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Völlig losgelöst

In gut 350 Kilometern Höhe wird in Kürze das wohl teuerste Gartenbau-Projekt der Geschichte starten. Astronauten werden an Bord der Internationalen Raumstation ISS Pflanzensamen aussäen - Ackerschmalwand, ein unscheinbares Blümchen, das auch so schon überall wächst. Nur diesmal geschieht es im Dienste der Forschung. Das Experiment ist eines der ersten in Europas Raumlabor Columbus. Doch ist die Forschung im All wirklich so bedeutend, wie die Raumfahrtagenturen immer glauben machen? Schwerelose Forschung gibt es deutlich preisgünstiger auch schon auf der Erde.

Von Dirk Lorenzen | 24.02.2008
    "T minus ten...nine...go for main engine starts...seven...six...main engines ignition...four...three...two...one...zero...and lift-off...of space shuttle Atlantis as Columbus sets sail on a voyage of science to the space station....”"

    07. Februar 2008, 15:45 Uhr Ortszeit, am Kennedy Space Center. Laut dröhnend stemmt sich der Space Shuttle Atlantis in den Himmel über Florida. An Bord teures Gepäck: Europas Raumlabor Columbus, das – wie der Nasa-Kommentator blumig verkündet – mit dem Start die Segel setzt für eine Forschungsreise: Mit Columbus soll die Internationale Raumstation ISS zum orbitalen Labor werden.

    "Völlig losgelöst
    Forschen in der Schwerelosigkeit
    Von Dirk Lorenzen"

    ""Super natürlich. Columbus ist jetzt endlich gestartet. Also jetzt geht es richtig los."

    Der Gemütszustand von Helmut Luttmann kann kaum besser sein. Luttmann arbeitet in Bremen bei EADS Astrium. Er ist verantwortlich für den Betrieb und die Nutzung von Columbus, der aufwändigsten Laboranlage, die je ins All geflogen ist. Noch während die Rauchwolke vom Start über dem Kennedy Space Center hängt, schwärmt Helmut Luttmann von den neuen Chancen im Weltall.

    "Alle Module waren ja bisher immer nur kurzfristig oben. Und jetzt haben die Möglichkeit auch langfristig oben Forschung zu betreiben."

    War vor dem mehrfach verschobenen Start die Anspannung extrem groß, so ist die Erleichterung jetzt umso größer. Ingenieure, Wissenschaftler, Raumfahrtmanager und Astronauten feiern Columbus’ Reise in die neue Forschungswelt. Mitten im Trubel ein strahlender Jean-Jacques Dordain. Als er vor zwei Jahrzehnten bei der Esa angefangen hat, war sein erster Job, die Nutzung des Raumlabors Columbus voranzutreiben, die Planung hatte damals gerade begonnen. Heute ist Dordain Generaldirektor der Europäischen Raumfahrtagentur Esa.

    "Es ist schlicht unglaublich. 20 Jahre habe ich auf diesen Start gewartet – und nun ist Columbus endlich in der Umlaufbahn. Wir sind jetzt volle Partner der Raumstation und die Forschungsarbeit im Labor geht sofort los. Es erscheint mir immer noch ganz unwirklich. Aber gut. Ich weiß, dass es wahr ist!"

    Als Teil der ISS kreist das Raumlabor Columbus nun also um die Erde: in 350 Kilometern Höhe - ein exklusiver Standort. Es gelten zwar dieselben physikalischen Gesetze wie auf der Erde. Aber die sonst alles dominierende Schwerkraft ist in der Umlaufbahn nicht spürbar. Heiße Luft steigt im All nicht auf, Öl und Wasser lassen sich perfekt durchmischen, ausgekippte Flüssigkeiten schweben als Kugeln durch den Raum.

    Mindestens bis zum Jahr 2020 soll das 880 Millionen Euro teure Labor im Einsatz sein. Pro Jahr wird der Betrieb weitere 80 Millionen Euro kosten. Vor allem der Transport des Materials schlägt erheblich zu Buche.

    Wer über Stunden, Tage oder gar Monate Experimente in der Schwerelosigkeit durchführen will, hat zum Einsatz im Weltraum keine Alternative. Doch für manche Experimente geht es auch viel bodenständiger und billiger.

    Mitten im Bremer Universitätsgelände ragt ein schlanker weißer Turm fast 150 Meter hoch in den Himmel. Mit der pfiffigen Glasspitze wirkt er wie ein riesiger Bleistift – weithin sichtbar in der norddeutschen Tiefebene. Im Turm: Nichts, oder fast nichts.

    "Wir sind im Leitstand des Fallturms Bremen. Im Moment haben wir ein Experiment in der Fallturmspitze. Wir sind jetzt kurz, also im Minutenbereich, vor dem Abwurf der Fallkapsel."

    Durch den Turm lässt Torsten Lutz spezielle Kapseln fallen. Da in der Kapsel alles gleich schnell nach unten fällt, ist in ihrem Innern die Schwerkraft nicht spürbar. Es herrscht Schwerelosigkeit oder Mikrogravitation.

    "Zum einen können Sie den einfachen freien Fall nutzen. Da kommen wir auf 4,74 Sekunden Weltraumbedingungen, sprich Quasi-Schwerelosigkeit. Und seit drei Jahren betreiben wir auch unser Hightech-Katapult und damit können wir bei gleicher Turmhöhe die Fallzeit verdoppeln, auf 9,5 Sekunden."

    Hans Rath ist Direktor des ZARM – des Zentrums für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation. Das ZARM betreibt den Fallturm. Außer in Bremen gibt es nur in den USA und Japan ähnliche Einrichtungen.

    Von einem kleinen abgedunkelten Raum aus, direkt neben dem Fallturm, steuern Ingenieure die Experimente. Auf zwei breiten Konsolen stehen sieben Monitore. An die Stirnwand werden Kamerabilder und technische Daten aus dem Innern des Fallturms projiziert.

    Es herrscht gespannte Konzentration. Ein Forschungsteam untersucht die allerersten Phasen der Planetenentstehung. Planetenentstehung im freien Fall? Andrei Vedernikov von der Freien Universität Brüssel lässt in der Tat sehr kleine "Planeten" durch den Turm fallen: Staubpartikel, die gerade mal ein Tausendstel Millimeter groß sind und durch ein sehr dünnes Gas driften.

    "Damit simulieren wir die Bedingungen, die ganz zu Beginn der Planetenentstehung herrschen. Ganz am Anfang gibt es noch keine großen Brocken. Planeten entstehen aus einer Suppe sehr kleiner Teilchen. Wir untersuchen, wovon es abhängt, dass die kleinen Teilchen zusammenstoßen, verkleben und nach und nach größer werden. Irgendwann sind sie dann groß genug, um durch ihre Anziehungskraft immer mehr Material anzusammeln."

    Während des freien Falles bewegen sich die Staubpartikel ziellos im dünnen Gas, kollidieren, verkleben dabei oder prallen voneinander ab – eine mitfallende Kamera zeichnet das Geschehen auf. Natürlich lässt sich in 4,7 Sekunden Fallzeit nicht ein Prozess simulieren, der in der Natur Tausende von Jahren dauert. Es geht in Bremen vor allem darum, das technische Gerät zu erproben. Langfristig hat das internationale Forschungsteam, zu dem Andrei Vedernikov gehört, hochfliegende Pläne. Vedernikov:

    "Einige der Phasen der Planetenentstehung lassen sich wegen der Schwerkraft nicht in einem normalen Labor auf der Erde untersuchen – und diese Phasen lassen sich auch nicht einfach berechnen. Gerade was das Verkleben der allerersten Staubteilchen angeht, brauchen wir dringend experimentelle Daten. Die längeren Experimente erfolgen in einigen Jahren auf der Internationalen Raumstation."

    Vor dem nächsten Test wirft Torsten Lutz im Leitstand des Fallturms einen letzten Blick auf die Kameras, bevor er den Abwurf freigibt.

    "Das dritte Bild zeigt einen Zoom durch die Röhre, da kann ich mal eben durchzoomen, da gucken wir von ganz oben bis ganz nach unten. Das ist jetzt die Draufsicht auf den Auffangbehälter, in dem nach dem Abwurf die Fallkapsel gefangen wird. Die ganze Strecke von 110 Metern muss die Fallkapsel zurücklegen. Sie fällt dann 4,74 Sekunden und während dieser Fallzeit herrscht in der Fallkapsel Schwerelosigkeit."

    "Ich schalte die Netzgeräte aus. ... Abdocken läuft."

    "Ich gebe Euch die Freigabe"

    Schließlich klinken die Forscher per Fernsteuerung die Kapsel aus. Immer schneller saust sie von der Fallturmspitze durch die luftleere Röhre nach unten. Nach knapp 5 Sekunden schlägt die Kapsel mit 170 Kilometern pro Stunde auf. Ein dumpfes Grollen ist bis in den Leitstand zu vernehmen. Styropor fängt den Aufprall ab, die weißen Kügelchen spritzen in alle Richtungen. Noch während des Falls bekamen die Wissenschaftler per Funk einige Daten übermittelt. Gespannt blicken sie jetzt auf die Bildschirme.

    "Saugeil!"

    "Ja cool, ej!"

    Alles hat geklappt. Die Messungen sind sekundenschnell vorbei. Die Auswertung der Daten und die Weiterentwicklung des Experiments bis zur Weltraumreife wird Jahre dauern.

    "Wir befinden uns jetzt zentral unter dem Fallturm, in elf Metern Tiefe, und stehen direkt vor dem Katapultsystem. Wir können die Kapseln nicht einfach nur fallen lassen im Turm, sondern wir können die Kapseln auch in den Turm schießen. Auf diese Weise benötigt die Kapsel die doppelte Zeit, um wieder in dem Abbremsbehälter zu landen. Somit haben wir 9,3 Sekunden, die wir dem Experimentator als Schwerelosigkeit zur Verfügung stellen können."

    Die Kapseln befinden sich in Schwerelosigkeit, sobald sie das Katapult verlassen haben. Denn physikalisch besteht zwischen dem Schuss nach oben und dem anschließenden Fall nach unten kein Unterschied.

    Knapp 10 Sekunden Experimentierzeit, kaum störende Effekte, mit Projektkosten von einigen Tausend Euro pro Abwurf vergleichsweise günstig: Der Fallturm bietet die einfachste Möglichkeit, Weltraumbedingungen zu erleben. Doch die meisten Experimente benötigen mehr Zeit als ein paar Sekunden. Dafür muss man nicht sofort auf die Raumstation...

    Esrange im Norden Schwedens: Kiefernwälder so weit das Auge reicht. Hier und da ein zugefrorener See. Am Horizont ragen eine Handvoll Berge und Hügel aus der verschneiten Landschaft. Kiruna, die nächste größere Stadt ist knapp 50 Kilometer entfernt. Mitten in dieser Einöde stehen ein paar Gebäude und Baracken, einige Parabolantennen und zwei Startrampen. Hier werden die Forschungsraketen Texus und Maxus in die Höhe geschossen. Herr über die Raketen ist Andreas Schütte von EADS Astrium in Bremen.

    "Im Prinzip sind das große Silvesterraketen, so kann man sich das vorstellen. Das sind Feststoffraketen, die die Experimentnutzlast nach oben bringen. Für Texus erreichen wir beispielsweise 6 Minuten Schwerelosigkeit. Das heißt, wenn der Motor ausgebrannt ist, fliegt die Nutzlast frei in einer Parabel bis zu einer Spitzenhöhe von 250 Kilometern und kehrt dann wieder zurück. Sobald wir in der Atmosphäre sind, wird ein Fallschirm ausgelöst, der die Nutzlast wohlbehalten wieder nach unten bringt. Für die größere Maxus-Rakete werden wir 720 Kilometer Gipfelhöhe erreichen. Und das reicht dann für 12 bis 13 Minuten Schwerelosigkeit."

    Die Raketen fliegen sehr steile Kurven, wie ein fast senkrecht nach oben geworfener Stein. Sie gelangen weit hinaus aus der Erdatmosphäre in den Weltraum. Die Experimentierkapseln landen schließlich nur etwa 80 Kilometer von Esrange entfernt. Ein Helikopter spürt sie in der verschneiten Landschaft auf und bringt sie zurück zum Startplatz.

    Seit 30 Jahren schicken das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt DLR und die europäische Raumfahrtagentur Esa die Forschungsraketen ins All. Über 80 Mal sind Texus und Maxus bereits gestartet, für jeweils drei Millionen Euro. Wissenschaftler der TU Darmstadt erforschen gerade, ob sich Computer-Prozessoren mit Spray effektiver kühlen lassen als mit Luft. Und bei einem der beiden Flüge in diesem Winter sind sogar "Passagiere" an Bord. Schütte:

    "Dann haben wir noch ein ganz interessantes biologisches Experiment von der Universität Hohenheim. Wir fliegen nämlich 72 kleine Fische auf unserer Texus 45."

    Immer wieder leiden Astronauten im Weltraum unter Übelkeit, Kopfweh und Orientierungsschwierigkeiten – das musste auch die Crew der Raumfähre Atlantis erleben, die Columbus ins All gebracht hat. Vielleicht helfen die "fliegenden" Fische, so etwas künftig zu vermeiden.

    Schwimmen die Fische beim Ausflug ins All genauso wie auf der Erde? Oder schlagen sie gleichsam Purzelbäume, werden sie also weltraumkrank? Die Forscher vergleichen die Kapriolen der Fische mit der Form ihres Innenohrs. Vermutlich hängt es von der Ausprägung der Gleichgewichtskörperchen im Innenohr ab, ob ein Lebewesen raumkrank wird oder nicht. Ein solcher Befund ließe sich bei der Auswahl von Astronauten nutzen. Andreas Schütte:

    "Jeder Fisch hat seinen kleinen eigenen Tank. Auf diese Weise schwimmen sie getrennt. Man muss sich die Tankgröße vorstellen so ungefähr wie eine Filmdose von einem normalen Fotonegativfilm, ist transparent, so dass man durchgucken kann und wird von unten beleuchtet. Von oben gucken wir mit Kameras drauf. Auf diese Weise können wir dann das Schwimmverhalten der Fische beobachten."

    Fast alle Experimente, die mit den Texus- und Maxus-Raketen von Nordschweden aus ins All geschossen werden, haben vorher mit Tests im Bremer Fallturm begonnen – oder an Bord eines speziellen Flugzeugs...

    "My name is Gilles de Barsic. I am the captain of the airbus 300 microgravity, zero g airbus."

    Internationaler Flughafen Bordeaux-Mérignac. Auf einem abgelegenen Teil des Rollfeldes steht ein weißer Airbus 300. In dicken blauen Lettern prangt "Zero-G" auf dem Rumpf – die wissenschaftliche Bezeichnung für Schwerelosigkeit. Im Cockpit hat Gilles de Barsic das Sagen.

    "Dieses Flugzeug wird nur für Parabelflüge genutzt. Jeweils für 20 Sekunden fliegt es eine Parabel – ich sollte besser sagen: es fällt in einer Parabel. Während dieser Zeit erleben Besatzung und alle Gegenstände im Flugzeug Schwerelosigkeit."

    Im zentralen Teil des Flugzeugrumpfs gibt es keine Sitze, sondern eine gut gepolsterte etwa 15 Meter lange Kabine. In ihr tummeln sich die Wissenschaftler mit ihren Experimenten, wenn der Pilot den Airbus über der Biskaya in die Parabel steuert.

    "Two, one, pull-up, thirty, forty – injection."

    Bei 45 Grad Steigflug nimmt der Pilot plötzlich den Schub weg. Im Innern herrscht dann gespenstische Ruhe. Geräte und Menschen beginnen zu schweben. Nach dem ersten Schreck starten die mitfliegenden Wissenschaftler schnell ihre Arbeit – bevor nach 20 Sekunden die Schwerkraft wieder zuschlägt.

    Pro Messflug fliegen die Piloten meist 30 Parabeln nacheinander. Anders als bei Experimenten im Fallturm und mit den Texus- und Maxus-Raketen haben die Forscher hier den Vorteil, dass sie während des Messens eingreifen können.

    "We are looking out of the window here. Columbus is about half-way there. Awesome."

    Hierin ähneln sich Parabelflüge und Raumstation. Die Forscher selbst oder die Astronauten können bei Bedarf Versuchsbedingungen verändern oder auf Zwischenergebnisse und Pannen reagieren - Astronauten sind flexibler als Automaten. Doch auch in Zukunft wird ein Projekt nicht gleich im All beginnen. Die typische "Experimentkarriere" führt von ersten Tests während weniger Sekunden Forschungszeit am Fallturm über Parabelflüge zu den Texus- oder Maxus-Raketen.

    "Wow, look at Columbus!"

    "Isn't that neat?"

    Nach dem erfolgreichen Start von Columbus könnte jetzt der krönende Abschluss in der Umlaufbahn folgen.

    "Wir sind hier im Mittelgang von Columbus. Man sieht hier, dass man durchaus komfortabel leben kann. Es ist zwei Meter hoch und zwei Meter breit als Gang. Wir sehen links, rechts, oben und unten: alles Gerätschaften."

    Das zylinderförmige Bauteil in der großen Montagehalle bei EADS Astrium in Bremen sieht täuschend echt aus. Aber es ist doch nur ein Modell. Bis Mitte 2006 wurde hier am echten Columbus geschraubt. Keine Fenster, dafür jede Menge Einbauschränke, Computer und andere Laboreinrichtungen. Schweben kann ISS-Projektleiter Helmut Luttmann durch die Columbus-Attrappe natürlich nicht. Er steht auf dem Boden. Aber ansonsten ist alles wie im All.

    "Wir haben hier eine Anlage, die ist zur Zeit in der Station untergebracht, im Destiny-Modul. Das ist der Minus-80-Grad-Freezer. Drüben sehen wir eine Anlage, die Microgravity Science Glove Box. Die befindet sich auch zurzeit im US-Labor, die wird, wenn Columbus oben ist, zwei Monate später wieder in Columbus integriert. Also auch zurück zu den Quellen. Das ist eine Anlage, die schon seit sieben Jahren im Betrieb ist auf der Station."

    Columbus ist ein voll ausgestattetes Forschungslabor. Ob Handschuhkasten zum Hantieren mit gefährlichen Stoffen, Einrichtungen zum Experimentieren mit Flüssigkeiten, Tiefkühlschrank, Brutkammer oder demnächst ein Schmelzofen – in Columbus ist alles vorhanden. Das europäische Weltraumlabor soll mindestens zehn Jahre Spitzenforschung im All ermöglichen. Es ist modular aufgebaut. Einzelne Experimentschränke, jeder etwa so groß wie eine Telefonzelle, lassen sich problemlos herausnehmen und ersetzen, durch neue Experimente, die ein Space Shuttle oder Europas künftiges Transportfahrzeug ATV anliefern sollen.

    "Wir sehen hier, dass verschiedene Schränke dort eingeschoben werden können. Das ist keine disziplinorientierte Anlage, sondern eine, die unterschiedlich nutzbar ist. Die ersten Experimente, die für das Drawer Rack vorgesehen sind, sind Proteinkristallisationsexperimente. Die werden als zwei solche Einschübe in das System hineingegeben. Dann haben wir hier das Fluid Science Lab. Diese Anlage hat die Aufgabe, Experimente zu unterstützen im Bereich Flüssigkeitswissenschaften und Verbrennung."

    Nur in der Umlaufbahn herrscht wirklich für lange Zeit Schwerelosigkeit. Nur dort kann man Kristalle wachsen lassen oder aufwändigere materialwissenschaftliche Studien betreiben, auch wenn die Bedingungen nicht perfekt sind: Jedes Bahnmanöver, jeder Tritt eines Astronauten gegen eine Wand stört die Messbedingungen. Für viele Experimente ist eine kurzzeitige Störung aber unerheblich. Ein Forscher, der seine Experimente nur im All durchführen kann, ist Günter Ruyters. Von Haus aus Biologe leitet er nun die Abteilung Lebenswissenschaften beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Bonn.

    "Im Biolab geht es um ganz grundlegende Fragen, wie Zellen, Pflanzen, kleine Tiere oder auch Zellkulturen, wie diese Organismen Schwerkraft wahrnehmen und verarbeiten. Von den ganz anfänglichen Prozessen der Schwerkraftwahrnehmung über die Weiterleitung in den Zellen, in den Geweben bis zur Reaktion der Pflanze. Ganz einfach gesagt, woher die wissen, die Pflanzen, dass sie ihre Wurzeln zum Erdmittelpunkt wachsen lassen sollen und den Spross zum Licht, damit die Pflanze nachher Photosynthese machen kann."

    Wenn Columbus in wenigen Tagen voll in Betrieb ist, werden die Astronauten Pflanzensamen aussäen und Gartenpflege betreiben: Die Wahl fiel auf Ackerschmalwand, ein unscheinbares Blümchen, das auf der Erde fast überall wächst. Kameras werden ihr Wachstum aufzeichnen. Anschließend werden die Blumen getrocknet und später am Boden genauer untersucht. Ganz nebenher könnte dieses Experiment zeigen, ob sich Grünpflanzen bei weiten Weltraumreisen anbauen und als Nahrungsquelle nutzen lassen.

    "Go ahead Leo, we are here."

    "Houston and Munich. The European Columbus Laboratory Module is now part of the ISS."

    "Beautiful work."

    "We see a good bolting and that finishes our procedure."

    "We see the same on the ground. Nice job, Leo, to all involved."

    Seit knapp zwei Wochen ist Columbus Teil der Raumstation. Derzeit sind die drei Astronauten der ISS-Stammbesatzung dabei, alle Instrumente zu testen und Columbus komplett in Betrieb zu nehmen. Zur Erstausstattung gehören Experimente aus den Bereichen Biologie, Materialforschung und Geowissenschaften.

    So vielseitig nutzbar Columbus auch ist, es hat im Moment ein gravierendes Problem: Dem Labor mangelt es an noch Laboranten. Erst ab Mai 2009 sollen sechs Menschen dauerhaft auf der ISS im Einsatz sein. Zumindest bis Ende 2011. Was danach passiert, ist noch unklar. Die drei Astronauten, die derzeit die ISS bewohnen, haben allein mit den Wartungsarbeiten des himmlischen Außenpostens alle Hände voll zu tun. Für Experimente in Columbus bleibt da nicht viel Zeit. Der deutsche Astronaut Thomas Reiter hat während seines fast sechsmonatigen Aufenthalts auf der Raumstation im Jahr 2006 gerade mal 140 Stunden wissenschaftlich arbeiten können. So lässt sich mit der Forschung im All, die gerade in Deutschland offiziell immer wieder als Hauptziel der bemannten Raumfahrt gilt, ein Projekt wie die ISS sicher nicht rechtfertigen.

    "No, no! Manned space flight is not only for microgravity. I think, we can do microgravity experiments without manned space flight."

    Nein, nein, die bemannte Raumfahrt werde nicht nur für Experimente in der Schwerelosigkeit betrieben, betont der Chef der Europäischen Raumfahrtagentur Esa Jean-Jacques Dordain. Diese Forschung könne man auch ohne Menschen im All mit automatischen Satelliten durchführen. Mit Astronauten geht es zwar einfacher, aber dafür gäbe man nicht die zig Milliarden Dollar aus, die die ISS kostet. Da muss es schon andere Gründe geben, betont Jean-Jacques Dordain, der in diesem Punkt viel offener ist als mancher Raumfahrtmanager in Deutschland.

    "Bemannte Raumfahrt geht viel weiter - ich würde sogar sagen, da gibt es viele Aspekte jenseits des Weltraums. Für mich gehört bemannte Raumfahrt viel mehr zur Geschichte der Menschheit als zur Geschichte des Weltraums. Die Menschheit hat schon immer versucht, dorthin zu gelangen, wohin sie mit ihrer Technologie gehen konnte. Als man reiten konnte, hat man Kontinente durchquert. Als man Schiffe bauen konnte, hat man Ozeane überquert. Als man fliegen konnte, ist man geflogen. Jetzt dringen wir in den Weltraum vor. Da geht es nicht allein um Wissenschaft im All oder den Weltraum, ganz sicher nicht."

    Auch wenn die Raumstation keineswegs nur ein fliegendes Forschungslabor ist, sollen die Astronauten in Columbus viele Experimente durchführen. Auf der Raumstation forschen vor allem Universitäts- und andere öffentlich finanzierte Institute. Die kommerzielle Forschung im All, mit der früher immer geworben wurde, lässt noch auf sich warten. Bisher begeistern sich für Columbus vor allem die Firmen, die es gebaut haben - wirklich nutzen will es kaum ein Unternehmen.

    "Ich bin sicher, dass Unternehmer die Raumstation kommerziell nutzen werden. Die Kommerzialisierung kommt, aber jetzt noch nicht."

    Esa-Chef Dordain mahnt zur Geduld. Ihn überrasche die bisherige Zurückhaltung der Firmen nicht. Erst müsse Columbus problemlos in Betrieb sein. Dann würden auch private Firmen kommen und Geld in die himmlische Forschung investieren.

    Man darf gespannt sein, ob auf Columbus jemals kommerzielle Forschung in großem Stil betrieben wird. Europa hat ohnehin nicht den vollen Zugriff auf das Weltraumlabor. Zwar wird die Esa dank Columbus jetzt zum vollen Partner der Raumstation mit einem Anteil von immerhin 8,3 Prozent. Aber als Ausgleich für den Mitflug im Shuttle und den Transport von Esa-Astronauten ins All steht der Nasa die Hälfte der Nutzung an Columbus zu. Was die USA in ihrem Teil von Columbus machen werden, hat US-Präsident George W. Bush schon im Januar 2004 klargemacht, bei der Verkündung seiner "Vision zur Weltraumerkundung":

    "Wir werden unsere künftige Forschung auf der Raumstation auf die langfristigen Effekte eines Weltraumaufenthalts auf den menschlichen Körper konzentrieren. Kosmische Strahlung und Schwerelosigkeit sind Gefahren für die menschliche Gesundheit. Wir müssen über diese Effekte viel mehr lernen, bevor wir zu monatelangen Reisen durch die leeren Weiten des Weltraums aufbrechen."

    Die Nasa hat sich de facto von der allgemeinen Forschung in der Schwerelosigkeit verabschiedet - und damit das früher stets als so gewichtig geltende Argument von der fliegenden Forschungsplattform fallen lassen. Der größte Partner der Internationalen Raumstation blickt längst über die ISS hinaus Richtung Mond und Mars. Europa aber setzt weiter auf die Grundlagenforschung im All und auf die Kreativität der Wissenschaftler.

    "Let's start to use Columbus and let's start to widely open Columbus to all scientists of the world ready to use the unique environment of space.”"

    Columbus stehe jetzt allen Forschern offen, sagt Esa-Chef Dordain, die sich auf die einzigartigen Bedingungen im Weltraum einlassen. Nun soll im großen Stil fortgesetzt werden, was bisher nur gelegentlich bei kurzen Missionen möglich war: Forscher züchten Proteinkristalle zur Entwicklung von Medikamenten, experimentieren mit Metallschmelzen, um die Herstellungsprozesse auf der Erde zu optimieren oder sie bauen bessere Treibstofftanks für Satelliten. Dordain:

    ""Christoph Columbus hat eine neue Welt entdeckt. Und nun entdeckt auch die Esa mit Columbus eine völlig neue Welt."

    Die Forscher stehen in der Pflicht - Ausreden gibt es keine mehr. Die nächsten Jahre werden zeigen, ob das Experimentieren in der Welt der Schwerelosigkeit wirklich so viel an Erkenntnis bringt, wie immer versprochen wurde.