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Vom Mittelalter in die Neuzeit

Mit ihrem ersten Roman "Das Lächeln der Fortuna" gelang Rebecca Gablé 1999 der große Durchbruch. Nun ist ihr mittlerweile dreizehntes Buch erschienen. Der Titel des neuen historischen Romans lautet "Der dunkle Thron".

Von Claudia Cosmo | 18.10.2011
    Nicht immer sind aller guten Dinge drei. So auch im Fall von Rebecca Gablés sogenannter "Waringham Saga", die mit dem historischen Roman "Das Lächeln der Fortuna" 1997 ihren Auftakt nahm. Die als Trilogie angelegte Geschichte um ein englisches Adelsgeschlecht begann Mitte des 14. Jahrhunderts und sollte im 15. Jahrhundert ihr Ende finden. So kündigte es die Autorin zumindest im Nachwort des dritten Waringham-Romans "Das Spiel der Könige" an. Doch nun gibt es mit "Der dunkle Thron" eine Fortsetzung. Zu groß war der Erfolg und die Nachfrage beim Lesepublikum und zu reizvoll die Herausforderung für Rebecca Gablé.

    "Mich reizt die Vergangenheit generell. Ich finde Geschichte sehr faszinierend, weil sie uns zeigt, wo wir herkommen, wie wir früher waren. Und ich glaube, wir können an der Geschichte ganz gut lernen und erkennen, warum wir sind, wie wir sind, warum wir so ticken, wie wir ticken und das finde ich auch ein spannendes Thema, um Romane draus zu machen."

    "Der dunkle Thron" beginnt im Jahr 1529 und stellt eine Art Übergangsroman vom Mittelalter in die Neuzeit dar. Der Humanismus verbreitet sich zunehmend, Heinrich VIII löst sich vom Papst, und die Familie der Waringham gerät in die Wirren der Reformation. "Heute weiß man nicht, was man morgen glauben soll." So formuliert es Rebecca Gablés kämpferische Hauptfigur Nick of Waringham, der zugleich königstreu und dem Papst ergeben ist, eine humanistische Erziehung bei Thomas More genießt, trotzdem auf Gottes Gnade hofft und seinen als Ketzer verrufenen Vater aus der Gefangenschaft im Tower retten will. Nick ist zwischen unterschiedlichen Weltanschauungen hin und her gerissen und verkörpert die Widersprüchlichkeit der damaligen Zeit. Doch sucht man in den Geschichtsbüchern vergebens nach Nick und seiner Familie. Rebecca Gablé hat das Adelsgeschlecht der Waringham erfunden und verwebt deren Familienschicksal mit historischen Tatsachen.

    "Ich glaube, in dem Moment, wo man anfängt, einen historischen Roman zu schreiben, deutet man immer Geschichte. Man muss ja auch ganz viele Entscheidungen treffen in der Darstellung von Ereignissen. Es fängt ja schon damit an, dass die Chroniken, die von den historischen Ereignissen schreiben, auch schon mit bestimmten politischen Absichten verfasst sind. Wie ich ein bestimmtes Ereignis im Roman darstelle, enthält ja auch immer eine Wertung. Ich habe mich in der strittigen Religionsfrage bemüht, Neutralität zu wahren. Also, Nick musste katholisch bleiben und konnte kein Reformer werden, damit diese Geschichte funktionieren konnte, weil er auf der Seite der katholischen Maria stand. Aber, um das so ein bisschen auszugleichen, habe ich aus seiner Schwester eine Reformerin gemacht. Damit die Waringham in der Religionsfrage eine gewisse Neutralität ausstrahlen."

    Bei Rebecca Gablé klingt auch das Erfundene wahrhaftig. "Der dunkle Thron" verliert nie den Bezug zum Historisch- Tatsächlichen.
    Die versierte Kennerin der englischen Geschichte und Literatur erzählt komplexe Zusammenhänge auf eine leichte, sprachlich einfache Art und Weise. Ihr Romanheld Nick agiert im engen Kontakt mit der englischen Krone und wird zum Verbündeten von Maria, dem fünften Kind Heinrich VIII. Maria auf englisch Mary, die später zur ersten Königin Englands wurde und als "Bloody Mary- als blutige Maria" in die Geschichte einging.

    "Das ist eines der zentralen Motive im Roman, diese Freundschaft zwischen Nick und Mary. Sie wir ihm anvertraut von ihrer Mutter, Katharina von Aragon, die eben sehr früh merkt, dass sie ihre Macht verliert und um die Sicherheit ihrer Tochter fürchtet. Selbst in einer so gut dokumentierten Zeit wie dem 16. Jahrhundert sind immer noch viele weiße Flecken. Dass also historische Begebenheiten da sind, von denen man nicht weiß, wie ist denn das zustande gekommen. Und da kann man immer wunderbar Figuren einschmuggeln. Als konkretes Beispiel, als Mary gefangen gehalten wird, hat sie ja immer noch Kontakt zum kaiserlichen Gesandten. Und die Historiker brechen sich bis heute darüber den Kopf, wer diesen Kontakt gehalten und möglich gemacht hat. Na, ja, und das ist in meinem Roman eben Nick."

    Dem Genre des historischen Romans entsprechend ist "Der dunkle Thron" mit rund 1000 Seiten ein dicker Schinken. Auf den ein oder anderen Dialog und die ein oder andere historische Persönlichkeit hätte Gablé ruhig verzichten können. Nicht alle politischen Zusammenhänge oder Namen wie die der sechs Ehefrauen von Heinrich VIII kann man sich als Leser über die vielen Seiten hinweg merken. Ein Personenregister klärt den Leser über die jeweiligen Funktionen von Kirchenmännern, Reformern, Königsberatern oder über den Verwandtschaftgrad zur Englischen Krone auf.

    Gablés fleißige Akribie hat aber einen Zweck. "Der dunkle Thron" ist nicht nur ein spannend erzählter Mix aus Wahrheit und Erfindung, sondern bemüht sich um Authentizität: Von gesellschaftlichen Gepflogenheiten, über detailgetreue Beschreibungen der damaligen Wohnverhältnisse bis hin zu Schilderungen üblicher Foltermethoden, die Heinrich VIII gegen seine Widersacher einsetzte. Außerdem veranschaulicht Rebecca Gablé, dass das Verständnis von Brutalität und Gnadenlosigkeit in jener Zeit ein anderes war. So schickte Heinrich VIII seine Ehefrauen nicht nur in die quälende Verbannung, sondern ordnete wie bei seiner zweiten Frau, Anne Boylen, sogar die Enthauptung an. Das alles findet man in Rebecca Gablés Buch genau recherchiert wieder.

    "Das ist natürlich, das, was ich mir wünsche, dass über die Sprache diese Plastizität zustande kommt, und die Vergangenheit, die für viele sehr fern und abstrakt ist, vorstellbar wird und erlebbar wird."

    In Rebecca Gablés Roman trügt die literarische Erfindung nicht den Gang der Geschichte. Jedoch bietet der erzählerische Füllstoff auch Raum für Erklärungen.

    Anhand ihres fiktiven Protagonisten Nick versucht die Autorin, auch um Verständnis für die historische Figur Mary zu werben. Genauso wie Nick, kämpfte Mary stets um die Anerkennung ihres Vaters. Doch Heinrich VIII missachtete Mary und hielt sie klein.

    "Das war mein Anliegen mit dem Roman, einfach zu beschreiben, warum sie geworden ist, wie sie geworden ist. Sie wird in der Geschichtsschreibung immer ein bisschen als Randfigur betrachtet. Es ist oft nicht mehr als eine Fußnote. Sie war aber die erste regierende Königin Englands und hat so einen furchtbar schlechten Ruf, weil über 289 Menschen in ihrer Regierungszeit als Ketzer, als Heretiker verbrannt worden sind. Das ist das, wofür man sie in Erinnerung gehalten hat. Ich will das auch nicht relativieren oder entschuldigen. Ich will es halt erklären und einer ihrer Biografen hat gesagt, ohne Marys Versagen hätte Elisabeth, ihre Schwester, die ihr ja nachgefolgt ist, nie so erfolgreich sein können. Und ich glaube, das trifft den Nagel auf den Kopf."

    Das gelingt der Schriftstellerin, indem sie das Panorama des damaligen Lebens weit aufspannt. Frauen hatten im 16. Jahrhundert nichts zu sagen und waren oft Spielball machtstrategischer Entscheidungen. Auf ein Dasein in Küche und in höheren Schichten auf das repräsentative Familienaushängeschild reduziert, fühlten sich die Frauen eingeengt. Die Romandialoge zwischen Nick und Mary offenbaren diesen Konflikt und werfen ein weiches Licht auf die Königstochter. Gablé hat Mary mit dem Romanhelden einen ebenso gläubigen Katholiken an die Seite gestellt. Inniger, ja fast fanatischer Gottesglaube als Vaterersatz.

    Im Nachwort des Buchs untermauert Rebecca Gablé ihr Plädoyer für eine andere Sicht auf Königin Mary mit historischen Fakten.

    "Je arktischer das politische Klima, desto mehr Einfluss gewannen katholische Brandstifter auf Marys Politik. In den letzten drei Jahren ihrer Regentschaft, zwischen 1555 und 1558, wurden 283 Protestanten in England verbrannt. Es war nicht Mary, die diese barbarische Verfolgung betrieb. Aber sie hätte sie verhindern können. Das ist ihr größtes Versagen. Die absolute Autorität von Papst, Bischöfen und Priestern war ein zentraler Teil ihrer Glaubensauffassung. Sie war die erste regierende Königin und widersprach damit dem Frauenbild ihrer Zeit, darum war sie dringend auf männliche Leitbilder angewiesen."

    Im Gegensatz zu manch anderem historischen Roman, der um der Sensation willen die Fantasie oft zu weit ins Abstruse und Unglaubwürdige schweifen lässt, hält sich Rebecca Gablé an historische Quellen. Die Autorin hat ihr Fachwissen in Literatur umgesetzt. So laufen in ihrem Roman "Der dunkle Thron" Wahrheit und Erfindung wie zwei parallele Linien nebeneinander. Sie behindern einander nicht und treffen in der Unendlichkeit aufeinander.

    Rebecca Gablé: Der dunkle Thron. Roman, Bastei Lübbe Verlag 2011, 956 Seiten, 24,99 Euro.