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Vom Altarbild zum Verkaufsschlager

1512 malte Raffael die Sixtinische Madonna im Auftrag von Papst Julius II., eines der berühmtesten Gemälde der italienischen Renaissance. Seit Mitte des 18. Jahrhundert steht das Werk in Dresden, wo es inzwischen wieder zu besichtigen ist, nachdem es bis als Beutekunst 1955 in Moskau weilte.

Von Wolfram Nagel | 05.06.2012
    Das Gemälde wurde in der Klosterkirche San Sisto in Piacenza aufgestellt. Nur aus ihrer religiösen Form heraus ist die Sixtinische Madonna verständlich

    "Die Sixtinische Madonna ist ein sakrales Kultbild. Und erst in Dresden mit dem Ankauf durch August III. Mitte des 18. Jahrhunderts wurde dieses Bild nach und nach auch ein Kultbild im ganz profanen Sinne, nämlich ein populäres Bild. Und die Ausstellung zeigt den Kontext, den Ursprung dieses Gemäldes, denn nur aus seiner religiösen Funktion heraus ist die Sixtinische Madonna eigentlich verständlich."

    Raffael malte das Altarbild im Auftrag von Papst Julius II. im Jahre 1512, so Andreas Henning, Kustus für italienische Malerei in der Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden und Kurator der Ausstellung. Das Gemälde wurde in der Klosterkirche San Sisto in Piacenza aufgestellt, als Dank für den Sieg über die Franzosen in Oberitalien. Fast gleichzeitig malte Michelangelo die berühmten Deckengemälde in der sixtinischen Kapelle in Rom.

    Rechts daneben die Heilige Barbara, Namenspatronin der Klosterkirche von Piacenza. Dort beten die Gläubigen seit dem Verkauf des Originals vor einer Kopie der Sixtinischen Madonna. Verklärt andächtig hält sie den Jesusknaben auf ihren Armen. Mit ihren Füßen schwebt sie auf Wolken. Auch den Bildhintergrund bilden Wolken. Wer genau hinschaut, erkennt viele kleine Engelsgesichter im Weiß des Gewölks. Bezaubernd ist das schöne Antlitz der Gottesmutter. Bis heute ist ungeklärt, wer die Dame wirklich war, die Raffael Modell gestanden hat:

    "Es gibt eine großartige Leihgabe aus Florenz, Raffaels wohl schönstes Frauenporträt, die Donna Velata, es ist, glaube ich, für jeden nachvollziehbar, Raffael muss von dieser Frau begeistert und fasziniert gewesen sein und hat ihre Gesichtszüge genommen und idealisiert in der Darstellung der sixtinischen Madonna."

    Zwischen der Sixtinischen Madonna in der Gemäldegalerie Alte Meister und dem Himmelfahrtsaltar in der ehemaligen katholischen Hofkirche von Dresden besteht eine nicht ganz zufällige Korrespondenz. Der spätbarock-klassizistische Bau wurde 1755 als erste große katholische Kirche im protestantischen Sachsen geweiht, nachdem Kurfürst August der Starke und sein Sohn August III. zum Katholizismus konvertiert waren, um Könige von Polen werden zu können. Für diese Kirche malte Anton Raphael Mengs das Hochaltarbild von Christi Himmelfahrt. Dompfarrer Klemens Ullmann:

    "Anton Raphael Mengs hat ja nicht umsonst den Namen Raffael bekommen. Er ist deshalb auch zum Malen des großen Altarbildes der Hofkirche nach Rom gegangen. Er wollte im Licht des großen Raffael dieses Bild dann 250 Jahre später malen – von der Himmelfahrt Christi. Und wenn man sich diese Gestalten auf dem Bild von der Himmelfahrt Christi anschaut, dann sieht man ja auch dieses Gesammeltsein, da ist schon eine Verwandtschaft da. Bemerkenswert ist eben diese Menschlichkeit, die da zum Ausdruck kommt, was ja die Renaissance gerade auch wollte. Den Menschen entdecken, aber dahinter das Göttliche, das Auserwähltsein. Du bist voll der Gnade, wie es der Engel Gabriel bei der Verkündigung im Lukasevangelium sagt."

    Wie die Himmelfahrt Christi von Anton Raphael Mengs hat auch die Sixtinische Madonna für Ullmann ihre religiöse Strahlkraft nicht verloren. Sie bleibt Ikone, auch wenn sie sich zusammen mit vielen anderen Kunstwerken an einem profanen Ort befindet.

    "Die Ostkirche lebt uns das ja vor. Die Ikone ist ja nur ein Vordergrund und dahinter ist eine andere Wirklichkeit, eine für uns nicht fassbare Wirklichkeit, und das ist ja eigentlich... so schon die Sixtinische Madonna – auch als ganz großes Kunstwerk. Aber das ist nicht alles, man muss eigentlich dahinter immer sehen, dass da eben Marienverehrung... immer eine Christusverehrung ist."

    Will doch Maria ihr Kind der Welt präsentieren. Das ist Sinn der Epiphanie, der Erscheinung des Herrn, in der westlichen Kirche gefeiert am 6. Januar.

    "Maria will uns ja ihr Kind – auf dem Bild wird das ganz deutlich – ihr Kind präsentieren und uns hinführen zu diesem Jesus Christus, der eben als Retter gekommen ist, und der Blick der Madonna und des Kindes sind ja eigentlich eben in die Ferne gerichtet. Er schaut sozusagen auf seine Passion schon, und zum anderen aber, wenn er auf seine Passion."

    Im protestantisch beziehungsweise säkular geprägten Osten Deutschlands hat Marienverehrung heute so gut wie keinen Platz. Doch der eine oder andere Museumsbesucher soll schon mit einem Ave Maria auf den Lippen vor der Sixtinischen Madonna angetroffen worden sein. Andere lassen sich von den Engeln am unteren Bildrand ergreifen. Ausstellungskurator Andreas Henning:

    "Die beiden berühmten Engelchen, die so sympathisch am unteren Bildrand lümmeln, Raffael hat sie ganz zum Schluss erst gemalt. Er hatte dort zunächst nur Wolken vorgesehen, und dann muss ihm aufgefallen sein, etwas fehlt, was das Bild unten zusammen führt, etwas fehlt, was auch den Blick des Betrachters wieder empor lenkt in das Bild hinein. Und diese beiden Engelchen, sie warten, sie warten auf die Messfeier am Altar in der Klosterkirche S.Sisto in Piacenza, für die das Bild ja gemalt worden war, sie warten auf die Messfeier, um im Anschluss die verwandelte Hostie wieder in den Himmel zu tragen."

    Doch die beiden Engel führen seit 200 Jahren ein sehr weltliches Eigenleben. Auf Tassen, Einkaufsbeuteln, Kekspackungen oder anderen himmlischen Geschenkideen wie Erotikbrot, Bausparförderverträgen oder Toilettenpapier.

    "Wir erzählen auch die Geschichte dieser beiden Engelchen, die vor 200 Jahren zum ersten mal einzeln kopiert wurden, um 1810, 1820 auf Schmuck zu finden sind, im Neuruppiner Bilderbogen, und Ende des 19. Jahrhunderts dann auch schon als Werbeträger verwendet wurden, zum Beispiel in Chicago und San Louis für einen Fabrikanten von Schweinefett."

    Gerade die Engel hätten wesentlich zum Kult um das Gemälde beigetragen, so Kurator Andreas Henning.

    "Das ist natürlich ein unglaublich profaner Weg, den diese beiden Engelchen angetreten haben, auf der anderen Seite sind sie aber auch himmlische Boten bis heute, denken wir an die Weihnachtszeit, wo viele Produkte am Weihnachtsbaum die Christbaumkugel, die obligatorische Dose für den Dresdner Christstollen usw., mit diesen Engelchen geschmückt werden."

    Um der Sixtinischen Madonna im Jubiläumsjahr eine sakrale Anmutung zu verleihen, hat sie einen neuen Goldrahmen erhalten – es handelt sich um die Originalkopie eines oberitalienischen Altarrahmens aus dem 16. Jahrhundert, aus einer Kirche in Bologna. So werde auch deutlich, dass Raffaels Muttergottes ein Kultbild geblieben ist, wenn auch im doppelten Wortsinn.

    "Kürzlich hat der Bischof von Piacenza doch die für mich sehr nachdenklich machenden Worte gesprochen, dass es im Grunde für die Sixtinische Madonna eigentlich auch ein Glücksfall gewesen ist, dass das Bild Mitte des 18. Jahrhunderts nach Dresden verkauft wurde, denn erst hier in der königlichen Gemäldegalerie, die öffentlich zugänglich war, hat es einen großen Publikumskreis ansprechen können, als das damals in den 240 Jahren, die es am ursprünglichen Ort in der Klosterkirche in Piacenza war, damals überhaupt möglich geworden wäre."