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Volkswagen
Was vor dem Skandal geschah

Sinkende Aktienkurse, Strafzahlungen, Nachbesserungen - vom Reputationsverlust ganz zu schweigen. Der Abgasskandal hat Volkswagen sehr geschadet. Wie konnte es so weit kommen? Die Eigenheiten des Konzerns fächert Georg Meck in seinem Buch "Auto Macht Geld" auf.

Von Silke Hahne | 12.12.2016
    Ein Auspuff eines Volkswagen auf einem Mitarbeiterparkplatz, aufgenommen am 11.05.2016 mit dem Verwaltungshochhaus vom VW Werk in Wolfsburg (Niedersachsen).
    Ein Auspuff eines Volkswagen auf einem Mitarbeiterparkplatz mit dem Verwaltungshochhaus vom VW Werk in Wolfsburg (Niedersachsen). (dpa)
    Wäre der Abgasskandal bei Volkswagen ein Film – das Buch von Georg Meck wäre der Prolog: "Was bisher geschah". Und tatsächlich gibt es in Hollywood schon Interesse an einer Verfilmung – dazu später mehr.
    Die aufgeflogenen Manipulationen sind für Volkswagen eine Zäsur: Wahrscheinlich wird man nicht nur in Wolfsburg die Geschichte des Unternehmens künftig in das Davor und das Danach teilen. Und genau an dieser Sollbruchstelle platziert Meck sein Buch: Er erzählt zu großen Teilen das Davor – die Krise bot quasi nur den Anlass, "Die Geschichte der Familie Porsche Piëch" aufzuschreiben – so auch der Untertitel des Buches. Meck: "Und deswegen war die Idee draufzugucken: Wo kommt dieser Konzern her, wo geht er hin? Und welche Rolle spielt vor allem die Eigentümerfamilie, die ja gleichzeitig auch noch die Familie des Gründers ist?"
    VW gehört nicht von Natur aus zu Porsche
    Diese Gleichzeitigkeit ist allerdings ein Phänomen der jüngeren Konzern-Geschichte, wie der Ressortleiter Wirtschaft und Finanzen der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung fein säuberlich seziert.
    "Ferdinand Porsche hat den Käfer konstruiert. Sohn Ferry Porsche die Testfahrten mit den Prototypen absolviert, Schwiegersohn Anton Piëch das erste Werk in Wolfsburg geleitet. Enkel Ferdinand Piëch gebärdete sich wie der Alleinherrscher im VW-Imperium. Dabei war er nur Angestellter in dem Konzern, die Vorfahren übrigens auch. Empfunden haben sie es stets anders. Sichtbar wird dies einmal mehr nach dem Diesel-Skandal. [...] Wenn die aktuellen Köpfe der beiden Familienstämme per "Bild"-Zeitung im Frühjahr 2016 proklamieren, sie würden auch künftig für den Konzern sorgen, wie sie es als Eigentümer all die Jahrzehnte zuvor getan hätten, offenbart das eine gewaltige Selbsttäuschung des Clans: VW gehört nicht von Natur aus zu Porsche. Auch wenn die Familie das so sehen mag, ist die Behauptung höchst anmaßend."
    Der Übernahmekampf als spannende Chronologie
    Denn die Mehrheit der Stammaktien – denen mit Stimmrecht auf Hauptversammlungen also – hat sich die Familie erst im Übernahmekampf zwischen den Unternehmen Porsche und Volkswagen gesichert. Ein Plan, den seinerzeit Porsche-Chef Wendelin Wiedeking ausgeheckt hatte und der kräftig nach hinten losging: Am Ende schluckte Goliath Volkswagen den David Porsche. Das entsprechende Kapitel im Buch - eine Chronologie - bricht mit der sonstigen Erzählform. Das ist aber enorm hilfreich, um die zeitliche Abfolge en Detail nachvollziehen zu können. Aufgrund des unglaublichen Finanz-Hokuspokus, der sich damals abgespielt hat, liest sich das Kapitel wie ein Wirtschaftskrimi. Von dessen Ausgang profitiert die Familie Porsche und Piëch bis heute.
    "Über die Porsche SE, diese Porsche-Holding in Stuttgart, wo nur ein paar Menschen, ein paar Hanseln arbeiten, wo überhaupt keine Autos hergestellt werden, sondern nur Juristen und Manager sitzen – die eben die Beteiligungen dirigieren. Das ist das Machtzentrum. Von da aus wird VW gesteuert und damit auch die zwölf Konzernmarken innerhalb von VW." An Sätzen wie diesen merkt man, dass Meck sich eine Distanz zu seinem Berichterstattungsgegenstand bewahrt hat. Seit 15 Jahren schreibt er als Journalist über Volkswagen, kennt die Familienmitglieder und hat einige für sein Buch interviewt. Es ist also nicht aus Zeitungsartikeln zusammengeschrieben.
    Eine Unternehmensgeschichte mit einigen dunklen Kapiteln
    Durch Kritik, wo sie angebracht ist, und eine leicht ironische Sprache lässt sich sogar das Kapitel über "Sex, Scheidungen und sonstige Dramen" gut lesen. Denn bis in diese Tiefen dringt Mecks Analyse: "Liebe und Verrat sind die stärksten Emotionen. Beides durchlebten die Porsches und Piëchs reichlich, stets in der Gefahr, das Gefüge in der Familie durcheinanderzubringen. Andere Familien gehen sich nach so bitteren Auseinandersetzungen aus dem Weg, dies schließt sich aus im Fall der Porsches und Piëchs: Durch die Firmen sind sie aneinander gekettet."
    Zu trennen ist Volkswagen auch nicht von der Nazi-Diktatur – und damit auch die Familie nicht, wie Meck sehr ausführlich darlegt. Mehr als 70 von rund 300 Seiten widmet er der Kriegs- und Nachkriegsgeschichte und beruft sich dabei zu großen Teilen auf Manfred Grieger – also den ehemaligen Chef-Historiker von Volkswagen, der den Konzern kürzlich im Streit verlassen hat. Das wurde in der aktuellen Auflage nicht mehr berücksichtigt, trotzdem hat Meck eine eindeutige Meinung dazu: "Es hat mich ehrlich gesagt, ja tatsächlich ein bisschen gewundert, wie offen er die ganze Nazi-Zeit aufarbeiten konnte, wie offen er da auch teilweise gegen die Familien reden konnte und das kann die Familie nicht immer gefreut haben. Und dass das jetzt nur irgendein Zufall ist, dass er seine Position verliert, das glaub' ich nicht."
    Dieselgate als Hollywood-Streifen?
    Es bleibt also spannend im VW-Porsche-Piëch-Reich aus Autos, Macht und Geld. Meck kann sich deshalb durchaus vorstellen, den Konzern und seine Skandale in Neuauflagen seines Buches weiter zu begleiten. Oder, dass sie wirklich mal verfilmt werden: Einer seiner Kollegen bei der FAS hat sich spaßeshalber schon mal an ein Drehbuch gewagt. Leonardo DiCaprio hat sich sogar die Filmrechte am Abgasskandal gesichert. "Es gibt so viele lustige, filmreife Szenen und Zitate – vieles würde einem gar nicht so einfallen: Wie die sich bekriegt haben, wie Ferdinand Piëch mit Menschen umgeht. Also alles sehr, sehr schöner Stoff."
    Den breitet Meck selbst chronologisch und detailreich vor dem Leser aus. Nur ein einleitendes Kapitel und eines über den Abgasbetrug stellt er vorneweg. Letzteres hätte eben aufgrund der sonst so streng eingehaltenen zeitlichen Reihenfolge auch am Ende des Buches gut gestanden. Dort gibt Meck dann einen Ausblick, erweitert die Perspektive auf die allgemeinen Herausforderungen der Automobilbranche, wie Digitalisierung und Elektro-Antriebe. Und fragt: "Zerbricht das VW-Weltreich?" Seine Antwort, auch in Bezug auf den Eigentümer-Clan:
    "Volkswagen wird in zehn oder 20 Jahren ein anderer Konzern sein, mit viel weniger der bekannten Modelle, dafür mit einer Elektroflotte und – wenn es gut läuft – einem digitalen Angebot, das die nachwachsende Generation begeistert. Braucht es dazu die Familien Porsche und Piëch als Großaktionär? Nicht unbedingt." Sollte es so kommen, böte das sicher Stoff für neue Geschichten. Was bisher geschah, das kann man sehr detailliert und trotzdem unterhaltsam bei Georg Meck nachlesen.
    Georgs Meck: Auto Macht Geld. Die Geschichte der Familie Porsche Piëch.
    Rowohlt Berlin, 304 Seiten, 22,95 Euro.