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Vom Rollokasten in die Natur

Wenn es surrt und brummt im Garten, dann sind meistens die unterwegs, die wir alle kennen: Bienen, Wespen oder Hummeln. Viel seltener fliegt eine Hornisse über unsere Köpfe - aber wenn doch, dann kann einem dabei schon ein kalter Schauer über den Rücken laufen. "Drei Stiche töten einen Menschen, sieben ein Pferd!" So und anders lauten die Horrorgeschichten, die jeder mal gehört hat.

Von Antje Uebel | 25.08.2008
    Auf den ersten Blick könnte man Jochen Zippel mit einem Imker verwechseln. In Schutzkleidung, Hut mit Moskitonetz und Handschuhen, steht er am Fenster der Familie Michalski in Erfurt. Nur der Staubsauger in seiner Hand verrät, dass er noch etwas anderes vorhat:

    "Das sind Flughornissen und die werden jetzt alle einzeln abgefangen. Und wenn das passiert ist, dann gehen wir innen rein ans Nest."

    Die Insekten landen nicht etwa in einem Staubsaugerbeutel. Sie fallen weich, in einen eigens für sie entwickelten Umzugskasten mit allen technischen Raffinessen - Airbags, Druckausgleichsluke, Speiseecke. Jochen Zippel hat ihn selbst entwickelt. Er ist Hornissenschützer. Im Auftrag des staatlichen Umweltamtes Thüringen überprüft er Hornissennester, dokumentiert die Bestände und siedelt - wenn es notwendig ist - ein Hornissenvolk um. So wie heute, denn zum Nestbauen haben sich die Tiere der Materialien im Rollokasten bedient:

    "Man kann sie im Rollokasten nicht lassen, weil da der Schaden auftritt, die ganze Inneneinrichtung, die wird eingebaut. Hornissen produzieren auch einen Kot und da kann es dann passieren, dass dieser Kot dann am Fenster runter läuft. "

    Hornissen stehen unter Naturschutz. Wer ein Nest auf seinem Grundstück findet, darf dieses nicht einfach vernichten, sondern ist verpflichtet, dies bei der zuständigen Umweltbehörde zu melden. Das kommt sehr häufig vor, berichtet Jochen Zippel, denn oft bleiben den Hornissen für den Nestbau nur die Siedlung oder Stadt. In ihrem ursprünglichen Lebensraum, im Wald, finden sie kein Revier mehr:

    "Wir haben fast kein Totholz mehr drin und dadurch haben sie wenige Möglichkeiten, sich wieder draußen anzusiedeln. Sie gehen also in die Wohnhäuser rein und gerade Rolllädenkästen, das wird mit Vorliebe genommen."

    Die ersten Hornissen flogen bei Ulf und Constanze Michalski bereits im Frühsommer durch den Garten. Mit der Zeit wurde auch das Surren aus dem Rollokasten immer lauter. Aggressiv wurden die Tiere jedoch nicht, erzählt die Hausherrin:

    "Wir haben noch ein Wespennest bei uns zeitgleich gehabt und da konnte man doch gut beobachten, wie unterschiedlich das Verhalten dieser Tiere ist. Die Wespen sind im August doch auch mal auf meinen Mann gegangen und die Hornissen überhaupt nicht, im Gegenteil. Die machen eher einen großen Bogen um einen."

    Auch beim Grillen oder Kaffeetrinken auf der Terrasse stören die Insekten nicht, erklärt der Hornissenschützer Jochen Zippel:

    "Die trinken kein Bier, wie die Wespe, die essen keine Rostbratwurst und gehen auch nicht an der Mutter ihren Kuchen. Aber die nehmen dort Wespen weg, Fliegen, Mücken, kleinere Käfer. Und das pro Tag bis zu einem halben Kilo. Es wäre gleich zu setzen, wenn man auf dem Grundstück sechs Meisenvölker hätte, die bringen ungefähr diese Menge an Insekten."

    Nützlich, aber unheimlich: eine Hornisse ist mehr als doppelt so groß wie eine Wespe und ihre Stiche können sehr schmerzhaft sein. Lebensgefährlich jedoch nicht, allein das Gift einer Biene ist etwa fünfmal so gefährlich wie das einer Hornisse. Außerdem sind Hornissen sehr friedliebende Insekten, beteuert Jochen Zippel:

    "Wenn Hornissen innerhalb von einem Radius von drei Metern nicht angegriffen werden, dann passiert soweit auch nichts. Wenn ich sie aber probiere, mal mit dem Stock zu giegeln oder mal sehen, was da drinnen vor sich geht, dann ist das eine ganz normale Reaktion, dass sie angreifen."

    Beim Umsiedeln der Nester hat der Hornissenschützer schon einige Stiche kassiert - immerhin greift er dabei direkt in das Revier ein. Bei den Michalskis, bleibt er ohne Stich. Ein kleines Volk, sagt er, doch noch ist es unvollständig: die Dame des Hauses fehlt:

    "Die Königin hat sich irgendwo hinter dem Antriebsrad versteckt und das dauert einen Moment, ehe sie raus kommt."

    Geduldig wartet er, ohne die Königin fährt Jochen Zippel nicht ab, das Volk wäre sonst verloren. Doch endlich verlässt sie ihr Versteck:

    "Jetz hammer se.."

    Mit dem Hornissenvolk auf der Rücksitzbank macht sich Jochen Zippel auf den Weg in ein nahe gelegenes Naturschutzgebiet. Statt in einem Rollo leben die Insekten dort in einem großen Holzkasten - bis zum Spätherbst. Dann stirbt das Volk aus, bevor die Jungkönigin im Frühjahr ein neues gründet.