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Vom Graben zwischen Vergangenheit und Gegenwart

Ein typisches Dichterschicksal ist, dass mit dem Ruhm die Zeit zum Schreiben schwindet. Auch bei Zsuzsa Bánk. Der Erfolg ihres vielfach preisgekrönten Romans "Der Schwimmer" hatte die Autorin viel Zeit und Aufwand gekostet. Und sie zugleich zur kleinen Form der Erzählungen geführt.

Von Oliver Seppelfricke | 23.01.2006
    Zsuzsa Bánks großes Thema in vielen der zwölf Erzählungen des neuen Bands "Heißester Sommer" ist die Fremde und das Fremdwerden im Exil. Eine Frau zum Beispiel hat ihre Heimat verlassen, einmal kehrt sie zurück, und sie kann nicht mehr anschließen an das, was sie zurückgelassen hat. Alles ist ihr fremd geworden vor dem Hintergrund der neuen Welt, in der sie lebt und die sich weit entfernt nun abspielt. Das eigene Leben ist anderswo. Doch wie diese schmerzende Botschaft an die Daheimgebliebenen vermitteln? Wie den Graben zwischen Vergangenheit und Gegenwart schließen?

    Viele der zwölf Geschichten handeln von Trennungen, von Abschieden. Ein Thema, das sich erst hinterrücks beim Schreiben durchgesetzt hat.

    Die Heimat, die nicht mehr Heimat ist, sondern zur Fremde geworden ist, die neue Heimat, die noch nicht Heimat ist, sondern erst einmal Fremde bleibt – Zsuzsa Bánk kann diesen Zwischenzustand hervorragend beschreiben. Den Abstand geografischer Welten und räumlicher Trennungen, aber auch den Schwebezustand persönlicher Entfremdungen zwischen Menschen. Menschen, die sich fremd geworden sind, weil die Jahre sie auseinandergerissen haben oder der Entschluß, wegzugehen, sie voneinander weggeführt haben. Lebenslinien werden abgerissen und können später nicht mehr verknüpft werden. Abschied ist das große Thema dieses Buchs.

    "Wie geht es Dir?" ist eine einfache Frage, kann aber, wenn sie an eine ehemals vertraute Person gestellt wird, eine lange und komplizierte Antwort nach sich ziehen. Zsuzsa Bánk versteht es meisterhaft, von diesen großen Spannungen im Kleinen zu erzählen. Sie kann die Zwischentöne in den Sätzen hörbar machen, sie kann das bloße Aussehen sprechen lassen, sie kann die Absichten hinter den Worten spürbar machen. Sie beherrscht die hohe Kunst der sparsamen, aber aussagekräftigen Skizzierung. "Konturenlos" hat man manchmal fälschlicherweise ihre Figuren genannt.

    Zsuzsa Bánk beschreibt unaufdringlich, aber höchst eindringlich die zwei Welten, die die Figuren voneinander trennen. Die alte Welt der Zurückgebliebenen, die neue Welt der Aufgebrochenen. Freundschaften sind abgerissen, können nicht mehr verbunden werden, Schicksale sind auseinandergegangen, es führt kein Weg zurück. Trotz oder gerade wegen des Bemühens, den Graben zu kitten. Es verstärkt ihn eher noch. Der Abstand zwischen den Menschen bleibt oder er vergrößert sich noch. Unfertig bleibt nicht nur das alte Verhältnis, sondern auch die neue Behausung. Wie es die Säcke Zement für die Gartentreppe anzeigen, die jahrelang in der Garage stehenbleiben.
    Erinnerung dichtet, und Erinnerung schmerzt. Das erfahren viele der Figuren in den zwölf Erzählungen von Zsuzsa Bánk. Der Anblick der Vergangenheit ändert sich, je nachdem, was man sehen will. Und wie man es sehen will. Und mancher Anblick tut weh. Sehr einfühlsam und ruhig beschreibt Zsuzsa Bánk diesen Schmerz. So ruhig, dass ihre Figuren fast so etwas wie ein Geheimnis umgibt.

    Selbst die kürzeste, sechsseitige Erzählung ist von einer unerbittlichen Schärfe. Egal ob England, Deutschland oder Ungarn, ob in der Weite Kanadas oder in der Enge eines Zugabteils, stets schickt Zsuzsa Bánk ihre Figuren in einen Moment der Trennung. Lässt Menschen und Landschaften das Verhältnis von Nähe und Distanz ausloten. Wer wissen will, wie in einer globalisierten Welt das Netzwerk der persönlichen Beziehungen versagt und wie Lebenslinien versanden, der liegt mit diesen Erzählungen genau richtig!

    Zsuzsa Bánks Erzählungsband "Heißester Sommer" ist bei Fischer erschienen und kostet Euro 15,90.