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Vogelschlag bei Flugzeugen
Die Federforscher

Der Zusammenstoß eines Flugzeugs mit einem Vogelschwarm endet für die Vögel fast immer tödlich. Für die Flieger wird es problematisch, wenn zu große oder zu viele Vögel in die Triebwerke geraten. Um solche Situationen zu verhindern, registrieren amerikanische Behörden Zusammenstöße zwischen Vogel und Maschine und lassen die Tiere identifizieren.

Von Joachim Budde | 08.05.2017
    Ein Staren-Schwarm wird am 16.08.2016 am Flughafen von Frankfurt am Main (Hessen) auf einem Grünstreifen zwischen den Start- und Landebahnen aufgescheucht. Das Wildlife Control Team am Flughafen unter anderem dafür da, Vögel zu verscheuchen, die Flugzeugen gefährlich können - vergrämen heißt das im Fachjargon.
    Vögel und Flugzeuge – diese beiden sollten sich nicht zu nahe kommen. (dpa / Arne Dedert)
    Für Jim Whatton beginnt der Arbeitstag damit, die Post zu öffnen. Doch wo andere lediglich Briefe aus den Umschlägen ziehen, findet der Ornithologe vom Nationalen Naturkundemuseum der USA kleine Plastiktüten mit Überresten von Vögeln.
    "Wir machen einen Stapel mit Überresten, die wir anhand ausgestopfter Tiere in unserer Sammlung identifizieren, und einen, bei denen wir den DNA-Fingerabdruck verwenden müssen."
    9.000 solcher Briefe kommen jedes Jahr im Feather Identification Lab in Washington, D.C. an. Viele aus den USA, aber auch von Militärbasen rund um den Globus schicken Flughafenmitarbeiter das, was von den Vögeln nach einer Kollision mit einem Flugzeug übrig geblieben ist. Das ist oft nur sehr wenig, wie der Brief von der Airforce-Basis in Dover im Bundesstaat Delaware zeigt.
    Zu wenig Federn, um den Vogel daran zu identifizieren
    "Auf diesem Blatt stehen Datum, Ort, Zeit und wo der Vogel das Flugzeug getroffen hat. Dieser hier bei Triebwerk Nummer drei. Und dann ist hier ein kleiner Plastikbeutel mit Federstückchen und ein bisschen Watte."
    Zu wenig Federn, um den Vogel daran zu identifizieren. Der Brief kommt auf den DNA-Stapel.
    Viele Briefe enthalten lediglich Wattekissen mit ein bisschen schwarzem Schmier, den Techniker vom Flugzeug gewischt haben. Snarge haben Jim Whatton und seine Kollegen den ganz lautmalerisch getauft.
    "Das Wort ist eine Kombination aus 'Rotz' und 'Überresten'. Wir analysieren ihn per DNA-Barcoding."
    Beim DNA-Barcoding bestimmen Molekularbiologen eine Tierart anhand einzelner Gene, die für diese eine Art typisch sind. Auf diese Weise bearbeiten Jim Whatton und seine Kollegen die meisten Proben.
    Schneller geht es, wenn die Federforscher gute Proben bekommen
    Es gibt Fälle, in denen nicht einmal mehr das funktioniert. Dann schauen sie sich die Federn unter dem Mikroskop an, eine Methode, die die Gründerin des Feather Identification Labs Roxie Laybourne entwickelt hat.
    "Sie hat erforscht, wie wir Vogelgruppen mithilfe der flaumigen Mikrostruktur der Feder-Reste eingrenzen können. Wir sind das einzige Labor auf der Welt, dass Vögel nach Kollisionen auf diese Weise identifiziert."
    Doch das sind die schwierigen Fälle. Schneller geht es, wenn die Federforscher gute Proben bekommen.
    "Ein Vogelschlag aus Connecticut mit richtig schönem Federnmaterial. Das vergleichen wir mit Exemplaren aus unserer Sammlung, und die Leute kriegen ihre Identifizierung noch heute."
    Für die Flugzeuge und die Passagiere geht Vogelschlag meist glimpflich aus. Die Triebwerke moderner Maschinen können zwei Kilogramm Vogelkörper verkraften, große Jets sogar vier Kilogramm. Doch diese Grenze ist schnell überschritten, wenn ein Flugzeug in einen Starenschwarm gerät oder Geier oder Gänse ihm in die Quere kommen.
    "Triebwerk- und Flugzeughersteller nutzen unsere Daten, um ihre Maschinen zu verbessern. Beim F-16 Kampfjet zum Beispiel wurde das Kabinendach umgestaltet, um die Gefahr von Vogelschlag zu verringern."
    Die Sammlung umfasst mehr als 600.000 Exemplare
    Jim Whatton geht ein paar Gänge entlang in einen riesigen Raum. Tausende Vogelbälge lagern in hüfthohen Schränken. Die schmutzig-weißen Quader sind in drei Etagen übereinandergestapelt und teilen den Saal in Gänge.
    Der Vogelkundler breitet die Federn aus der Post auf einem großen Tisch aus und schaltet die Tageslichtleuchten ein. Bei dem Vogel aus Connecticut hat er bereits eine Idee. Er steigt eine Rollleiter hinauf, öffnet einen der oberen Blechschränke und bringt eine Lade mit etwa einem Dutzend Vögeln an den Tisch.
    "Direkt neben dem Tisch halten wir eine Reihe der üblichen Verdächtigen griffbereit, zum Beispiel diese Tauben. Die grauen Federn aus dem Brief passen perfekt zum Schwanz dieser Trauertaube hier. Und die kleinen Purpur schimmernden finden wir hier am Bauch und sogar einige der winzigen rosa Federn. Das genügt uns. Wenn mehrere Federn passen, wissen wir: Es kann nur dieser Vogel sein."
    Das war ein einfacher Fall. Doch auch bei exotischeren Federn findet Jim Whatton so gut wie immer den Vogel, zu dem sie gehören.
    "Die Sammlung umfasst mehr als 600.000 Exemplare und deckt 80 Prozent der Vogelarten der Welt ab. Wo auch immer ein Vogel ein Flugzeug trifft, wir haben ihn wahrscheinlich in unserer Sammlung."