Donnerstag, 18. April 2024

Archiv


Vom Plumpsklo zum Tierfutter

Hygiene. - Fäkalien als organisches Material stecken voller Nährstoffe. Und es gibt Tiere, zum Beispiel manche Fliegen oder deren Larven, die sich davon auch gerne ernähren. Britische Forscher wollen sich dieses Verhalten zunutze machen, um ein hygienisches Problem in Entwicklungsländern in den Griff zu bekommen: Überlaufende Latrinen und Sickergruben. Dahinter steckt eine ungewöhnliche Geschäftsidee.

Von Lucian Haas | 06.09.2012
    Wenn Menschen in den armen Regionen dieser Welt Zugang zu einem Klo haben, so ist das nur in den seltensten Fällen an eine Kanalisation angeschlossen. Meistens enden die Fäkalien in Latrinen mit Sickergruben. Nach Schätzungen nutzen weltweit 1,7 Milliarden Menschen solche einfachen sanitären Anlagen. Doch diese Form der Entsorgung birgt einige Probleme.

    "Wenn die Latrinen voll laufen, macht das den Menschen Angst. Abgesehen von offensichtlichen Problemen wie dem Geruch, den Fliegen und austretenden Exkrementen, sorgen sich die Menschen, wie sie damit umgehen sollen. Manche haben keinen Zugang zu Dienstleistern, die die Leerung übernehmen. Und selbst wenn, ist es recht teuer, vielleicht 50 oder 60 Dollar. Fehlen Pumpen, muss jemand in die Grube klettern und sie von Hand ausheben. Das ist sehr unangenehm."

    Der Biochemiker Walter Gibson leitet das Projekt Sanitation Ventures der London School of Hygiene and Tropical Medicine. Das College der Universität von London ist auf Fragen der öffentlichen Gesundheitsvorsorge in den Tropen spezialisiert. Bei Sanitation Ventures geht darum, neue Wege zu finden, das Problem der überlaufenden Latrinen in den Entwicklungsländern auf kostengünstige Weise zu lösen.

    "Unsere Idee ist es, die Abfälle in etwas Wertvolles zu verwandeln und daraus Einnahmen zu generieren. Damit könnten wir die Kosten der Sanitäranlagen für die armen Menschen senken und die Qualität erhöhen."
    Wenn Fachleute über die gewinnbringende Nutzung von Exkrementen nachdenken, kommen ihnen klassischerweise zwei Lösungen in den Sinn: Entweder die Fäkalien beziehungsweise die darin enthaltenen Nährstoffe als Dünger zu nutzen, oder sie als Rohstoff zur Energiegewinnung beispielsweise in Biogasanlagen einzusetzen. Gibson:

    "Wir haben eine etwas andere Idee. Wir nutzen die Larven der Soldatenfliege. Diese Larven sind sehr gefräßig wenn es um organisches Material geht. Und sie sind bei der Auswahl ihrer Nahrung nicht sehr wählerisch."

    Bietet man den Soldatenfliegenlarven Kot als Fressen an, fallen sie gierig darüber her. In zehn bis 15 Tagen verzehren sie das 400fache ihres eigenen Körpergewichtes. Das Larvenstadium ist die einzige Zeit ihres Lebens, in der sie fressen. Ausgewachsene Soldatenfliegen kümmern sich nur noch um die Eiablage. Sind die Larven groß genug, suchen sie trockene Orte auf, um sich zu verpuppen. Jetzt stecken sie voller Energie, bestehen zu 35 Prozent aus Fett und 40 Prozent Protein. Gibson:

    "Wenn wir die Larven in diesem Stadium ernten, nachdem sie den Kot gegessen und verdaut haben, können wir daraus das Fett gewinnen und es in Biodiesel umwandeln. Die Rückstände sind sehr eiweißreich und können als Tierfutter verwendet werden."

    Biocycle, nennt Walter Gibson diesen Ansatz, weil letztendlich die Nährstoffe im Kreislauf geführt werden: wenn zum Beispiel Fische in Aquakultur mit dem Larvenprotein gemästet werden und dann wieder auf den Tellern der Menschen landen, die ihrerseits die Latrinen nutzen und so fort. Im Rahmen des Projekts Sanitation Ventures werden derzeit alle nötigen Techniken entwickelt und erprobt, um aus der Latrinenentsorgung auf Basis der Fliegenlarven ein Geschäft mit Mehrwert zu machen.

    "Es könnte kleine Unternehmer geben, die jeweils ein paar Dörfer bedienen. Sie pumpen die Latrinen aus und betreiben kleine Aufbereitungsanlagen. Dort würden sie die Larven heranziehen, verarbeiten und dann zum Beispiel an eine Tierfutterfabrik verkaufen."

    Dank der so generierten Einnahmen könnten die Entsorger ihren Kunden wiederum günstige Preise anbieten, so die Hoffnung. Es könnte sich sogar rechnen, in Armenvierteln neue Gemeinschaftstoilettenanlagen zu bauen und als Futterquelle für die Soldatenfliegenlarven zu betreiben. Aus einem Sanitärproblem würde so ein Wirtschaftsfaktor. Anfang nächsten Jahres soll das System erstmals in Südafrika im größeren Maßstab in der Praxis erprobt werden – in einer Siedlung bei Kapstadt.