Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Vollstrecker im Namen Gottes

Johann Bockelson - später Jan van Leiden - erlernte das Schneiderhandwerk, war aber auch als Wirt, Dichter und Bänkelsänger tätig. Dann ließ er sich von den Wiedertäufern bekehren und wurde Wanderprediger. Sein später gegründetes "Königreich Zion" zu Ehren Gottes lenkte er mit schrecklicher Gewalt.

Von Peter Hertel | 02.02.2009
    "Das ist die Lambertikirche. Da waren irgendwann mal Gefangene drin. Aber ich weiß jetzt nicht ... "

    "Ja, ich nehme an, da wurden die, die halt irgendwas verbrochen hatten, die mussten da oben hängen."

    "Da wurden die Täufer in die Käfige gesteckt."

    "Ich weiß nicht, Ketzer oder so was. Jedenfalls wurden die da rein gesteckt, bis sie verschmachtet waren, bis sie vertrocknet waren."

    Verschmachten mussten die drei Wiedertäufer nicht, sondern sie waren bereits grausam zu Tode gefoltert worden, als sie in den eisernen Körben zur Abschreckung aufgehängt wurden. Sie waren Herrscher eines theokratischen Gottesreiches in Münster, eines neuen Jerusalem, wie es genannt wurde: Bernt Knipperdolling, Statthalter; Bernt Krechting, Hofrat; und im Käfig über den beiden: Jan van Leiden, der selbstgekrönte König. Geschmückt mit Reichsapfel und Goldkette und umgeben von einem Hofstaat aus 135 Personen, hatte er sich als Vollstrecker Gottes gesehen:

    "Wir Johann, der gerechte König des neuen Tempels und Diener des allerhöchsten Gottes, tun allen und jeden christlichen Brüdern, die mit Uns verbündet sind, kund und zu wissen ... , die von Gott und Uns aufgetragenen Befehle auszuführen."

    1509 wurde Jan van Leiden mit dem bürgerlichen Namen Johann Bockelson unweit der niederländischen Stadt Leiden geboren. Auf seinen Reisen lernte er den Niederländer Jan Matthys kennen, einen maßgeblichen Propheten der neuen Täuferreligion. Von ihm ließ er sich taufen und, 22 Jahre alt, nach Münster schicken. Dort hatten die Täufer – sozusagen als linker Flügel der Reformation – mehr und mehr gegen die Lutheraner an Boden gewonnen. Matthys hatte die zerstrittene Stadt als
    Sammlungsort der Auserwählten erkoren, und nun strömten sie heran. Ein Zeitgenosse berichtete:

    "Die Holländer und Friesen haben vernommen, dass in Münster in Westfalen ein Prädikant … die Stadt mit Predigen eingenommen hätte und dass so unter den Bürgern und der Geistlichkeit in der Stadt Münster eine Zwietracht sei. So sind sie nach Münster ... gezogen."

    Sie glaubten an das Ende der reichen Herren und der eitlen Pfaffen wie auch an ein unmittelbar bevorstehendes Weltende. Zum einen hatten sie humane Ziele: die Gleichheit aller Menschen und die Gütergemeinschaft nach urchristlichem Vorbild. Aber andererseits wollten sie das Reich Gottes mit Gewalt herbeiholen, die Gottlosen verdrängen oder vernichten. Nach Matthys' Tod baute sein enger Vertrauter Jan van Leiden das "neue Zion" weiter aus. Als zweiter David erlaubte er beispielsweise die Polygamie. Er selber hatte schließlich 16 Frauen.

    "So haben die Holländer, Friesen und alle rechten Wiedertäufer ... ihre erste Frau dazu gezwungen, dass sie gehen musste und ihrem Mann eine andere Frau holen ... Da haben sie ihren Willen gehabt, die da alte Frauen hatten und junge nehmen wollten."

    Seine Ideologie setzte der "König von Münster" mit drakonischen Strafen durch. Selbst Glaubensbrüder, die ungehorsam waren, tötete er eigenhändig mit dem Schwert. Nach 16 Monaten, im Juni 1535, fiel das Täuferreich; der katholische Bischof von Münster, Graf Franz von Waldeck, der die Stadt belagerte, wurde unterstützt nicht nur von der lutherischen Reformation, sondern vom gesamten Reich, um grausam die religiös-politische Revolution niederzuschlagen. Jan van Leiden, König, Prophet und Feldherr, hatte die Belagerten zunächst mit Festen und Spielen von der Bedrohung ablenken können. Der Dramatiker Friedrich Dürrenmatt hat in seinem Stück "Die Wiedertäufer" auf die darstellerischen Fähigkeiten des Jan van Leiden aufmerksam gemacht:

    "Bockelson ist ein Thema jeder Macht: Ihre Begründung durch Theatralik."

    Und der aus Deutschland stammende englische Komponist Alexander Goehr ließ 1985 in seiner "Wiedertäufer"-Oper die Spannung zwischen messianischer Erwartung und irdischer Realität aufscheinen. Nicht zuletzt an dieser Spannung ist der Reformator Jan van Leiden gescheitert.