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Volksabstimmung
Luxemburger entscheiden über Wahlrecht für Ausländer

Von einem demokratischen Defizit sprechen die Arbeitgeber und Gewerkschaften in Luxemburg mit Blick auf das Wahlrecht in dem Großherzogtum. Denn rund 44 Prozent der Bevölkerung besitzen keinen luxemburgischen Pass und sind deshalb von den nationalen Wahlen ausgeschlossen. Per Referendum entscheiden am Sonntag 250.000 Luxemburger, ob sich das ändern soll.

Von Tonia Koch | 05.06.2015
    Die Wirtschaft hat diese Woche noch einmal in sämtlichen Zeitungen einen Aufruf gestartet, die Pläne für ein Ausländerwahlrecht zu unterstützen. Und auch die Ausländervereinigung ASTI, die den Neuankömmlingen in allen Lebenslagen zur Seite steht, trommelt, was das Zeug hält. Die Präsidentin der ASTI, Laura Zuccoli, Kind italienischer Einwanderer, hofft, dass sich die Luxemburger einen Ruck geben. "Wählen gehen ist in unseren Augen eine Form der Mitbestimmung, eine Bürgerbeteiligung."
    Es gehe darum, über Gesetze mitzubestimmen, die für alle gelten, für Inländer mit luxemburgischen Pass wie für Inländer ohne luxemburgischen Pass gleichermaßen. Mit Emotion, mit einem nationalen Zugehörigkeitsgefühl, einer Staatsbürgerschaft habe das nichts zu tun. Überdies seien 90 Prozent der Menschen, die von einem Ausländerwahlrecht künftig profitierten, ohnehin Europäer, so Zuccoli.
    "Die EU-Bürger fühlen sich wohl, die fühlen sich in Europa und die sehen nicht ein, warum ich einen Pass nehmen soll, da ich schon Europäer bin. Und da es ja leider noch keine europäische Staatsbürgerschaft gibt, die kommt bestimmt, wäre das der erste Schritt in die Richtung." Die Bevölkerung allerdings tut sich schwer mit dieser Argumentation.
    "Ich bin da eher geteilter Meinung, da wir auch noch eine andere Möglichkeit haben, den Ausländern das Wahlrecht zu geben, nämlich, dadurch dass sie die luxemburgische Nationalität annehmen können, haben sie ja eine Möglichkeit, das Wahlrecht zu erhalten. Wir brauchen die Ausländer. Ohne die Ausländer hätten wir das Wachstum nicht hier im Land. Aber es gibt Grundregeln und ich bin dagegen. Denn es geht ja auch anders. Sie können die Nationalität annehmen und behalten ihre, dann können sie wählen. Ich denke, dass die Leute, die hier leben, natürlich ein Recht dazu haben, mitbestimmen zu können, was politisch im Land geschieht, die eine gewisse Zeit hier gelebt haben, sich integriert haben, dass sie die Möglichkeit bekommen, das über eine Wahl zum Ausdruck zu bringen."
    Die Regierung hat Bedingungen an das Ausländerwahlrecht geknüpft. Nur wer sich bereits zehn Jahre im Land aufhält und sich schon einmal an Europa- und Kommunalwahlen beteiligt hat und damit sein grundsätzliches Interesse an politischen Zusammenhängen signalisiert hat, soll es bekommen. Der Opposition, allen voran den Christsozialen, ist das nicht genug. Die CSV lehnt das Ausländerwahlrecht ab, wohl wissend, dass diese Position durchaus für Irritationen sorgt und die Botschaft falsch verstanden werden könnte. Claude Wiseler, Fraktionschef der CSV: "Wir sagen zwar Nein, aber unser Nein ist ein Nein der offenen Tür, ist ein Nein des willkommen seins in Luxemburg. Wir möchten nicht, dass ihr das Wahlrecht bekommt aber wir möchten, dass ihr Luxemburger werdet."
    Die Christsozialen haben im Parlament einen eigenen Vorschlag eingebracht. Darin werden die Hürden absenkt, um die Staatsbürgerschaft zu erlangen. Die CSV setzt auf die doppelte Staatsbürgerschaft, die sich jedoch in Europa nicht flächendeckend durchgesetzt hat. Auch die Christsozialen wissen, dass in Luxemburg in nur wenigen Jahren eine Situation eintritt, in der die dauerhaft im Land leben Ausländer die Mehrheit stellen und die luxemburgische Bevölkerung in der Minderheit sein wird. Von einer ausreichenden Legitimation der politischen Strukturen, kann dann kaum mehr die Rede sein. Die Regierung, zusammengesetzt aus Liberalen, Sozialisten und Grünen, wird nicht müde, darauf hinzuweisen.
    Eugène Berger, Fraktionsvorsitzender der Liberalen in der Abgeordnetenkammer: "Die Frage ist, wie gestalten wir unsere Demokratie? Diese muss doch auf einem Mitspracherecht fußen. Und wenn nur noch 30 oder 40 Prozent der Bevölkerung über ein Parlament entscheiden, dann ist das ungesund."
    Das luxemburgische Referendum ist nicht bindend, die Regierung, die im kommenden Jahr eine Verfassungsreform auf den Weg bringen möchte, muss sich also nicht an das Votum ihrer Bürger halten. Die Bedenken seien jedoch unbegründet, die Regierung werde sich für den Fall, dass sich die Bevölkerung gegen ein Ausländerwahlrecht ausspricht, darüber hinwegsetzen, versichert Berger.
    "Das ist ein hundertprozentige Aussage der drei Koalitionsparteien, wir werden das Resultat hundertprozentig akzeptieren. 50 Prozent plus eine Stimme Ja zählt für uns, 50 Prozent plus eine Stimme Nein ist für uns auch eine Majorität für Nein und dann werden wir dementsprechend die Verfassung ändern oder nicht ändern." Interpretationsversuche in die eine oder andere Richtung werde es nicht geben.