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Zweiter Weltkrieg
Sinnlose Verteidigung und Zerstörung von Brest

Fallschirmjägergeneral Bernhard Ramcke, überzeugter Nationalsozialist, wollte die Atlantikfestung Brest im Zweiten Weltkrieg "bis zur letzten Patrone" verteidigen. Am 19. September 1944, vor 75 Jahren, kapitulierte er. Das Unterfangen kostete 10.000 deutsche Soldaten den Tod.

Von Bernd Ulrich | 19.09.2019
    Fallschirmjägergeneral Bernhard Ramcke (1889-1968), während seiner Gefangennahme durch US-Soldaten.
    Fallschirmjägergeneral Bernhard Ramcke (1889-1968), während seiner Gefangennahme durch US-Soldaten. (dpa / Usis-Dite/ Leemage)
    "Mit wenigen Städten ist das deutsch-französische Schicksal im 20. Jahrhundert enger verbunden als mit Brest. Nach dem Sieg der Deutschen im Juni 1940 sollte hier einer der größten Kriegsmarinehäfen des "germanischen Weltreiches" geschaffen werden - ein Albtraum für das geschlagene Frankreich."
    Der 2010 gestorbene Marine-Historiker Michael Salewski trifft den Nagel auf den Kopf: Die Hafenstadt am Atlantik nahm in den deutschen maritimen Großmachtfantasien eine Sonderrolle ein. Daran vermochte auch die erfolgreiche alliierte Invasion in der Normandie im Juni 1944 nichts zu ändern. Denn Brest war bereits seit Januar 1944 aufgrund eines von Hitler persönlich erteilten Befehls zur Festung ausgebaut worden.
    Die Stadt war Teil des sogenannten Atlantikwalls, in dessen Zusammenhang einige Hafenstädte zwischen der Bretagne und der Mündung der Gironde zu Befestigungsanlagen wurden. Sie sollten bis "zur letzten Patrone" verteidigt werden. Brest stand im Mittelpunkt dieses Wahnsinnsplans - und mit ihm der frisch ernannte Festungskommandant: Fallschirmjägergeneral Bernhard Ramcke. Ein hochdekorierter, populärer Offizier und überzeugter Nationalsozialist. Er galt als "harter Hund", der niemals aufgab, und sollte mit seinen Fallschirmjägern den Kern der Verteidigung bilden. In einer Sendung des Großdeutschen Rundfunks hieß es über ihn:
    "Selbstverständliche Treue und Kameradschaft sind es, die der Verteidiger von Brest dem ganzen deutschen Volke in seinem fast vierzigjährigen Soldatenleben unverbrüchlich gehalten hat."
    Kapitulation am 19. September 1944
    Doch vier Tage nach der offiziellen Kapitulation von Brest am 19. September 1944 vermerkte Joseph Goebbels in seinem Tagebuch:
    "Eine etwas peinliche Nachricht erhalten wir, dass General Ramcke in Gefangenschaft geraten ist. Ich kann nicht verstehen, dass selbst ein Mann wie Ramcke so wenig Gefühl für Unsterblichkeit besitzt. Er hätte sich niemals in die Gefangenschaft des Feindes begeben dürfen."
    Tatsächlich hatten Ramcke und einige Fallschirmjäger quasi als letzte den Kampf aufgegeben. Über 43 Tage hinweg konnte Brest der alliierten Belagerung standhalten. Am Ende überlebten die deutschen Verteidiger angesichts des Dauerbeschusses und unablässiger Bombenangriffe nur mehr unterirdisch, in Bunkern und den Kasematten der alten Stadtbefestigung.
    Doch mit der Kapitulation von Brest endete die Geschichte der Atlantikfestung noch lange nicht. Die militärisch sinnlose Verteidigung und Zerstörung der Stadt sollte zum Inbegriff werden für die verbrecherische Politik Nazideutschlands. Entscheidenden Anteil daran nahm Erich Kuby, ein damals bekannter Autor und Journalist. Er hatte in der Festung Brest bis zum Ende als einfacher Wehrmachtsfunker dienen müssen und wurde zum Augenzeugen der Geschehnisse.
    Ramcke klagte gegen das Hörspiel
    Entsprechend authentisch waren seine Beobachtungen, die in sein Hörspiel "Nur noch rauchende Trümmer. Das Ende der Festung Brest" Eingang fanden, uraufgeführt im Oktober 1954 im Nordwestdeutschen Rundfunk. Die Hauptfigur von Kubys "Hörbild", ein junger Mann und Alter Ego des Autors namens Georg, schilderte etwa die Berufung von Ramcke im August 1944 zum Festungskommandanten in Brest. Ramcke hatte Hitler per Telegramm darum gebeten:
    "Von der Wolfsschanze kam ein Befehl, dass Ramcke über alle in Brest liegenden Einheiten das Kommando führen solle. Das war die zweite große Stunde im soldatischen Leben dieses Mannes und bedeutete den Tod von Brest und von 10.000 deutschen Soldaten."
    Es mögen solche Passagen gewesen sein, durch die sich Ramcke zutiefst in seiner "soldatischen und menschlichen Ehre verletzt" gefühlt hat. Jedenfalls stellte er kurz nach der Ausstrahlung des Hörspiels Anfang Januar 1955 Strafantrag gegen Erich Kuby und den zuständigen Redakteur. Nach gut vier Jahren endete das Verfahren mit einem Freispruch – und der Auflage, eine Textzeile mit einer kurzen Charakterisierung Ramckes zu tilgen. Freilich – sogar das Plädoyer des Hamburger Staatsanwalts Gerhard Koch am 26. Februar 1959 war von erfrischender Klarheit:
    "Hätten wir zur rechten Zeit weniger Menschen von der Geistesrichtung Ramckes und stattdessen viele Menschen von der Einstellung Kubys gehabt, dann wären Millionen Gefallene noch am Leben, ebenso wie Millionen Juden. Und die Vertriebenen könnten mit Frauen und Kindern auf ihrer Heimaterde leben. Wäre das ein so unerträgliches Ergebnis gewesen? Für Patrioten, die ihr Vaterland lieben?"
    Es waren Sätze wie diese, die manchen Bürgern der Bundesrepublik Hoffnung auf eine demokratische Zukunft machten.