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Volkszorn gegen Steuerfahnder

In Griechenland ist Steuerhinterziehung weit verbreitet. Vor allem im Tourismussektor wird sie als Kavaliersdelikt gesehen. Was passieren kann, wenn die Steuerfahnder neuerdings härter durchgreifen, zeigt das Beispiel der Insel Hydra.

Von Rodothea Seralidou | 30.08.2012
    Die traditionsreiche Taverne "Psaropoula" am malerischen Hafen von Hydra, einer Insel nur 50 Seemeilen von Athen entfernt. Schlichte viereckige Holztische mit blauen Holzstühlen stehen entlang der Promenade direkt vor der Taverne. Seit über 100 Jahren ist der Laden nun im Besitz der Familie Tiliakou: Wie jeden Tag arbeitet Mutter Toula in der Küche, während sich ihr Sohn Ilias, ein schlanker junger Mann im hellblauen T-Shirt, um die Bestellungen kümmert. Kaum zu glauben, dass gerade hier eine Routinekontrolle der neuen Steuerpolizei eine Art Volksrevolution auslöste. Der 28-jährige Ilias versucht, zu erklären:

    "Wir hatten offene Bestellungen und die Steuerfahnder haben uns nicht geglaubt, dass wir die Quittungen noch ausstellen würden! Das Ganze war ein Missverständnis. Dabei haben wir allein in den letzten drei Monaten 6000 Euro Umsatzsteuer bezahlt! Entschuldigen Sie mich jetzt, ich muss weiterarbeiten, ich schmeiße den Laden gerade alleine!"
    Doch die Routinekontrolle nahm eine überraschende Wendung. Als die Fahnder der Steuerpolizei die Tavernenbesitzerin wegen Steuerhinterziehung festnehmen wollten, geriet die 54-Jährige in Panik und wurde ohnmächtig. Als dann noch ihr Sohn Ilias in Handschellen zur Wache gebracht wurde, eskalierte die Situation. Eine Augenzeugin berichtet:

    "Die Leute belagerten das Gebäude, warfen die ganze Nacht über Leuchtmunition und Feuerwerkskörper auf die Polizeistation; sie kappten sogar die Stromleitung. Der örtliche Polizeichef saß zusammen mit den Fahndern der Steuerpolizei im Gebäude fest. Er forderte Verstärkung an. Erst als Spezialkräfte aus Athen kamen, löste sich die Menschenmenge auf."

    Zur Polizeiwache führt eine extrem enge Gasse. Auf den Treppen ins Gebäude sind immer noch die Spuren der Leuchtmunition zu sehen. Der örtliche Polizeichef Giorgos Zotas zeigt auf einen roten Fleck am oberen Ende der Treppe: Überreste vom Feuerwerk.

    "Sehen Sie, was wir durchmachen mussten!"," sagt er und verstummt dann. Seine Vorgesetzten in Athen hätten ihm jegliches Interview verboten. Unter den knapp 2700 Einwohnern von Hydra ist der kleine freundliche Mann mit den grauen Haaren höchst umstritten. Anders als seine Vorgänger, gilt er als unbestechlich. Er greift da, wo andere ein Auge zudrücken würden, hart durch, heißt es. Zu hart, findet der 40-jährige Giorgos Voulgaris, Betreiber einer Pension.

    ""Alle wollen, dass der Polizist von hier verschwindet! Er ist unfähig, seinen Job richtig zu machen. Und deswegen eskalierte auch die Situation. Man hätte der Frau eine Geldstrafe aufbrummen und sie in Ruhe lassen sollen!"

    Doch das Gesetz sieht nun einmal seit 2011 ein härteres Durchgreifen bei Steuersündern vor. Werden diese auf frischer Tat ertappt, können sie festgenommen und der Staatsanwaltschaft zugeführt werden. In kleinen Orten wie Hydra, wo jeder jeden kennt, lässt sich das nicht diskret handhaben. Doch längst nicht alle verurteilen das neue Gesetz: Im Gegenteil, viele Griechen, die auf Hydra Urlaub machen, begrüßen die vermehrten Kontrollen der Steuerfahnder. So auch die 58-jährige Krankenschwester Areti Emmanouil.

    "Wir Leute aus der Mittelschicht zahlen für diese Geschäftsleute, die dem Ruf Griechenlands schaden! Sie versuchen innerhalb von wenigen Monaten so viel zu verdienen, wie wir alle in einem ganzen Jahr. Wir Kunden sind aber auch selbst schuld! Wir sollten einfach immer nach der Quittung fragen - schließlich beinhalten die Preise ja schon die 23 Prozent Mehrwertsteuer!"

    Dass Steuerhinterziehung von seinen Bürgern nicht mehr als Kavaliersdelikt gesehen wird, wünscht sich auch Hydras Bürgermeister, Aggelos Kotronis. Er verurteilt das ganze Geschehen.

    "Dieser Vorfall hat uns alle sehr traurig gemacht. Keiner hat das Recht, gegen das Gesetz zu verstoßen. Und wer es tut, muss bestraft werden. Nur wenn wir unsere Steuern zahlen, kann es unser Land aus der Krise schaffen. Ich wünsche mir, dass diese Ereignisse so schnell wie möglich vergessen werden und dass wir nun vorwärts schauen!"

    Die Ereignisse von Hydra vergessen, das wird der örtliche Polizeichef Georgios Zotas wohl nicht so schnell. Griechischen Medienberichten zufolge sollte er sogar – kurz vor seiner Pensionierung- zwangsversetzt werden. Nachdem nun aber der zuständige Bürgerschutzminister Nikos Dendias eingeschritten ist, darf Zotas auf Hydra bleiben. Bis zu seiner Pensionierung wird er also weiterhin für Recht und Ordnung sorgen.