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Vokalmusik von Jenö Hubay und Luigi Nono

Am Mikrofon Frank Kämpfer. Ich stelle Ihnen heute drei Neuerscheinungen mit Vokalmusik vor. Dabei erklingen Lieder von Jenö Hubay, Luigi Nono sowie Folksongs aus Slowenien und Kärnten.

Von Frank Kämpfer | 02.07.2006
    * Musikbeispiel: traditionell - "Gora ta Banerina"

    Der Berg ist für Fußgänger hoch - wer ihn bezwingt, wird mit Blicken auf eine Steinwelt belohnt, die ins Unendliche gehen und wo sich das Echo verliert …

    Die ambivalente Liebeserklärung auf den Zweieinhalbtausender Kanin im östlichen Resia-Tal stammt aus dem Friaul, wo die slowenisch-italienisch-österreichischen Grenzen bis ins letzte Jahrhundert stets wechselnde waren. In dieser Region hat sich eine alte Form zweistimmigen Singens erhalten, bei dem die Begleitstimme stets eine Tonhöhe wahrt und bordunhafte Klänge erzeugt. Ob "Gora ta Banerina" ursprünglich ein Frauenlied war, ist nicht belegt - das slowenische Kvartet VITA-Ensemble bringt es in jedem Fall sehr volkstümlich dar: ohne Noten, mit glottaler Technik, ungekünstelt, unverbraucht.

    Gut die Hälfte aller Titel der höchst abwechslungsreichen CD mit traditionellen Gesängen interpretiert das junge Damenquartett. Kvartet VITA existiert seit fünf Jahren, die Mitglieder kennen sich vom Studium in Maribor und sangen anfangs Kirchenmusik und slowenische Lieder. Die nun für die Platte gewählten Titel entstammen mehrstimmigen Notenausgaben, die mündliche Überlieferung aus allen Teilen Sloweniens dokumentieren. - Der österreichische Part der CD konzentriert sich ausschließlich auf Kärnten. Auswahl und Ausführung übernimmt hier das Männerquartett schnittpunktvokal. Deren Titelauswahl resultiert aus älteren Sammlungen, bietet einige Highlights aktueller Feldforschungsarbeit und bewegt sich hauptsächlich im Mundartbereich. - Die alternierende Dramaturgie der CD, die slowenischen Damen und die Herren aus Kärnten einander abwechselnd, drei Mal auch gemeinsam singen zu lassen, ist kalkuliert: enge Nachbarschaft, fast Verwandtschaft, ja ein Ineinanderverschränktsein zweier sich naher Kulturen in einem Kulturraum wird so deutlich gemacht. - Die insgesamt 27 Miniaturen der Produktion entstammen dem Jahres- und Lebenskreis, streifen berufliches Brauchtum, Werbe- und Abschiedslied. Vereinzelte Titel wie Bruno Strobls "Fia mei slowenische Freindin" sind komponiert und bieten ‚Kärtner Stimmung’ in charakteristischer Art:

    * Musikbeispiel: B. Strobl - "Fia mei slowenische Freindin"

    "Fia mei slowenische Freindin" - ein Kärtner Lied, dargeboten vom Ensemble schnittpunktvokal. Das österreichische Männerquartett um die Gebrüder Paumgarten und das slowenische Quartet VITA um die Schwestern Čremožnik bieten auf ihrer neuen Platte a capella-Gesänge aus Slowenien und Kärnten. Erschienen ist diese Surround-Produktion bei cpo.

    Die folgende musikalische Handschrift weist nach Budapest und zugleich nach Paris und Berlin. In diesen drei Metropolen jedenfalls hat Eugen von Huber (ungarisch: Jenö Hubay; 1858-1937) gewirkt. In Berlin hatte er bei Joseph Joachim Violine studiert, nach Paris empfahl ihn Franz Liszt - in seiner Geburtstadt Budapest gründete er die ungarische Geigenschule und war Leiter der Musikakademie. Hubays kompositorisches Erbe - Opern, Sinfonik, Chorwerke und Lieder - ist in Westeuropa heute wenig bekannt. Um so verdienstvoller ist es, dass sich das Budapester Label Hungaroton seit längerer Zeit um Hubajs Oeuvre bemüht. Jetzt erschienen Lieder des Komponisten. Die Ende vergangenen Jahres eingespielte CD bietet fünf Liedzyklen, die verschiedenste Lebensstationen des Ungarn dokumentieren. Die Fünf Lieder op. 8 nach Dichtern der deutschen Romantik sind auf 1876 datiert und entstanden zum Teil noch in Berlin; es sind wirkungsvolle Miniaturen, die sich aus gängigem Kunst- und Volksliedgut speisen. Zwei Zyklen op. 17 und op. 23 hingegen sind textlich wie musikalisch nach Paris orientiert und enthalten dezente Anklänge an den französischen Impressionismus. Die letzten zwei Zyklen entstanden in Budapest.

    Die Lieder op. 36 sind biographisch gefärbt - Hubay komponierte hier Verse seiner Verlobten Róza Cebrian. Die Titel sind effektvoll gebaut, man ahnt den Adels-Salon als Aufführungsort - wobei offenkundig alles Ungarische fehlt. Ein Beispiel: die Nr. 3 "Lass mich in Dein Auge blicken". - Mezzosopranistin Andrea Meláth, sonst spezialisiert auf modernere Klänge, kann sich voll entfalten.

    * Musikbeispiel: J. Hubay - "Lass mich in Dein Auge blicken", op. 36,3

    Andrea Meláth (Mezzosopran) und Emese Virág (Klavier) erinnern an
    die Lied-Kompositionen von Jenö Hubay. Unterstützt werden sie auf der neuen, beim Budapest Label Hungaroton erschienen CD von András Molnár (Tenor) und Gábor Bretz (Bass).

    Vokalmusik besonderer Art versammelt die für heute dritte und letzte CD, die ich Ihnen anspielen will. Es ist ein betont leises Album und es bündelt mit Wagner, Nono und Richard Strauss drei Komponisten, deren Oeuvre und musikalische Sprachen auf den ersten Blick hin höchst gegenläufig erscheinen. Intensität und Leidenserfahrung der Liebe - ist das übergeordnete Thema, zu dem das Programm zusammengestellt ist. Es enthält zwei Nummern aus Richard Strauss’ Chorliedern op. 34, die auf das Jahr 1897 datiert sind - es bietet andererseits zwei Titel aus den Wesendonk-Liedern von Richard Wagner, die 1857 als Tristan-Studien entstanden und die Clytus Gottwald hier für 16stimmigen a cappella-Chor arrangiert hat - und es birgt Gesänge Luigi Nonos, deren Konstruktion dezidiert die der Avantgarde der 50er/60er Jahre ist. Zweifellos erwächst der Reiz des Albums aus der Konfrontation der musikalischen Sprachen: Strauss schafft spätromantische Tongemälde, Wagner sucht nach einer idealen Verbindung von Wort und Musik, für Nono ist Sprache Klangmaterial, dessen phonetische Qualität ihn interessiert. Das von Marcus Creed dirigierte Vokalensemble des SWR Stuttgart bringt alle drei Texturen beredt und klangschön zur Wirkung - die im Herbst 2004 produzierten Aufnahmen erreichen höchstes Niveau.
    Als Klangbeispiel von dieser CD hier ein Frühwerk Nonos. Und zwar das "Liebeslied" für gemischten Chor und Instrumente, das der italienische Serialist nach seiner ersten Begegnung mit Schönbergs Tochter Nuria, seiner späteren Frau komponierte: die Liebeserklärung ist in deutscher Sprache verfasst, klanglich überlagern sich Spuren von Tradition und Avantgarde.
    * Musikbeispiel: Luigi Nono - Liebeslied

    Luigi Nono, "Liebeslied" - hier dargeboten vom SWR-Vokalensemble aus Stuttgart und Les Percussions de Strasbourg unter der Leitung von Markus Creed. Der Titel findet sich auf einer CD mit a cappella-Musik von Nono, Wagner und Strauss, die bei hänssler Classic erschienen ist.

    27 Volkslieder aus Österreich und Slowenien
    Ensembles: Kvartet VITA
    schnittpunktvokal
    Label: cpo
    Labelcode: LC 8492
    Bestellnr.: 777168-2

    Jenö Hubay - Lieder
    Solisten: Andrea Meláth, Mezzosopran
    Emese Virág, Klavier
    Label: Hungaroton
    Labelcode: LC 8492
    Bestellnr.: HCD 32374

    "Strauss - Nono - Wagner"
    Chor: SWR-Vokalensemble Stuttgart
    Orchester: Les Percussions de Strasbourg
    Leitung: Markus Creed
    Label: Hänssler Classic
    Labelcode: LC 06047
    Bestellnr.: CD 93.179