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Vom Campus ins Jobcenter

Abschluss – und was dann? Die Frage stellen sich viele Hochschulabsolventen, die nicht sofort eine Stelle finden. Wer keinen ausreichend lukrativen Nebenjob hat oder noch Unterstützung von den Eltern bekommt, beantragt oft Hartz IV.

Von Dorothee Räber | 05.02.2010
    Melanie ist Kunsthistorikerin. Nach dem Magisterabschluss im letzten Jahr hat sie Arbeitslosengeld II beantragt. Mit der Betreuung durch die örtliche Arge ist die junge Frau unzufrieden. So wollte sie sich für den Berufseinstieg ein Praktikum in einem Museum oder bei einem Ausstellungsprojekt suchen. Die Arge war damit nicht einverstanden, erzählt sie:

    "Ich durfte kein Praktikum machen. Mir wurde gesagt, ich stehe dann nicht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung und wenn ich ein Praktikum machen würde, würde mir das Geld gestrichen."

    Der Magister ist nicht Melanies einziger Abschluss. Vor Abitur und Studium hat sie eine Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau absolviert. Und genau darin scheint der Grund zu liegen, dass ihr ein Praktikum verwehrt wurde. Jens Warnecke von der Arge in Osnabrück erklärt dazu:

    "Es gibt ja auch Hochschulabschlüsse, die sind nicht so marktdurchlässig, da wird man mit Sicherheit eher sagen, wir müssen dich dann eher auf deinen Ausbildungsberuf verweisen oder vielleicht auf andere Tätigkeiten."

    Und weil im letzten Jahr Verkäuferinnen gefragter waren als zum Beispiel Volontäre in Museen, musste sich die Kunsthistorikerin auf Stellen im Verkauf bewerben. Ein Praktikum hätte der Jobsuche aus Sicht der Arge im Weg gestanden, so Jens Warnecke.

    "Vermittlung in Arbeit ist unser gesetzlicher Auftrag, nicht die Ermöglichung einer Karriere. Wenn beides natürlich zusammenfällt, ist es ideal, aber zunächst geht es darum, Hilfebedürftigkeit zu verringern oder zu überwinden."
    Kathrin ist in fast der gleichen Situation wie ihre frühere Kommilitonin Melanie: Auch sie hat ihr Magisterstudium der Kunstgeschichte im letzten Jahr abgeschlossen und bekommt jetzt Arbeitslosengeld II. Eine Berufsausbildung vor dem Studium hat sie nicht absolviert. Ihre Erfahrungen mit der derselben Arge sind vielleicht auch darum ganz anders.

    "Meine Betreuerin dort ist eigentlich sehr nett, kümmert sich auch. Ich durfte auch ein Praktikum machen beziehungsweise sogar zwei hintereinander, jeweils für vier Wochen. Ansonsten ist es eben keine richtige Beratung, es ist Verwaltung, aber man bekommt keine Hinweise, wohin man sich vielleicht wenden kann, um wirklich Hilfe zu bekommen, um mal Anstöße zu bekommen, in andere Richtungen zu denken, was man beruflich vielleicht noch machen könnte. Deswegen bleibt man eigentlich ein bisschen hilflos und alleine zurück damit."

    Auch Absolventen anderer Studienfächer machen die Erfahrung, dass die Berater eines Jobcenters unter einer sinnvollen Eingliederung in den Arbeitsmarkt nicht unbedingt das Gleiche verstehen wie sie selbst. Das berichtet eine Teilnehmerin eines Arge-Bewerbungstrainings in Hannover, die anonym bleiben möchte:

    "Ich habe Kommunikationswissenschaften auf Magister studiert, kürzlich abgeschlossen, ein Praktikum angefangen, zwei Monate, und dieses musste ich jetzt nun abbrechen, weil ich Arbeitslosengeld II beantragt habe. Da wurde mir empfohlen, ein Bewerbungstraining zu machen. Dieses Praktikum war in einem Medienbereich und da wurde mir gesagt, dass es schwierig ist, in diesen Medienbereich reinzukommen, sinnvoller wäre, mich jetzt auf richtige Stellen zu bewerben und dafür zu trainieren."

    Die Kunstgeschichtsabsolventin Melanie arbeitet mittlerweile tatsächlich als Verkäuferin. Sie ist froh, nicht mehr von Hartz-IV abhängig zu sein. Einen Job, der ihrer Qualifikation angemessen wäre, sucht sie immer noch. Und es bleibt das Gefühl, von der Arge nicht gerecht behandelt worden zu sein.

    "Ich fühlte mich immer total missverstanden. Jedes Mal ging man da raus und war teilweise richtig sauer, dass man ein Studium absolviert hat und sich dann bei Kik bewerben muss. Es ist ja nicht so, als wollte man nach dem Studium nicht arbeiten. Man ist halt auf das Geld angewiesen, aber es werden einem absolut Steine in den Weg gelegt."
    Hinter den Entscheidungen der Arge vermutet die junge Frau Willkür. Gegen den Vorwurf wehrt sich der Arge-Mitarbeiter Warnecke:

    "Natürlich entscheiden wir nicht willkürlich, sondern immer nach dem Einzelfall, dann kommt natürlich auch Einiges darauf an, was für Input auch derjenige bekommt, der beraten soll. Bekommt er keinen Input, dann sind vielleicht auch Entscheidungen weniger transparent, als wenn man mitwirkt selber als Bewerber und auch seinen Berater oder Vermittler mit entsprechenden Informationen oder Fragen füttert."
    Abgesehen von der Ausbildung des Arbeitssuchenden und der Arbeitsmarktlage scheint es also eine Glücksfrage zu sein, wie gut die Vermittlung läuft. Und das in mehrfacher Hinsicht. Wichtig ist nicht nur, ob die Chemie zwischen Kunde und Berater stimmt. Sondern auch, wie gut die Qualifikation der Berater auf den Kunden passt. Denn – zumindest bei der Arge in Osnabrück – werden die Berater den Arbeitssuchenden per Geburtsdatum zugeteilt. So können sie sich nicht auf einzelne Berufsgruppen spezialisieren.