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Vom diskreten Charme des Verschiebens

Das Zauberwort unserer Epoche lautet Entschleunigung. Deshalb ist ein solches Aufschiebeverhalten wie beim Berliner Flughafen ein Zeichen großer Kultiviertheit, wie man es den preußischen Flughafenbetreibern gar nicht zugetraut hätte.

Von Burkhard Müller-Ullrich | 09.05.2012
    Ein Flughafen ist ein Ort zum Abtasten von Menschen, zum Konfiszieren von Korkenziehern und zum Wegnehmen von Flüssigkeiten. Manchmal starten und landen dort auch Flugzeuge, aber das kann Zufall sein; das Wesentliche ist die sogenannte Sicherheitskontrolle. Die ist so wesentlich, dass manchen Leuten beim Abtasten und Öffnen und Wegnehmen die Sicherungen durchbrennen. Daher kommt es auf den Brandschutz an, in Schönefeld sogar auf den Willy-Brandt-Schutz.

    Und natürlich auf den Lärmschutz, denn die Anwohner in der Umgebung machen seit geraumer Zeit so einen Lärm, dass man die Flugrouten mehrfach verlegen musste, um die empfindlichen Maschinen vor dieser Anwohnerlärmbelästigung zu schützen. Auch dadurch kam das Ganze Flughafenprojekt zeitlich ins Hintertreffen.

    Nun sind Verspätungen bei der Fliegerei wahrhaftig nichts Ungewöhnliches, und vielleicht hätte man die Passagiere einfach von Juni bis August am Terminal warten lassen können, ohne ihnen zu sagen, dass der Flughafen noch gar nicht in Betrieb ist. Aber nein, irgend jemand Maßgebliches scheint da kurzfristig die Nerven verloren zu haben, daher jetzt die weltweite, um nicht zu sagen: weltallweite Großflughafen-Großblamage.

    Kurzfristig ist übrigens übertrieben, denn bis zum 3. Juni sind es immerhin noch 25 Tage, beziehungsweise rund 37.000 Minuten. Von einer bösen Überraschung, wie es Brandenburgs Ministerpräsident Platzeck jetzt tut, kann man da eigentlich nicht sprechen. Was würde er denn sagen, wenn die Verschiebung erst in den letzten zehn Minuten vor der Eröffnung bekannt gegeben worden wäre, so wie das der Autor dieser Glosse sonst mit der Redaktion zu halten pflegt?

    Das Aufschieben ist nämlich eine Kunst, die manche Menschen besser beherrschen als andere. Angesichts der Endlichkeit des Lebens ist es einfach sinnlos, mit allem noch früher fertig werden zu wollen. Denn das bedeutet, sich noch früher in die Arbeit zu stürzen, die erfahrungsgemäß in jedem Fall mindestens so lange dauert, wie Zeit für sie vorhanden ist – egal, wann man mit ihr begonnen hat.

    Deshalb lautet das Zauberwort unserer Epoche: Entschleunigung. Sich dem modernen Zeitmanagement zu verweigern, gehört zu den höchsten Formen irdischen Genusses. Die Slow-Food-Bewegung macht es vor. Eigentlich macht sie es bloß nach, denn in Köln gab es bereits im Mittelalter die Slow-Bau-Bewegung, die den Dom sechs Jahrhunderte lang unvollendet ließ.

    Solches Aufschiebeverhalten (wissenschaftlich Prokrastination genannt) ist also ein Zeichen großer Kultiviertheit, wie man es den preußischen Flughafenbetreibern gar nicht zugetraut hätte. Aber auch die wachsen an ihren Aufgaben. Jedenfalls erwartet der Globus, um nicht zu sagen: der Kosmos von dem superlativischen Projekt namens Berlin-Brandenburg-International auch entsprechende Pannen und Verzögerungen. An Superlativ-Ankündigungen fehlte es ja nicht: Die größte Entrauchungsanlage der Welt! Ein extra Abflugbereich nur für Regierungsmitglieder! Rekordpleitenzahl der beteiligten Firmen! Und ab morgen wahrscheinlich noch ein paar mehr, denn irgend jemand wird ja wohl Schuld daran sein, dass in Preußen alles so langsam geht.

    Man kann sich diese Gründlichkeitsdiskussionen in den letzten Wochen auf der Baustelle gut vorstellen: Improvisieren? Geht nicht! Mehr Leute anheuern, solange die Automatik noch nicht hundertprozentig funktioniert? Ausgeschlossen! Abnahmeverfahren beschleunigen? Unmöglich. Allein der TÜV braucht vier Wochen zum Testen, daran wird nicht gerüttelt. Gut Ding will selbstverständlich Weile haben – und mal ehrlich: erzeugt nicht ein allzu rasch eröffneter Flughafen das unangenehme Gefühl, dass da haufenweise Sicherheitsmängel übersehen oder vertuscht wurden?

    Alles eine Frage der richtigen Ein- und Darstellung. Auch das jetzige PR-Desaster war sicher lange vorgeplant, um den Aufmerksamkeitswert für BBI ins Unermessliche zu steigern.