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Vom Abfall zum Rohstoff

In einigen Bereichen wird Seegras bereits als Naturmaterial genutzt wie zum Beispiel als Füllstoff für Matratzen und Sofas. Nun soll das Pflanzenmaterial auch industriell als Rohstoff verwendet werden.

Von Mark Michel | 07.01.2008
    Wer kennt das nicht, man ist im Badeurlaub, und von einem auf den anderen Tag ist der helle Sandstrand mit dunklen Haufen bedeckt - entwurzeltes Seegras, das über Nacht angespült wurde. Was dem Urlauber vielleicht nur die Stimmung trübt, ist für die Gemeinden ein Problem. Denn die Entsorgung der angeschwemmten Pflanzenreste ist aufwendig und vor allem teuer, da das Seegras erst nach einer speziellen Vorbehandlung kompostiert und deponiert werden darf. Wissenschaftler der TU Dresden haben nun untersucht, wie man diesem Problem begegnen kann: Man nutzt den vermeintlichen Abfall einfach als Rohstoff für Werkstoffe im Baubereich. Sören Tech, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Holz- und Papiertechnik der TU Dresden, hatte die Idee dazu.

    "Nach der Aufnahme des Seegrases vom Strand wird es getrocknet und gereinigt. Dafür ist eine Luftstromtrocknung geeignet. Neben der Seegrastrocknung werden hierbei auch Sand und andere Verunreinigungen abgetrennt. Das gewonnene Produkt kann schon als lose Einblasdämmung eingesetzt werden. Man kann das Seegras aber auch mahlen und mit Bindemitteln, Additiven, versehen zu Dämmmatten, -platten, mitteldichten Faserplatten oder Zementfaserplatten verarbeiten. Dazu kann man es auch mit anderen Pflanzenfasern zum Beispiel aus Flachs, Hanf oder Holz kombinieren."

    Gemeinsam mit der mecklenburgischen Gemeinde "Am Klützer Winkel" und neun Partnern aus fünf europäischen Ländern machten die Forscher sich Gedanken, wie man Seegras industriell nutzen kann. Dazu untersuchte man die Materialeigenschaften und prüfte, inwieweit sich der Faserrohstoff Seegras in bestehende Produkte einfügen lassen kann, erklärt Sören Tech. Vor ihm auf seinem Schreibtisch liegen nun die ersten fertigen Produkte aus Seegras.

    "Wir haben hier mal das lose Seegras, wie es am Strand zu finden ist. Das ist hier schon getrocknet. Die flexiblen Seegrasmatten können als Sparrendämmung im Dach verwendet werden. Gepresste Platten mit höherer Dichte kann man wie mitteldichte Faserplatten (MDF), im Möbelbereich oder im Innenausbau einsetzen. Und hier haben wir Seeglas, so nenne ich es, einen semitransparenten, sehr dekorativen Verbundwerkstoff. Zu dessen Herstellung haben wir Seegraspapier zwischen Acrylglas eingebettet. Man kann es umformen und zu ganz verschiedenen Produkten verarbeiten. Wir wollen hier zeigen, welche vielfältigen Möglichkeiten es gibt, diesen angeblichen Abfall sinnvoll zu nutzen."

    Nachwachsend und ökologisch sinnvoll, hat Seegras als Rohstoff noch einen weiteren Vorteil, es ist sehr schwer entflammbar und eignet sich daher gut als Wärmedämmung oder Schüttung in Hohlräumen.

    "Wir haben festgestellt, dass wir schon mit einem Zusatz von 30 Prozent Seegras den Brandwiderstand einer flexiblen Flachsmatte wesentlich verbessern können. Das liegt an dem hohen natürlichen Salzgehalt des Seegrases. Die bei Dämmstoffen obligatorische Anwendung von Brandschutzmitteln kann hier entfallen."

    Noch aber kämpfen die Küstengemeinden alle einzeln mit dem Problem Seegras. Doch das soll sich bald ändern. Denn es ist geplant, in verschiedenen Regionen nationale Kompetenzzentren aufzubauen, die dann dafür Sorge tragen, das Pflanzenmaterial aus dem Meer als Rohstoff zu gewinnen und weiterzuverarbeiten. Doch noch ist die Brücke zwischen Wissenschaft und Wirtschaft nicht geschlagen, sagt Sören Tech, auch wenn das Interesse groß ist.

    "Anfragen gibt es sehr viele. Die Interessenten fragen, wo kann man das eine oder andere Produkt kaufen und was es kostet. Und das ist im Moment noch die Schwierigkeit. Es gibt bisher nicht genügend Verarbeiter, die das Seegras als Rohstoff nutzen. Wir sind gern bereit interessierte Firmen, die Seegras oder andere pflanzliche Faserrohstoffe für ihre Produkte einsetzen wollen zu unterstützen. Dazu verfügt unser Institut für Holz- und Papiertechnik über eine unfangreiche technische Ausstattung und langjährige Entwicklungserfahrung."