Donnerstag, 28. März 2024

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Volker Beck
"Niemand darf mit seiner Anschauung dem anderen auf den Wecker gehen"

Volker Beck, der religionspolitische Sprecher der Grünen, fordert eine Rechtsordnung, in der alle Religionsgemeinschaften und Atheisten gleichermaßen respektiert werden. Zum Beispiel gehörten Paragrafen zu Gotteslästerung und Majestätsbeleidigung nicht mehr ins 21. Jahrhundert, sagt er im DLF. Und dass der Papst ein Grüner ist, glaube er nicht.

Volker Beck im Gespräch mit Susanne Fritz | 09.05.2016
    Der Grünen-Politiker Volker Beck am 13. April 2016 in Berlin
    Der Grünen-Politiker Volker Beck am 13. April 2016 in Berlin (dpa / picture-alliance / Kay Nietfeld)
    Susanne Fritz: Deutschland hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg sehr verändert. Aus der Bundesrepublik ist durch Individualisierung und Einwanderung ein weltanschaulich und religiös vielfältiges Land geworden. Neben Christen und Juden prägen auch Muslime und Atheisten die deutsche Gesellschaft. Vor diesem Hintergrund entstehen Diskussionen um das Verhältnis des Staates zur Religion und um Religionsfreiheit. Der Münsteraner Politikwissenschaftler Ulrich Willems hat hier in unserer Sendung kritisiert, dass die Religionspolitik in Deutschland vernachlässigt werde. Seiner Ansicht nach beschäftigt sich die Politik zu wenig mit der Frage, wie ein religiös-plurales Deutschland in der Zukunft aussehen sollte. Am Telefon spreche ich darüber jetzt mit Volker Beck, religionspolitischer Sprecher der Grünen. Guten Morgen Herr Beck.
    Volker Beck: Guten Morgen.
    Fritz: Gibt es überhaupt Religionspolitik in Deutschland oder überlässt die Politik den Bereich der Religion den Gerichten, die dann von Fall zu Fall entscheiden?
    Beck: Überwiegend haben Sie Recht, obwohl sich bei bestimmten Fragen die Politik oder zumindest der Staat sich gar nicht aus der Verantwortung stehlen kann, weil er die Entscheidung zu treffen hat. Die Entscheidung zum Beispiel über die Anerkennung von Religionsgemeinschaften, die bekenntnisförmigen Religionsunterricht geben dürfen, oder die Anerkennung von Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts. Da gibt es Diskussionen über die Frage, wie wir mit dem Islam umgehen und mit den islamischen Verbänden.
    "In Deutschland gibt es eine wachsende Zahl von bekenntnisfreien Menschen"
    Fritz: Aber sind die Parteien insgesamt zu defensiv?
    Beck: Ja, man will eigentlich an der Situation nicht rühren und merkt aber, dass es in der Gesellschaft schon Nachfragen gibt, ob die tatsächlichen Verhältnisse heute zu der Situation passen, dass eben in Deutschland eine wachsende Zahl von bekenntnisfreien Menschen gibt und dass es durch die Einwanderung von Muslimen auch eine neue Weltreligion in zahlenmäßig beachtlicher Stärke in Deutschland gibt. Dem tragen wir, wenn wir uns zum Beispiel die Wohlfahrtslandschaft anschauen mit dem kirchlichen Arbeitsrecht, zum Teil nicht wirklich Rechnung. Und in den Bundesländer gibt es eine lebhafte Diskussion über die Frage: Wollen wir muslimischen Kindern bekenntnisförmigen Religionsunterricht anbieten? Darauf haben sie eigentlich einen verfassungsrechtlichen Anspruch. Nordrhein-Westfalen ist da vorangeschritten mit einem Schulgesetz und hat gesagt, auch wenn wir gegenwärtig keine anerkannten islamischen Religionsgemeinschaften haben, wollen wir bei der religiösen Grundversorgung muslimische Kinder in unseren Schulen hier nicht zurückstecken und wollen auch den Religionsunterricht für Muslime aus den Hinterhöfen herausholen und in den staatlichen Kontext, in den verfassungsrechtlichen Rahmen des Grundgesetzes hineinholen.
    Fritz: Da gibt es viele Fragen, die noch offen sind. Jetzt haben die Grünen vor kurzem ein Grundsatzpapier zur Religion vorgelegt – erstellt von einer Kommission mit Muslimen, Konfessionslosen, und christlich geprägten Grünen. Sie selber waren auch Mitglied der Kommission. Wie soll es denn nach ihrem Verständnis aussehen – das religiös-plurale Deutschland?
    Beck: Wir hatten in der Kommission ein breites Meinungsspektrum von Leuten, die sagen, eigentlich brauchten wir auch verfassungsrechtlich eine stärkere Trennung von Staat und Kirche, wie wir das etwa in Frankreich haben, und von Leuten, die gesagt haben, eigentlich sei dieses kooperative Verhältnis von Staat und Religion gar nicht so schlecht für die Gesellschaft. Aber worüber wir uns am Ende einig waren, war, dass natürlich alle Gruppen in der Gesellschaft, die Agnostiker, Atheisten und eben auch die unterschiedlichen Gläubigen – Juden, Muslime, Christen, Hindus, Buddhisten, müssen alle die gleichen Möglichkeiten und den gleichen Respekt erfahren in unserer Rechtsordnung. Dafür ist unsere Verfassung eigentlich offen, unsere Verfassung will das sogar. Aber im Tatsächlichen gibt es Nachsteuerungsbedarf. Wir haben jetzt im Zusammenhang mit der Böhmermann-Diskussion über die Majestätsbeleidigung diskutiert. Es gibt auch noch Rudimente des alten Gotteslästerungsparagrafen. Das passt eigentlich nicht ins 21. Jahrhundert. Und wenn die kirchlichen Wohlfahrtseinrichtungen eine außerordentliche Bedeutung auf unserem sozialen Markt haben, dann kann es nicht sein, dass am Ende die kirchlichen Arbeitgeber in diesem Bereich für sich beanspruchen, bis ins Privatleben hinein die Loyalität ihrer Mitarbeiter verlangen, dass die nach der kirchlichen Lehre im privaten Leben sich verhalten müssen. Das passt nicht zu unserem modernen Verständnis des Respektes vor den Rechten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
    "Wir brauchen eine weltanschauliche Neutralität im staatlichen Raum"
    Fritz: Die Grünen wollen viel verändern, sie wollen Reformen. Sie wollen aber auch nicht, dass Religion Privatsache wird. Alle in Deutschland anerkannten Religionen sollen sich auf der Basis des Grundgesetzes gesellschaftlich einmischen, ihre Mitglieder sollen sich religiös soweit entfalten können wie nur möglich. Gleichzeitig sollen aber auch Konfessionslose, Atheisten und Agnostiker zu ihrem Recht auf religionsfreie Räume kommen, wenn ich Sie richtig verstanden habe. Das klingt wie die Quadratur des Kreises. Wie soll das funktionieren?
    Beck: Naja, die Grundlage ist eigentlich gegenseitiger Respekt. Niemand darf mit seiner Anschauung dem anderen auf den Wecker gehen und ihn bedrängen. Und das gilt einerseits für Menschen, die nicht glauben. Die dürfen nicht verlangen, dass sich Christen, Muslime und Juden aus dem öffentlichen Leben auch mit ihren Gemeinschaften zurückziehen, sondern müssen ertragen, dass da Menschen sich artikulieren, womöglich sogar für ihre Glaubensvorstellungen werben. Umgedreht dürfen aber religiöse Mehrheiten auch den anderen nicht ihre religiösen Vorstellungen aufzwingen oder sie damit bedrängen. Deshalb brauchen wir hier eine weltanschauliche Neutralität im staatlichen Raum und im zivilgesellschaftlichen Miteinander vielleicht etwas mehr Entspanntheit im gegenseitigen Umgang. Aber manche Sachen müssen einfach wirklich auf den Prüfstand. Wir haben mit den stillen Tagen, wo nicht getanzt werden darf, weil es christliche Feiertage sind in den Bundesländern ganz unterschiedliche Situationen. In manchen Bundesländern sind das zwei, drei Tage. In Baden-Württemberg ging das bis kurz vor der letzten Reform auf über 20 Tage. Das kann man mit dem Christentum nicht erklären. Und das kann man auch anderen Menschen, die mit diesen Tagen nicht den gleichen Bedeutungsinhalt verbinden, dauerhaft auch denen nicht aufdrängen.
    "Ich will den Papst nicht parteipolitisch vereinnahmen"
    Fritz: Gern würde ich noch eingehen auf die Rede des Papstes. Der Papst hat am Freitag den Aachener Karlspreis erhalten. Und hat in seiner Rede ein Plädoyer für einen "neuen europäischen Humanismus" gehalten. Er sagte, er träume von einem Europa, in dem Migrant zu sein, kein Verbrechen sei. Ist der Papst Ihrer Meinung nach ein grüner Papst, wenn er sich für Multikulti ausspricht?
    Beck: Erstens kann ich mit Multikulti nichts anfangen und will auch den Papst nicht parteipolitisch vereinnahmen. Aber ich finde, er hat die europäische Idee den Europäerinnen und Europäern noch mal gut ins Stammbuch geschrieben, dass einerseits Ökonomie nicht das erste ist, sondern das Friedensprojekt in Europa, und dass wir mehr europäische Integration brauchen, wenn wir hier den Frieden in Europa, von Europa aus in die Welt tragen wollen. Und dass er die Europäer auch ermahnt hat, mit Menschen, die zu uns kommen, weil sie Flüchtlinge sind oder Arbeitsmigranten, dass wir ihnen mit Respekt begegnen und dass wir sie zu allererst als Menschen wahrnehmen, die auch bestimmte Rechte haben, hat er – glaube ich noch mal die Politik und auch die öffentliche Meinung gewisser Weise aus seiner ethischen Position zum Nachdenken aufgerufen. Und ich hoffe, dass das einen Impuls gibt, um die europäische Idee noch mal in die Herzen der Menschen zu pflanzen und dass wir in diesem Sinne weitergehen – gerade in der Situation, wo viele ja Europa in Frage stellen und zurück zum Nationalstaat wollen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.