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Vom Glauben und der Demokratie

Richard Rorty und Gianni Vattimo beleuchten "Die Zukunft der Religion". Vattimo erklärt sich selbst zum Halbgläubigen, der die Besichtigung von Kirchen mit Gottesdiensten gleichstellt. Für Rorty ist die französische Revolution wichtiger als die Geburt Christi, und schon gar nicht muss man Christ sein, um ein guter Staatsbürger zu werden.

Von Hans-Martin Schönherr-Mann | 20.03.2006
    Es war einmal eine Zeit, in der schrieb 1957 im hohen Alter von 85 Jahren der Begründer der analytischen Philosophie, Betrand Russel, ein Buch mit dem Titel "Warum ich kein Christ bin?" Gut zehn Jahre später verfasste ein zorniger junger Mann namens Joachim Kahl ein Plädoyer für eine Humanität ohne Gott unter dem provokanten Titel "Das Elend des Christentums". Das waren noch Zeiten, als es noch eine Ehre war, Atheist zu sein.

    Wenn das heute anders ist, so liegt das allerdings weniger daran, dass der Glaube unter Philosophen so populär wäre wie unter Kirchentagsbesuchern. Im Gegenteil, wenn sich heute Gianni Vattimo zum Christentum bekennt, dann wird sich so mancher Strenggläubige gruseln und sich sehnsuchtsvoll an jene aufrechten Atheisten erinnern, mit denen man sich noch richtig streiten konnte, weil sie eben auch ein ordentliches Bekenntnis vor sich her trugen.

    Vattimo dagegen erklärt sich selbst nicht nur frech zum Halbgläubigen, der die Besichtigung von Kirchen mit Gottesdiensten gleichstellt. Er behauptet sogar, das Wesen des Christentums liege in der Menschwerdung Gottes, die dem christlichen Gott seine absoluten göttlichen Qualitäten raube, ihn somit schwäche – ein Prozess der Verweltlichung, für Vattimo der Anfang jener Säkularisierung, die im Jahrhundert der Aufklärung den Kirchen ihre geistige wie weltliche Dominanz raubte. Das führt dann zu überraschenden Konsequenzen, so Vattimo:

    "Ich glaube, dass ich glaube, aber ich bin nicht sicher. Was ich denke, ist, dass die Bewegung in der Philosophie gegen die Metaphysik nicht denkbar ist ohne die jüdisch christliche Tradition. Es ist die jüdisch-christliche Tradition für uns wenigstens, die uns die Idee des Seins als Ereignis, als etwas das geschieht, und nicht als ewige Struktur gibt. Im Christentum selbst gab es das Prinzip der Säkularisierung, weil die Menschwerdung Gottes war die erste Säkularisierung. Die postmetaphysische Philosophie Nietzsches, Heideggers und so weiter ist eine Art Säkularisierung der jüdisch christlichen Tradition."

    Nietzsches berühmter Satz "Gott ist tot" beendet also nicht eine lange religiöse und metaphysische Geschichte. Er entspringt ihr und setzt sie einfach fort – und zwar als Säkularisierung im Sinne eines religiösen Prinzips, das die Menschwerdung Gottes verlängert. Wenn Gott selber in den Trubel der Welt gerät, kann er ihr weder ein Fundament noch einen festen Halt geben.

    Somit garantiert dem Menschen nichts mehr, dass er die Welt richtig erkennt, kann er vielmehr nur noch versuchen, sie zu verstehen. Das öffnet einer Vielzahl von Interpretationen Tür und Tor: Dann aber interpretieren die Naturwissenschaften die Welt nicht anders als die Religionen, und alle zusammen können keinen objektiven Anspruch auf das richtige Weltbild erheben.

    Klar, dann kann man nicht mehr behaupten, dass Gott nicht existiere, aber auch nicht, dass er existiere. Ist das für die Religion womöglich viel schlimmer? Was glaubt man noch, wenn man unter solch fragwürdigen Bedingungen an eines Gottes Existenz glaubt? Aber schon der strenggläubige Pascal war sich da im 17. Jahrhundert nicht mehr ganz so sicher und musste seine berühmte Wette anbieten, nach der man, setzt man auf Gottes Existenz, nichts verliert, wenn sich das nach dem Tod nicht bestätigen sollte, aber angeblich viel gewinnt, wenn dem doch so wäre.

    Richard Rorty, der Vattimos kapriziöse Interpretationen wohlwollend goutiert, distanziert sich von ihm hinsichtlich der Konsequenz, dass jeder, der sich der Aufklärung und der Säkularisierung verpflichtet fühlt, dafür dem Christentum dankbar sein soll. Für Rorty ist die französische Revolution wichtiger als die Geburt Christi, und schon gar nicht muss man Christ sein, um ein guter Staatsbürger zu werden. Vergrößert Rorty die Distanz zum Glauben noch weiter, wenn er sich für 'religiös unmusikalisch’ erklärt, wenn er sich für Religion schlicht nicht interessiert, wiewohl er Gläubige oder Ungläubige nicht diskreditieren möchte?

    Er glaubt auch nicht wie Vattimo an die Kraft der christlichen Liebe. Sollte es jemals eine islamische Aufklärung geben, dann wird sich diese – so Rorty – nicht im Dialog mit den Islamisten entfalten, sondern gegen diese durchsetzen. Die Aufklärer des 18. Jahrhunderts haben auch keinen Dialog mit der katholischen Kirche geführt. Ja, Rorty schreibt sogar:

    "Der Antikleriker vertritt die Auffassung, daß kirchliche Institutionen trotz allem Guten, das sie tun – trotz all dem Trost, den sie den Bedürftigen und Verzweifelten spenden -, die Gesundheit demokratischer Gesellschaften gefährden. Während jene Philosophen, für die sich der Atheismus im Unterschied zum Theismus auf Beweise stützen kann, religiösen Glauben für irrational halten würden, bescheiden sich zeitgenössische Säkulare wie meinesgleichen damit, in ihm eine politische Gefahr zu sehen. Unserer Auffassung nach ist nichts gegen die Religion einzuwenden, solange sie privatisiert ist – solange kirchliche Institutionen nicht versuchen, die Gläubigen für politische Forderungen zu mobilisieren, und solange Gläubige und Nichtgläubige darin übereinkommen, miteinander nach dem Motte 'leben und leben lassen’ umzugehen."

    Aber auch Gianni Vattimo distanziert sich wie Richard Rorty von jeglichem missionarischen Geist, den beide für antidemokratisch halten, was sowohl für die Religion wie für die Philosophie gilt. Doch Rorty zählt Vattimo zu jenen Menschen, die mit Dankbarkeit an ihre religiösen Traditionen denken, während Rorty sich selbst einer Hoffnung auf demokratischen Fortschritt hingibt, die heute eher unberechtigt erscheint: eine insgesamt spannende Diskussion, die sich aber mit einem nicht beschäftigt, der Zukunft der Religion, wie ja der Titel des Bandes verheißt.