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Vom Protest ins Establishment

Die Fünf-Sterne-Bewegung des Komikers Beppe Grillo hat bei der Wahl in Italien überraschend gute Ergebnisse erreicht. Manch einer fühlt sich nicht nur hinsichtlich des Wahlerfolgs an den Aufstieg der rechten Lega Nord in den 90er-Jahren erinnert.

Von Kirstin Hausen | 28.02.2013
    Wer Beppe Grillo auf der Bühne sieht, erlebt einen Vulkan. Einen wütenden, stampfenden, Hasstiraden speienden Vulkan. Nicht viel anders als Umberto Bossi, ehemaliger Chef der Lega Nord, in den Anfangsjahren der Bewegung.

    Mit einem Unterschied. Wo Bossi pathetisch war, ist Grillo sarkastisch.

    Doch auch er wettert gegen die Politiker und ihre Winkelzüge, gegen das ganze System, will alles ändern, alles erneuern – so wie die Lega früher und, wie ihre Mitglieder beteuern, auch heute noch. Marco Pinti, Lega-Aktivist aus Varese, freut sich deshalb über die Pattsituation nach der Wahl:

    "Wenn der Zentralstaat unregierbar ist, ist das gut. Der Zentralstaat muss verschwinden."

    Pinti scheint zu vergessen, dass die Lega Nord jahrelang "den Zentralstaat" mitregiert hat und selbst längst zum politischen Establishment gehört. Mit allem Drum und Dran. Korruptionsskandale, persönliche Bereicherung, Betrug und all das, was die Lega den etablierten Parteien vor 20 Jahren vorwarf, hat sie selbst in den eigenen Reihen erlebt. Vom gekauften Doktortitel für Bossis Sohn über abgezweigte Parteigelder bis hin zu gefälschten Rechnungen. Der Absturz in der Wählergunst war damit vorprogrammiert. Von der einst stärksten Partei in Norditalien ist sie bei den jüngsten Parlamentswahlen auf Landesebene unter die Fünfprozenthürde gerutscht. Doch in der Lombardei, der reichsten Region Italiens, feierte sie einen Triumph. Roberto Maroni, nach dem Abgang von Umberto Bossi die neue Führungsfigur der Lega, wurde zum Präsidenten des Regionalparlamentes in Mailand und damit zum Gouverneur der Region gewählt, ein wichtiger Posten:

    "Hier haben wir jetzt das Kommando", ruft er seinen Anhängern zu. In Mailand wird die Lega weiter die Politik bestimmen, in Rom dagegen nicht mehr. Auf Landesebene ist die Lega Nord nur noch ein kleiner Stimmenbeschaffer für Silvio Berlusconi, aber ansonsten bedeutungslos. Eine Rückkehr zu den Wurzeln nennt Roberto Maroni diese Niederlage.

    "Wir müssen uns um den Norden kümmern, der Rest interessiert uns nicht."

    Genauso wie die Lega Nord demonstriert auch die Fünf-Sterne-Bewegung von Beppe Grillo Bürgernähe und verlangt einen radikalen Wandel. Nicht nur in Italien, sondern in ganz Europa.

    Raus aus der Eurozone, raus aus der Krise – lautete Beppe Grillos Parole im Wahlkampf, aber ob er die auch in reale Politik umsetzen will, ist fraglich. Die Wähler hat die Radikalität der Grillo-Vorschläge nicht abgeschreckt, im Gegenteil. Mit einem Viertel der Stimmen im landesweiten Durchschnitt ist die Fünf-Sterne-Bewegung zur stärksten Einzelpartei aufgestiegen. Ihre Wähler sind in der Mehrheit jung, gut ausgebildet und schlecht bezahlt – das Internetvolk, das sich von Gelegenheitsjob zu Gelegenheitsjob hangelt, ähnlich der Anhängerschaft der deutschen Piraten. Im Gegensatz zu diesem inzwischen verpufften Politikphänomen befinden sich die Grillo-Aktivisten jetzt in einer Phase von Euphorie und Gestaltungswillen.

    "Jetzt sind wir wirklich viele und endlich werden wir wahrgenommen."

    Allerdings. Die italienischen Zeitungen bringen Analysen zum "Phänomen Grillo", die Kommentartoren überschlagen sich. Populismus? Protestwahl?

    Fest steht: Beppe Grillo hat seine Stimmen sowohl aus dem linken wie aus dem rechten Wählerspektrum bekommen. Auch der Lega Nord hat er Wähler abgeworben. Beispielsweise aus dem Segment der Freiberufler und Unternehmer, die vom Sparkurs eines Mario Monti genug haben. Sie verbrennen sich lieber die Finger als die traditionellen Linksparteien zu wählen und waren früher Stammwähler von Silvio Berlusconi. Dem trauen sie den Weg aus der Krise aber nicht mehr zu und so bleibt am Ende nur Beppe Grillo als neuer Hoffnungsträger übrig.

    Eine Wählerin: "Apolitisch sind wir geworden, wir haben doch eh' keine Zukunftsperspektive."

    Was der Lega Nord in den vergangenen 25 Jahren wiederfahren ist, will Beppe Grillo vermeiden. Das Sich-aufreiben im Politikbetrieb ist eine Gefahr für seine junge, unerfahrene Bewegung. Deshalb ist er vorsichtig mit Zusagen an das Mitte-Links-Bündnis von Gian Luigi Bersani, dem zum Regieren die Mehrheit im Senat fehlt.
    Bersani drängt dagegen auf Gespräche über eine dauerhafte Regierungsbeteiligung:

    "Unterstützung von Fall zu Fall, das ist besser als nichts. Aber es ist bequem. Regierungen funktionieren auf der Basis einer Vertrauenserklärung und die kann man aufgrund gemeinsamer Themen abgeben."

    Beppe Grillo wäre zwar ein unberechenbarer Regierungspartner, aber die Alternative zu ihm heißt Silvio Berlusconi. Der hat bereits angekündigt, für die Bildung einer großen Koalition zur Verfügung zu stehen. Den Anhängern des linken Bündnisses um Bersani treibt er damit die Tränen in die Augen.

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