon ist jetzt Ahmet Külahci, der Korrespondent und Kolumnist bei der türkischen Tageszeitung "Hürriyet" in Berlin. Schönen guten Morgen.
    Ahmet Külahci: Guten Morgen! Hallo!
    Armbrüster: Herr Külahci, die Bundesregierung wird es also als Völkermord bezeichnen. Wie kommt das in der Türkei an?
    Külahci: Ich meine, das ist noch nicht sicher, wie die Bundesregierung sich verhalten wird. Aber wie Sie auch gesagt haben: Es sieht danach aus, dass am Freitag doch in diesem Text "Völkermord" stehen wird. Aber ich wundere mich. In einem gemeinsamen Antrag von CDU/CSU, SPD, den Grünen und der FDP war ja von einem Massaker und von einer Vertreibung die Rede, aber das Wort "Völkermord" wurde vermieden bis jetzt, und jetzt auf einmal wollen fast die gleichen Parteien doch von einem Völkermord reden. Das ist schwer zu verstehen.
    "Das armenische und das türkische Volk sollten sich versöhnen"
    Selbstverständlich gehe ich davon aus, dass die türkische Seite, wenn es so vorkommt, genauso wie gegenüber vom Papst und zum Europäischen Parlament, die das ja als Völkermord benannt haben, Reaktionen zeigen werden und kritisieren werden dieses Verhalten.
    Armbrüster: Das heißt, der deutsche Botschafter in Ankara kann sich schon mal darauf einstellen, am Freitag einberufen zu werden?
    Külahci: Ich weiß es nicht. Ich meine, wenn man den Botschafter vom Vatikan einbestellt hat, gehe ich davon aus, dass auch der deutsche Botschafter einbestellt werden würde. Aber unabhängig davon: Das sind natürlich sehr schreckliche Taten gewesen, die damals passiert sind, und das waren Gräueltaten. Das war eine Tragödie, das kann man ja nicht verteidigen. Aber ob man das jetzt als Völkermord bezeichnet oder nicht, das bringt uns nicht weiter. Deswegen müssen wir nach vorne schauen. Das armenische Volk und das türkische Volk sollten sich versöhnen. Alle Länder sollten sich dafür stark machen, dass diese Beziehungen besser werden.
    Armbrüster: Na ja, es ist ja schon immer wichtig, wie man bestimmte Dinge und bestimmte Vorkommnisse benennt, was für einen Namen man ihnen gibt. Warum sträubt sich die Türkei denn so sehr gegen diesen Begriff Völkermord?
    Külahci: Ich meine, auch nach der UN-Bezeichnung ist das im Grunde genommen für die türkische Seite kein Völkermord, und natürlich, wie ich vorhin gesagt habe, es sind schreckliche Taten, Gräueltaten geschehen bei diesen Deportationen. Da sind Menschen gestorben und wurden Menschen getötet, auch bewusst getötet.
    Armbrüster: Es waren 1,5 Millionen Menschen.
    Külahci: Die Zahlen variieren zwischen 200.000 und 1,5 Millionen. Aber egal ob es 200.000 waren oder 1,5 Millionen, jeder Tote ist ein Toter zu viel. Es geht jetzt nicht darum, ob das 1,5 Millionen waren oder 200.000. Selbstverständlich, das ist eine Tragödie: Ein Mensch verliert sein Leben, egal weswegen.
    Armbrüster: Herr Külahci, man könnte jetzt auch sagen, diese Verbrechen sind 100 Jahre her, es wird heute sicher niemand mehr zur Verantwortung gezogen, wenn wir es als Völkermord bezeichnen. Warum kann dann die Türkei sich nicht einfach der Meinung der meisten Historiker, die sich mit diesem Fall beschäftigt haben, anschließen und sagen, es war ein Völkermord, und damit ist diese internationale Kontroverse dann auch beendet?
    Külahci: Es war ja die Türkei, die vorgeschlagen hat, dass man diese Sache nicht den Politikern, sondern den Historikern überlässt und dass man eine internationale Historikerkommission bilden sollte, dass man alle Archive doch öffnen sollte, und die Historiker sollten das beurteilen, ob das ein Völkermord war oder nicht.
    "Armenier sollen ihre Archive öffnen"
    Armbrüster: Entschuldigen Sie, wenn ich Sie da unterbreche. Historiker haben es gesagt.
    Külahci: Der eine oder andere Historiker könnte es sagen. Aber es geht nicht darum für mich oder für die Türkei, wie der eine oder andere Historiker das nennt, sondern dass eine Kommission von Historikern, von internationalen Historikern, das beurteilt und bearbeitet, was das gewesen sein soll.
    Und wie gesagt, auch die Armenier sollten ihre Archive öffnen. Die Türkei ist schon bereit, die Archive von der Türkei sind schon geöffnet. Wir sind bereit, alles zu tun, wie gesagt. Aber es ist die armenische Seite gewesen, die das nicht akzeptiert hat.
    Armbrüster: Aber haben sich nicht Historiker in den vergangenen Jahrzehnten schon genug mit dieser Frage beschäftigt und sind sie nicht fast immer einhellig zu dem gleichen Schluss gekommen?
    Külahci: Nein, eben nicht! Das heißt, da sollten ja schon in Wien vor fünf Jahren die Historiker sich treffen. Die Türkei hat das vorgeschlagen. Aber wie gesagt, die andere Seite hat das nicht akzeptiert. Ich meine, der eine oder andere Historiker kann natürlich das behaupten, was da geschehen ist. Es gibt auch in der Türkei Menschen, die das genauso sehen. Aber wie gesagt, das sollte man einer internationalen Historikerkommission überlassen, was dort geschehen ist. Die Türkei ist dazu bereit.
    Armbrüster: Herr Külahci, zum Schluss ganz kurze Frage mit Bitte um eine kurze Antwort. Was wird das langfristig tun mit den Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei, wenn am Freitag das Wort "Völkermord" in dieser Debatte fällt?
    Külahci: Nein. Ich meine, ich bin nicht so pessimistisch, dass die Beziehungen sich verschlechtern könnten. Es sind ja fast drei Millionen Menschen mit türkischem Hintergrund, die in der Bundesrepublik Deutschland leben. Die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei müssen gut sein und auch gut bleiben.
    Armbrüster: ..., sagt Ahmet Külahci, Kolumnist bei der türkischen Tageszeitung "Hürriyet" in Berlin. Vielen Dank, Herr Külahci, für das Gespräch heute Morgen.
    Külahci: Bitte schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.