Prozess gegen Kik

Freiwillige Maßnahmen reichen nicht

Ein pakistanischer Helfer steht in der ausgebrannten Textilfabrik in Karachi, Pakistan, am Tag nach der Brandkatastrophe.
Ein pakistanischer Helfer steht in der ausgebrannten Textilfabrik in Karachi, Pakistan, am Tag nach der Brandkatastrophe. © imago/Xinhua
Miriam Saage-Maaß im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 28.11.2018
258 Menschen kamen im September 2012 bei einem Brand in einer Textilfabrik im pakistanischen Karatschi ums Leben. Hauptkunde der Firma: Kik. Vier mutige Opfer und Angehörige haben den Textildiscounter verklagt – am Donnerstag beginnt der Prozess.
Liane von Billerbeck: 258 Tote, Dutzende Verletzte – das war die Bilanz des Fabrikbrands bei Ali Enterprises im September 2012 im pakistanischen Karatschi. Hauptkunde der Fabrik: das deutsche Textilunternehmen Kik. Ab morgen wird deshalb die Zivilklage von vier Pakistanern vor dem Dortmunder Landgericht gegen Kik verhandelt. Schon heute aber findet aus diesem Anlass an der Ruhr-Uni Bochum ein Symposium statt, und da wird diskutiert über die meist miserablen Zustände in den Textilfabriken, über die Betriebe, aus denen unsere Hosen, Hemden und Schuhe eben kommen.
Die Rechtsanwältin und Völkerrechtlerin Miriam Saage-Maaß vom Europäischen Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte kennt die Lage in diesen Betrieben, unterstützt Überlebende und Hinterbliebene bei ihren Klagen auf Schadensersatz in Deutschland. Sie ist beim Symposium dabei und jetzt am Telefon. Frau Saage-Maaß, schönen guten Morgen!
Miriam Saage-Maaß: Guten Morgen!

"Eine ganz starke und mutige Frau"

Billerbeck: Wir haben bereits im März 2015 mit Ihnen gesprochen, da wurde die Klage vor dem Landgericht gerade eingereicht und Sie mussten, man merkt es am Datum, Sie und die Betroffenen einen langen Atem haben. Wie groß waren denn damals Ihre Zweifel, dass der Fall überhaupt verhandelt wird?
Saage-Maaß: Ich kenne die Klägerin und die anderen Betroffenen aus Pakistan seit Anfang 2013, und es war von Anfang an klar, dass ihr Fall einfach ein unglaublich starker Fall ist und dass der emblematisch ist für die schlechten Arbeitsbedingungen in Südasien. Gleichzeitig ist uns auch klar, dass der Fall unglaublich innovativ ist und dass die deutsche Justiz konservativ ist. Insofern haben wir sehr gehofft, dass es so weit kommen wird, und ich bin jetzt in der Tat auch sehr froh, dass jetzt heute die Kläger dann in Dortmund sind und morgen beim Gericht sein werden.
Miriam Saage-Maaß, Programmdirektorin für Wirtschaft und Menschenrechte beim European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR).
Miriam Saage-Maaß, Programmdirektorin für Wirtschaft und Menschenrechte beim European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR).© picture alliance / dpa / Wolfgang Kumm
Billerbeck: Wer sind diese vier Klägerinnen eigentlich? Sind die besonders mutig?
Saage-Maaß: Ja, das ist zum einen die Saeeda Khatoon, das ist eine Witwe, die ihren einzigen Sohn verloren hat bei dem Brand. Das ist so eine ganz starke und mutige Frau, die natürlich zunächst einmal ihr ein und alles verloren hat, und jetzt aber entschlossen ist, dafür zu kämpfen, dass solche Fabrikbrände sich nicht wiederholen und Menschen nicht durch ähnliche Schicksalsschläge gehen müssen wie sie.
Da ist ein junger Arbeiter, der Mohammed Haniz, der eine schwere Rauchvergiftung erlitten hat und der jetzt natürlich weiterhin jetzt wieder in einer Textilfabrik arbeitet, aber auch der sagt, er möchte sich dafür einsetzen, dass die Arbeitsbedingungen besser werden. Und es sind zwei Väter, die jeweils auch ihre Söhne verloren haben, und auch die sagen, das soll so nicht wieder passieren.

Was die Konsumenten tun können

Billerbeck: Sie kennen die Umstände in pakistanischen Textilbetrieben, wissen auch um die Abhängigkeiten und Strukturen der Textilbranche. Was kann da ein Symposium bewirken wie heute an der Ruhr-Uni Bochum?
Saage-Maaß: Also zum einen ist es uns wichtig, dass wir hier, auch noch sechs Jahre nach dieser schlimmen Brandkatastrophe in Pakistan und dem Fabrikeinsturz in Bangladesch bei Rana Plaza, dass wir uns immer noch mit der Frage auseinandersetzen: Wie hängt unsere Verantwortung hier in Europa als Konsumentinnen und Konsumenten, aber auch als Bürgerinnen und Bürger, zusammen mit den ausbeuterischen Verhältnissen in Südasien?
Dass wir nach wie vor diese Debatte führen und uns Gedanken darüber machen, was muss sich verändern, sowohl in der Kooperation zwischen lokalen Gewerkschaften und Gewerkschaften hier, aber auch anderen Bewegungen hier in Europa, als auch, was muss rechtlich sich verbessern, wofür müssen wir uns einsetzen. Und dann auch natürlich die Frage zu klären, was können wir als Konsumentinnen und Konsumenten tun.
Billerbeck: Da kann ich gleich meinen Eindruck schildern: Gestern Nachmittag, Berlin Alexanderplatz, da konnte man die Trägerinnen von Papiertüten mit Primark, H&M oder Kik gar nicht übersehen. Haben Sie denn den Eindruck, dass sich da irgendetwas verändert hat am Verhalten der Verbraucher so viele Jahre nach dem Brand in Pakistan und auch nach dem Einsturz der Fabrik in Bangladesch?

Hier ist die Politik und nicht der Markt gefragt

Saage-Maaß: Ich glaube, alle Studien, die es so gibt, belegen, dass sich am Einkaufsverhalten nichts ändert oder sehr wenig nur verändert hat. Ich denke, im öffentlichen Diskurs hat sich etwas verändert. Ich glaube, bis heute sprechen und beschäftigt das auch Menschen, mit denen ich so spreche, immer noch, dass es nicht in Ordnung ist, dass Menschen sterben müssen für ihren Konsum. Ich glaube, das will niemand, dann im Konsumverhalten verändert sich aber wenig.
Und aber auch darum ist gerade jetzt eben die Politik gefragt. Also einfach nur zu sagen, der Markt würde das regeln und wenn die Verbraucherinnen etwas anderes wollen würden, würden wir besser produzieren, halte ich auch für eine ganz schlechte Ausrede.
Ein pakistanischer Polizist steht vor der ausgebrannten Textilfabrik in Karachi, in der bei einem Feuer im September 2012 fast 290 Menschen ums Leben kamen.
Ein pakistanischer Polizist steht vor der ausgebrannten Textilfabrik in Karachi, in der bei einem Feuer im September 2012 fast 290 Menschen ums Leben kamen.© AFP PHOTO / Asif Hassan
Billerbeck: Klingt auch ein bisschen zynisch, ehrlich gesagt, wenn man sich die Fälle von Toten und Verletzten in Erinnerung ruft. Nun sind sechs Jahre seit diesem Brand in der pakistanischen Textilfabrik vergangen, Sie haben über die Verbraucherinnen gesprochen und über die Politik. Was hat sich denn eigentlich bei den Auftraggebern, bei den Textilunternehmen geändert?
Saage-Maaß: Man kann wohl sagen, dass es einige Unternehmen gibt, die in der Tat sich bemühen, ihre Einkaufspraxen zu verbessern, die versuchen, bessere Projekte, bessere Sozialaudits zu machen. Da gibt es ja unter anderem auch das Textilbündnis. Aber natürlich reicht das alles bei weitem nicht und vor allem ist das alles freiwillig. Das heißt, Unternehmen können das tun, müssen das aber nicht tun. Darum ist es unbedingt notwendig, dass wir gesetzliche und verbindliche Regelungen hier bekommen.

Die Arbeiter müssen sich organisieren

Billerbeck: Was müsste da drinstehen?
Saage-Maaß: Da müsste festgehalten sein, dass zunächst einmal Unternehmen, die in Zulieferfabriken einkaufen mit schlechten Arbeitsbedingungen, alles das tun müssen, was sie können, damit sich die Arbeitsbedingungen in den Zulieferfabriken verbessern. Sie müssten natürlich dafür sorgen, dass sie andere Preise zahlen, dass Mindestlöhne gezahlt werden können, sie müssten alles dafür tun, dass Gewerkschaften in diesen Fabriken zugelassen werden, dass Arbeiterinnen und Arbeiter sich organisieren können und in der Lage sind, auch Forderungen gegenüber ihrem direkten Arbeitgeber zu stellen und durchzusetzen.
Billerbeck: Forderungen waren das, formuliert von der Rechtsanwältin und Völkerrechtlerin Miriam Saage-Maaß vom Europäischen Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Frau Maaß!
Saage-Maaß: Ja, vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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